# taz.de -- Japanischer Roman „Brüste und Eier“: Mit leichter Hand gewebt | |
> Mit „Brüste und Eier“ bringt die japanische Autorin Mieko Kawakami einen | |
> literarisch gelungenen Roman heraus. Nur das Happy End ist etwas schal. | |
Bild: Mutter-Tochter-Drama als Romanthema: Familienszene in Japan | |
Natsuko ist 30 Jahre alt, lebt allein in Tokio in einer winzigen Wohnung, | |
schlägt sich mit Aushilfsjobs durchs Leben und schreibt unablässig vor sich | |
hin – in der schwachen Hoffnung, sich irgendwann einmal Schriftstellerin | |
nennen zu können. | |
Eines Tages, es ist Sommer und brütend heiß in der Stadt, kommt ihre große | |
Schwester Makiko mit Tochter Midoriko aus Osaka zu Besuch. Beide sind | |
gerade in einer schwierigen Phase. Der zwölfjährigen Midoriko werden mit | |
beginnender Pubertät die unheimlichen Vorgänge im weiblichen Körper | |
bewusst. | |
Die monatlichen Blutungen, mit denen manche Klassenkameradinnen schon | |
prahlen, und die Existenz von Eierstöcken mit Abermillionen Eiern auch in | |
ihrem eigenen Körper. Der Verstörung, die dieses unausweichliche | |
biologische Schicksal bei ihr hervorruft, begegnet sie mit langen Einträgen | |
in ihr Tagebuch. | |
Mit ihrer Mutter kommuniziert sie im Übrigen auch nur schriftlich. Schon | |
seit zwei Monaten hat sie nicht mehr mit Makiko gesprochen, die sich | |
derweil an einer eigenen physischen Obsession abarbeitet. Der Grund ihres | |
Besuchs in Tokio ist nämlich der sehnliche Wunsch, sich die Brüste | |
vergrößern zu lassen – und das, obwohl Makiko als einfache Angestellte | |
eines Nachtklubs eigentlich nicht die Mittel zu dem Eingriff hat. | |
Ich-Erzählerin Natsuko beobachtet ratlos das Mutter-Tochter-Drama von | |
Schwester und Nichte, das schließlich in einer veritablen Eierschlacht | |
kulminiert. | |
## Welche Rolle spielt das Konzept Frau? | |
Der Titel „Brüste und Eier“ benennt kurz und prägnant die Kernprobleme | |
dieser Erzählung, deren Urversion Meiko Kawakami bereits 2008 schrieb und | |
die sozusagen die Keimzelle des nunmehr erschienenen gleichnamigen Romans | |
ist, dessen größter Teil neun Jahre nach dem Eierdrama spielt. Im folgenden | |
Hauptteil weitet sich die enge biologistische Problemstellung des Anfangs | |
aus zu einer großen Erzählung darüber, welche Rolle die Konzepte „Frau“, | |
„Mutter“, „Kind“ – und in sehr viel geringerem Maße auch „Mann“ … | |
– für das menschliche Dasein spielen. | |
Bei Natsuko, inzwischen Ende 30 und als Autorin anerkannt, tickt die | |
biologische Uhr: Natsuko will ein Kind. Ein Problem dabei ist der | |
Umstand, dass es keinen Mann in ihrem Leben gibt. Und wenn sie einen hätte, | |
wäre das ohnehin schwierig, denn Natsuko hasst Sex. | |
So beginnt sie sich über Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung zu | |
informieren (für Alleinlebende in Japan nicht legal möglich) und kommt | |
dabei auch in Kontakt mit einem Selbsthilfeverein, in dem sich Menschen | |
zusammengeschlossen haben, die aus einer anonymen Samenspende | |
hervorgegangen sind und darunter leiden, nie erfahren zu haben, wer ihr | |
Vater ist. | |
Dieser Hauptstrang der Handlung zieht sich unaufdringlich durch den Roman, | |
der sich überwiegend in Dialogen entwickelt. Natsukos Schwester und die | |
inzwischen erwachsene Nichte sind in ihrem Leben präsent, für die Handlung | |
aber in den Hintergrund getreten. | |
## Schwergewichtige ethische und Sinnfragen | |
Wichtiger sind nun andere Frauen, mit denen Natsuko zusammentrifft und die | |
gleichsam symbolische Funktion übernehmen, indem sie alternative Lebenswege | |
und Schicksale repräsentieren: Natsukos Lektorin etwa, eine intellektuelle, | |
erfolgreiche Frau, die kinderlos ist und bei aller Liebe zur Literatur | |
stirbt, ohne etwas von sich zurückzulassen. | |
Das Gegenbild dazu ist die Bestsellerautorin Yusa, die ein entzückendes | |
kleines Kind hat, ohne Mann lebt und flammende feministische Reden hält, | |
aber nur populäre Romane ohne literarischen Wert produziert. Für Natsuko, | |
so ist zwischen den Zeilen herauszulesen, gilt es, zwischen diesen aus | |
ihrer Sicht nicht hundertprozentig optimalen Lebensentwürfen für sich | |
selbst und ihr potenzielles Kind den richtigen Weg zu finden. | |
Es sind schwergewichtige ethische und Sinnfragen, die Mieko Kawakami ihr | |
Romanpersonal verhandeln lässt, doch im Rahmen eines mit leichter Hand | |
gewebten Konversationsromans, hier und da durchbrochen mit Passagen von | |
traumähnlicher Fantastik. | |
Allein seine literarische Qualität macht „Brüste und Eier“ in hohem Maße | |
lesenswert, auch ohne dass eigens hervorgehoben werden müsste, wie sehr | |
Kawakamis eigensinnige Romanfiguren sich abheben vom immer noch in Teilen | |
der japanischen Gesellschaft bestehenden Normbild der sich den Bedürfnissen | |
des Mannes unterordnenden Frau. | |
## Hat eine Frau ein Recht auf Mutterschaft? | |
Aber wenn man denn schon eine weltanschauliche Einordnung des Romans | |
vornimmt, gäbe es auch Möglichkeiten der kritischen Anmerkung. Derselbe | |
Biologismus, der sich im ersten Teil des Romans – der eingangs | |
geschilderten „Brüste und Eier“-Erzählung – so treffend satirisch | |
dargestellt findet, wird im weiteren Fortgang der Handlung nicht mehr | |
annähernd so dringlich hinterfragt. | |
Welches Recht, ließe sich nämlich auch fragen, hat Natsuko überhaupt, sich | |
ein Kind zu wünschen? Hat der Mensch ein Recht auf Fortpflanzung? Eine Frau | |
auf Mutterschaft? Braucht mensch etwa das Muttersein, um sich als Frau zu | |
fühlen? | |
Zwar gibt es auch eine Romanperson, die vehement die Ansicht vertritt, dass | |
alles Kinderkriegen nur Ausdruck eines rücksichtslosen Egoismus sei. Doch | |
diese Figur ist eine selbstmordgefährdete junge Frau mit durch Missbrauch | |
stark geschädigter Psyche, vertritt also eine absolute Außenseiterposition, | |
die durch eben diese Missbrauchshistorie bedingt ist. Und Natsukos | |
irgendwie inhärenter Drang, sich zu reproduzieren, steht am Ende ebenso | |
biologistisch unhinterfragt da wie die weibliche Monatsblutung. | |
Natürlich ist ein Happy End meistens irgendwie schön, aber in diesem Fall | |
wirkt es nach einem so groß aufgefahrenen diskursiven Apparat tatsächlich | |
ein bisschen zu simpel. | |
29 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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