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# taz.de -- Corona und Gewaltenteilung: Die Freiheit sichern
> Wieder werden Grundrechte eingeschränkt, wieder wird die Freiheit
> beschnitten. Die Parlamente sollten endlich aktiv werden. Die Gerichte
> sind es schon.
Bild: Der nächste Shutdown steht vor der Tür: Biergarten in Essen im Mai
Der Sommer der Lockerungen ist vorbei, und [1][der nächste Shutdown] steht
vor der Tür. Doch wer entscheidet über welche Maßnahmen? Und wer stellt
sicher, dass Deutschland sich nicht schleichend in ein autoritäres Regime
verwandelt? Institutionell sind wir heute kaum besser aufgestellt als im
März.
Zur Erinnerung: Es gibt keinen Ausnahmezustand. Alle [2][Maßnahmen]
basieren auf dem Infektionsschutzgesetz, einem Bundesgesetz. Konkret
beschlossen werden die Verbote aber auf Landesebene – entweder durch
Verfügungen der Kommunen oder durch Verordnungen der Bundesländer. Die
Landesregierungen und die Bundesregierung versuchen zwar, sich auf [3][eine
gemeinsame Linie] zu einigen, so wie bei der Videokonferenz an diesem
Mittwoch. Solche Beschlüsse sind jedoch rechtlich unverbindlich.
Drei große institutionelle Fragen stehen heute im Raum: Warum kann die
Kanzlerin, die an diesem Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung
abgibt, nicht die Leitlinien der Politik bestimmen? Warum spielen die
Parlamente bei so schweren Grundrechtseingriffen kaum eine Rolle? Und wer
kontrolliert die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen?
Vorweg etwas Beruhigendes. Die Coronakrise wird bisher nicht für politische
Manöver missbraucht. Der CDU-Parteitag fällt genauso aus wie der Parteitag
der Linken. Für die Demos der Verschwörungsesoteriker gelten die gleichen
Beschränkungen wie für andere Versammlungen. Auch die Religionen wurden
gleichbehandelt, als im Frühjahr Gottesdienste verboten waren.
Unterschiede gibt es aber immer wieder zwischen den Bundesländern. Im Süden
wird meist schneller und etwas härter beschränkt als im Norden und Osten.
Viele beklagen diese Uneinheitlichkeit und glauben, dass bundeseinheitliche
Beschränkungen mehr Akzeptanz fänden.
Ein Weisungsrecht der Bundesregierung könnte eingeführt werden, aber bisher
wurde zu Recht darauf verzichtet. Die Infektionszahlen sind nun mal
unterschiedlich in den Ländern, so wie deren Lage. Bayern hat Grenzen zu
Österreich, Mecklenburg-Vorpommern hat die Ostsee. Der manchmal lästige
Dialog der Länder über den richtigen Kurs ist auch allemal besser, als wenn
ein etwaiger Kanzler Friedrich Merz die Richtung vorgäbe. Das Ringen der
Länder zeigt Alternativen auf, schafft Transparenz und erschwert
Überreaktionen.
Der Pluralismus der Exekutiven ist aber nur zum Teil ein Ersatz für die
Beteiligung der Parlamente, denn nur dort kommt auch die jeweilige
Opposition zu Wort. Es ist daher ein Problem, wenn massive
Grundrechtseingriffe nur als Verordnungen der Landesregierungen beschlossen
werden und nicht als parlamentarische Gesetze.
Erster Schritt muss hier sein, dass der Bundestag das
Infektionsschutzgesetz konkretisiert. Das weitgehende Herunterfahren des
öffentlichen Lebens ist darin nicht einmal als Möglichkeit erwähnt. Die
Länder stützen sich oft nur auf die Generalklausel für „die notwendigen
Schutzmaßnahmen“. Hier hat der Bundestag bisher gepennt.
## Epidemische Lage muss wichtiger werden
Außerdem sollte die Feststellung der „epidemischen Lage“ durch den
Bundestag mehr Relevanz bekommen. Bisher ist dieser Beschluss nur
Voraussetzung für einige randständige Befugnisse von Gesundheitsminister
Jens Spahn. Die Epidemie-Feststellung könnte aber auch als Grundlage für
die entscheidenden Coronaverordnungen der Länder dienen. Wenn der Bundestag
zum Beispiel alle zwei Monate darüber beschließen müsste, ob (noch) eine
epidemische Lage besteht, wäre das ein Legitimationsgewinn.
Die konkrete Bestimmung der Verbote muss aber wohl exekutiv bleiben. Wenn
sich die Fallzahlen binnen Wochenfrist verdoppeln, ist schnelles Handeln
per Regierungsverordnung angezeigt. Es ist Aufgabe der Landtage, hierbei
die Landesregierungen zu kontrollieren. Auch viele Landtage haben bisher
gepennt, wohl auch wegen der Fixierung der Medien auf die Bundespolitik.
Vorbild könnte der Landtag von Baden-Württemberg sein. Auf Initiative der
oppositionellen FDP hat er im Juli ein Coronabegleitgesetz beschlossen.
Danach benötigen die Coronaverordnungen der grün-schwarzen Landesregierung
spätestens nach zwei Monaten die Zustimmung des Landtags. Ende September
hat der Stuttgarter Landtag nach einer Generaldebatte erstmals diese
Zustimmung erteilt. Dass die Medien davon kaum Kenntnis genommen haben,
zeigt eher ein Problem der Medien als eines des Parlaments.
## Entscheidende Rolle der Gerichte
Die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit ist zwar auch Aufgabe der Landtage,
doch werden die Mehrheitsfraktionen tendenziell immer ihre Regierung
stützen. Die entscheidende Rolle haben hier die Gerichte. Sie müssen
sicherstellen, dass die Einschränkungen der Freiheit aufs Nötige beschränkt
bleiben. Da es um Länderverordnungen geht, sind zunächst die
Verwaltungsgerichte der Länder zuständig. Bis sich eine gemeinsame Linie
herausbildet, stehen auch sie mit ihren Eilbeschlüssen faktisch in einem
Dialog untereinander – wie jüngst bei der Ablehnung von
Beherbergungsverboten. Nur wenn die Verwaltungsgerichte nicht abhelfen,
muss das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Die Karlsruher
RichterInnen können im Zweifel dann aber auch für eine einheitliche Linie
sorgen.
Angesichts der explodierenden Fallzahlen werden die Gerichte in den
kommenden Wochen aber wohl kaum stringente Maßnahmen verhindern. Ihre
Aufgabe besteht eher darin, für die Abschaffung der Beschränkungen zu
sorgen, wenn das Gröbste vorbei ist.
Abgesehen von den schläfrigen Parlamenten, die viel jammern, aber ihre
Chancen nicht nutzen, ist Deutschland institutionell für die zweite
Coronawelle gut aufgestellt. Föderalismus und gerichtliche Kontrolle
sichern mit ihren Checks and Balances die Freiheit, soweit möglich. Den
Impfstoff können aber auch Gerichte nicht herbeiurteilen.
28 Oct 2020
## LINKS
[1] /Entscheidung-zu-strengeren-Corona-Regeln/!5724471
[2] /Listen-zur-Corona-Nachverfolgung/!5723093
[3] /Einheitliche-Linie-in-Coronapolitik/!5721858
## AUTOREN
Christian Rath
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