# taz.de -- Umstrittenes Denkmal in Berlin-Mitte: Für die, die nie gesprochen … | |
> Mit einem Sit-in demonstrieren 150 Menschen für die Trostfrauenstatue. | |
> Rednerinnen erinnern dabei an die Kontinuität sexueller Gewalt in | |
> Kriegen. | |
Bild: Beim Trostfrauen-Protest auf dem Gendarmenmarkt in Berlin | |
BERLIN taz | „Frauen sind im öffentlichen Raum unterrepräsentiert,“ | |
kritisiert Nivedita Prasad. Die Professorin der Berliner Alice Salomon- | |
Hochschule spricht am späten Mittwochnachmittag zu 150 Menschen, die auf | |
Stühlen auf dem Gendarmenmarkt in Mitte sitzen. Es ist ein besonderes | |
Sit-in an diesem alljährlichen Internationalen Tag zur Beseitigung von | |
Gewalt gegen Frauen. Sitzend mit Abstand und Maske demonstrieren die | |
Teilnehmerinnen hier für den Erhalt der sogenannten Friedensstatue in | |
Moabit. Aufgerufen dazu hatte der Korea Verband. | |
Paarweise sind 400 Stühle auf dem Platz aufgestellt, jeweils ein Stuhl | |
eines Paars bleibt frei. Das entspricht den derzeitigen Hygienevorschriften | |
und nimmt das Bild der neben einem leeren Stuhl sitzenden Bronzestatue | |
einer sogenannten Trostfrau in Moabit auf. | |
Als „Trostfrauen“ wurden beschönigend die Zwangsprostituierten der | |
japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Der leere Stuhl neben | |
der Statue symbolisiert all die unbekannten Opfer, die nicht mehr sprechen | |
können oder es nie wagten, das erlittene Leid auszusprechen. 200.000 Frauen | |
aus 14 asiatischen Ländern wurden von Japans Militär gezwungen, sich zu | |
prostituieren. Erst 1991 sprach die erste Frau öffentlich über die ihr | |
zugefügte Gewalt. | |
„Die Statue zeigt eine angezogene und alltägliche Frau“, sagt Prasad zur | |
Besonderheit des Mahnmals. „Das verdeutlicht, dass es damals in den | |
betroffenen Ländern jede Frau hätte treffen können.“ Die Statue gehe auch | |
nicht nur asiatische Frauen etwas an: „Sexualisierte Gewalt ist in fast | |
jedem Krieg ein Thema“, sagte sie. Berlin könne deshalb mit diesem | |
besonderen Mahnmal ein Zeichen setzen. Weltweit gebe es überhaupt erst zwei | |
Statuen, die Verschleppung und sexuelle Versklavung von Frauen | |
thematisierten. | |
Prasad kritisiert damit auch die vorherrschende Erinnerungskultur. Zeigten | |
Denkmäler überhaupt Frauen, seien diese meist nackt oder mit Kindern | |
dargestellt. Die Friedensstatue sei eine löbliche Ausnahme. Doch jetzt | |
drohe [1][ausgerechnet das Bezirksamt Mitte die vom Korea Verband | |
aufgestellte Statue zu zerstören], deren Aufstellung es zuvor selbst | |
genehmigt hatte. | |
Zum Druck auf Senat und Bezirk durch Japans konservative Regierung, die | |
unbedingt die Statue entfernt haben will, sagt Prasad, es sei „ein Skandal, | |
dass ein souveräner Staat sich von außen einreden lässt, wie er seinen | |
öffentlichen Raum zu gestalten habe“. | |
Für die Statue spricht sich bei der Kundgebung auch Nûrê Alkis vom | |
Dachverband des êzîdischen Frauenrats aus. Zahlreiche Ezidinnen wurden in | |
Syrien und Irak von der Terrororganisation Islamischer Staat sexuell | |
versklavt. „Wir ezidischen Frauen teilen den Schmerz der Trostfrauen,“ sagt | |
Alkis. | |
Die Besonderheit der Friedensstatue wird auf dem Gendarmenmarkt auch durch | |
den Kontrast zum Schillerdenkmal deutlich. Seit fast 150 Jahren steht hier | |
vor dem Konzerthaus eine weiße Statue von Friedrich Schiller. Dem | |
„Dichterfürsten“, wie es auf dem Sockel heißt, sitzen vier weibliche | |
allegorische Figuren zu Füßen. Ein Heldendenkmal seiner Zeit mit Frauen als | |
schmückendem Beiwerk. | |
„Ein Erinnerungsort macht deutlich, dass wir das erlittene Leid | |
anerkennen“, sagt Sarah Fremberg von der Frauenhilfsorganisation medical | |
mondiale über die Friedensstatue. „Es wäre ein wichtiges Signal, würde sich | |
Berlin dafür aussprechen, dass die Statue für immer stehen bleiben kann.“ | |
Am 1. Dezember will die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte über | |
einen Antrag der Linkspartei über die dauerhafte Aufstellung der Statue | |
abstimmen. In der letzten BVV-Sitzung Anfang November hatte sich eine große | |
Mehrheit gegen den Entzug der einjährigen Genehmigung durch das Bezirksamt | |
ausgesprochen. | |
In einem Satirebeitrag zitieren zwei Frauen aus Schreiben zur Statue von | |
Berliner Regierungsstellen. Durch die Überspitzung wird deutlich, dass der | |
politische Anspruch zur Stärkung der Frauenrechte angesichts des Nachgebens | |
gegenüber dem Druck aus Tokio nur Lippenbekenntnisse sind. | |
Gegen die Kälte beim Sit-in bietet eine Gebärdendolmetscherin eine | |
besondere Aufwärmmethode. Sie bittet von der Bühne aus, die | |
Kundgebungsteilnehmer*innen aufzustehen, und übersetzt für alle zum | |
Nachmachen die Parolen „Wir sind die Friedensstatue!“ und „Nie wieder | |
Schweigen!“ in Gehörlosensprache. Mehrfach wild gestikulierend wird den | |
Demonstrant*innen wieder warm. | |
Später ziehen die Kundgebungsteilnehmerinnen zwei Blöcke weiter zum | |
Auswärtigen Amt am Werderschen Markt. Dort startet wenig später der | |
Protestzug der „Alliance of Internationalist Feminists“. Hier geht es | |
verbalradikaler und noch internationaler zu. | |
So berichten etwa Frauen aus Mexiko, Kurdistan, Polen und Sudan von ihren | |
Kämpfen gegen männliche Gewalt, aber auch gegen Ausbeutung und Rassismus. | |
Auf Plakaten wird der alltäglichen Opfer gedacht und eine verharmlosende | |
Sprache („Femizid ist kein Beziehungsdrama“) kritisiert. | |
Bevor die Teilnehmerinnen Richtung Humboldt Forum und Rosenthaler Platz | |
losziehen, heizen Rednerinnen der Menge mit einer chilenischen | |
Protestchoreografie „El violador eres tu“ („Der Vergewaltiger bist du“) | |
ein. Eine Polin berichtet vom Kampf gegen die Verschärfung des | |
Abtreibungsrechts im Nachbarland. | |
26 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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