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# taz.de -- Legitimierung von Corona-Maßnahmen: Parlamentarier vermissen Demok…
> Wie können die Parlamente in die Corona-Bekämpfung einbezogen werden?
> Oppositions-Abgeordnete fordern stärkere Mitwirkung. Bremen prescht vor.
Bild: Durchblick haben will auch die Opposition: Ministerpräsident Stephan Wei…
Hamburg taz | „Reden Sie neben der Gesundheitskrise nicht noch eine
Demokratiekrise herbei“, warnte der niedersächsische SPD-Abgeordnete Wiard
Siebels seine Kolleg*innen von FDP und AfD in der Landtagsdebatte am
Dienstag. Die hatten zuvor, wie der fraktionslose AfD-Abgeordnete Stefan
Wirtz, geklagt, in der Coronakrise habe der Landtag verbriefte Rechte
abgegeben. In allen Fragen der Pandemie-Bekämpfung habe er quasi nichts
mehr zu sagen.
Die Grünen lamentierten nicht, sondern reichten gleich zehn Anträge ein,
die aktuelle niedersächsische Corona-Verordnung abzuschwächen. Die Rettung
der Gastronomie und die Öffnung der Tierparks standen dabei im Fokus. Doch
alle grünen Anträge wurden von SPD und CDU in die Fachausschüsse überwiesen
und damit auf die lange Parlamentsbank geschoben. Bevor erneut über sie
entschieden werden kann, dürften sie sich längst überholt haben.
Die niedersächsische Landtagsdebatte zeigt: Im [1][Corona-Zeitalter sucht
das Parlament seinen Platz.] Seit die wichtigsten Entscheidungen zur
Pandemie-Bekämpfung von einer informellen [2][Runde der Kanzlerin und der
16 Ministerpräsident*innen] und Regierenden Bürgermeistern der Stadtstaaten
getroffen werden, sind die Landtage, Bürgerschaften und auch der Bundestag
ihrer legislativen Funktion im Kern beraubt. Seit acht Monaten wird per
Erlass regiert. „Es bedarf aufgrund des dynamischen Infektionsgeschehens
nun mal kurzfristiger Entscheidungen“, rechtfertigte SPD-Mann Siebels diese
Praxis.
Möglich macht das Paragraph 80 des Grundgesetzes, in dem steht: „Durch
Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die
Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.“ Das
Gesetz, das dies in Sachen Corona erlaubt, ist das angejahrte
Infektionsschutzgesetz. Und da in dem Grundgesetzparagraphen das Wort
„ermächtigt“ steht, sind die Kritiker*innen der Pandemie-Praxis schnell mit
der Vokabel [3][„Ermächtigungsgesetz“] und einem Vergleich der Gegenwart
mit dem Dritten Reich dabei.
## Machtbalance aus den Fugen
Doch auch wer nicht das böse E-Wort benutzt, muss konstatieren: Die
Machtbalance zwischen Parlament und Exekutive ist aus den Fugen. Die FDP
spricht von „Parlamentsverzwergung“. Da hilft es auch nichts, wenn der
SPD-Abgeordnete Siebels aufzählt, wie intensiv der Landtag und seine
Ausschüsse über die Corona-Maßnahmen informiert wurden. „Unterrichtet
wurden wir, abstimmen durften wir nicht“, blickt der Grünen-Abgeordnete
Helge Limburg den gerade in die Ausschuss-Ablage entsorgten Anträgen seiner
Partei hinterher.
Während in Hannover noch lamentiert wird, verabschiedete der rot-rot-grüne
Senat in Bremen am Dienstag bereits ein Gesetz „zur Stärkung der
Beteiligung der Bürgerschaft“ bei Corona-Entscheidungen. Um dieses Ziel zu
erreichen, sollen alle vom Senat zur Pandemiebekämpfung erlassenen
Verordnungen von der Bremischen Bürgerschaft „ganz oder teilweise
aufgehoben oder befristet werden“ können. Die Bürgerschaft kann damit
zukünftig auch auf Landesebene gegen das Votum der Kanzlerin und der
Ministerpräsident*innen opponieren.
So weit ist man anderorts noch lange nicht. In der jüngsten
Bürgerschaftssitzung in Hamburg forderte die vereinte Opposition eine
Einbeziehung des Parlaments in den Kampf gegen Covid-19. „Die Demokratie
darf nicht ein Opfer der Pandemie werden“, warnt Anna von Treuenfels von
der FDP. Wenn das Parlament aus der Pandemiebekämpfung praktisch
ausgeschlossen bleibe und damit kritische Stimmen nicht in die Debatte
einflössen, helfe das nur den Corona-Leugner*innen.
Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linkspartei, betonte, „in den ersten
Wochen der Pandemie war die Einbeziehung des Parlaments nicht möglich“,
heute aber seien die Alleingänge des Senats „undemokratisch“. Auch Richard
Seelmaeker von der CDU beklagte ein „Demokratiedefizit“.
In Schleswig-Holstein hingegen nannte der sonst so streitbare
Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) die Maßnahmen der Landesregierung, die
oft über Bundesvorgaben hinausgehen, „vernünftig und maßvoll“ und erklä…
gegenüber der taz: „Insgesamt läuft die Beteiligung des Parlaments und der
Opposition ordentlich.“
11 Nov 2020
## LINKS
[1] /Demokratie-in-Coronapandemie/!5721110/
[2] /Entscheidung-zu-strengeren-Corona-Regeln/!5724471/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz_vom_24._M%C3%A4rz_19…
## AUTOREN
Marco Carini
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