# taz.de -- Arbeiten nach der Pandemie: Coworking statt Homeoffice | |
> Das Teilen gemeinsamer Arbeitsräume kombiniert die Vorteile von Büro und | |
> Homeoffice. Arbeitsschutz und Vereinbarkeit bleiben gewährleistet. | |
Bild: Coworking: Studierende und Freie bei der Arbeit in Mailand | |
Vor der Coronakrise wünschten sich rund 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen, | |
zumindest zeitweise von zu Hause aus arbeiten zu können. Realisieren | |
konnten dies jedoch nur rund 10 Prozent. Mit der Krise wurde das | |
[1][Homeoffice] plötzlich zum Normalfall. Das Sozialexperiment mit den in | |
aller Eile improvisierten Heimarbeitsplätzen zeigt, dass vor der Krise | |
Potenzial zur Dezentralisierung von Arbeit ungenutzt blieb. | |
Viele Arbeitgeber, insbesondere Dienstleister, Banken und Versicherungen, | |
wollen die gewonnene Erfahrung nutzen, um ihre Arbeitsorganisation | |
anzupassen und stärker ortsflexible Formen der Arbeit zu etablieren. Auch | |
die Mehrheit der Beschäftigten, die Homeoffice aufgrund ihrer Tätigkeit | |
grundsätzlich für möglich halten, wünscht sich nach der Coronakrise mehr | |
Homeoffice als zuvor. Allerdings sind die bisherigen Erfahrungen mit | |
Homeoffice zwiespältig. | |
Sicherlich sind aktuell aufgetretene Probleme der mangelnden Ausstattung | |
und Erfahrung, des Arbeitsschutzes und der Informationssicherheit lösbar. | |
Bereits jetzt gibt ein Teil der Beschäftigten in Befragungen an, im | |
Homeoffice produktiver als im Büro zu sein. Andere sagen das Gegenteil. | |
Bezüglich der Arbeitszufriedenheit zeigen sich ähnlich divergente | |
Einschätzungen. | |
Die Wohnverhältnisse sind im Regelfall nicht passend für das Arbeiten in | |
den eigenen vier Wänden und nur schwer umzugestalten. Über die Krise hinaus | |
stellen sich damit Fragen der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in neuer | |
Form. Schon jetzt ist festzustellen, dass [2][Frauen, die die gewonnene | |
Flexibilität häufiger für die familiäre Sorge- und Hausarbeit nutzen, | |
stärker belastet] sind. | |
## Zuhause sind die Frauen oft stärker belastet | |
Aktuelle Befragungen zeigen, dass Menschen in Ermangelung einer räumlichen | |
Trennung zwischen Arbeit und Freizeit schlechter abschalten können. Darüber | |
hinaus gilt soziale Isolation schon in früheren Untersuchungen als | |
problematische Begleiterscheinung der Teleheimarbeit. Die Dichotomie | |
zwischen Büroarbeit und Homeoffice, auf welche die Coronakrise das Erleben | |
verengt, sollte das Denken in Alternativen nicht beschränken. | |
Bereits im Gefolge einer anderen Krise, des Ölschocks 1973, wurden in den | |
USA Ideen zum „telecommuting“ entwickelt. Die Daten und nicht die damit | |
Arbeitenden sollten pendeln. Als sich in den 1980er Jahren der PC mit | |
Großrechnern verband, erprobten Praxis und Wissenschaft Zwischenformen der | |
Arbeitsorganisation. Das Satellitenbüro eines Arbeitgebers sollte hohe | |
Raummieten im Zentrum durch geringere in der Peripherie ersetzen und | |
Pendelzeiten aus dem Umland verkürzen. | |
Im Nachbarschaftsbüro teilten sich ArbeitnehmerInnen verschiedener, | |
typischerweise kleinerer Arbeitgeber oder auch Selbstständige den Büroraum. | |
Der Laptop ermöglichte die mobile Telearbeit. Sinkende Preise für Technik | |
und Telekommunikation und die Erfahrungen mit dem heimischen PC führten zu | |
verstärkter Teleheimarbeit, die seit den 1990er Jahren auch im Mittelpunkt | |
der Politik steht und in der Arbeitsstättenverordnung geregelt ist. | |
Die Diskussion verengte sich auf Fragen der Vereinbarkeit und der | |
Zeitsouveränität. Ökologische Aspekte und der Gedanke gemeinschaftlicher | |
Nutzung von Ressourcen traten in den Hintergrund. Erst im neuen Jahrtausend | |
wird dann in Debatten um die „creative class“, die „digital nomads“ ode… | |
hierzulande – die „digitale Boheme“ das Nachbarschaftsbüro als | |
[3][Coworking Space] erneut propagiert. | |
## Coworking im alten taz-Haus | |
Die Welt ist im digitalen Dorf zusammengerückt und im Coworking Space | |
finden sich Kreative, Solo-Selbständige oder GründerInnen zusammen und | |
nutzen temporär oder langfristiger den angebotenen Arbeitsraum, die | |
Büroausstattung und die Gemeinschaftseinrichtungen vom Besprechungsraum bis | |
zur Kaffeemaschine. Das alte taz Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße | |
beheimatet heute einen Coworking Space des 2009 gegründeten Berliner | |
Pionier-Unternehmens betahaus. | |
Auf dem Weg vom Nachbarschaftsbüro zum Coworking Space entfernte sich die | |
Idee jedoch nicht nur räumlich, sondern auch sozio-kulturell von | |
PendlerInnen in die Metropole. Auch die digitale Bohème verschafft sich | |
Distinktionsgewinn aus der Distanz zum Normalfall des Sozialen. | |
Berlin-Kreuzberg ist nicht, sagen wir mal, Süderbrarup. Im Politischen ist | |
das Arbeitsministerium für die Teleheimarbeit zuständig. Der | |
Coworking-Space startet im Wirtschaftsministerium neu. | |
Coworking-Space verdient gerade jetzt auch die Aufmerksamkeit im | |
Arbeitsministerium, denn er ermöglicht wohnortnahe Telearbeit, löst aus | |
(beengter) häuslicher Raumsituation, gewährleistet Ausstattung, | |
kontrollierbaren Arbeitsschutz und Datensicherheit. Das könnte nicht nur | |
für Krethi und Plethi, sondern auch für die Arbeitgeber von Interesse sein. | |
Die Ankündigung der Bundesregierung, den Arbeitsschutz im Homeoffice nicht | |
zu kontrollieren, ist kein Freibrief, sich auf Dauer diesen Regelungen zu | |
entziehen. Die Informationssicherheit liegt im wohlverstandenen | |
Eigeninteresse der Arbeitgeber. Auch auf dem Land hat sich viel getan. Eine | |
Reihe von Bundesländern sieht Coworking Spaces als Teil ihrer | |
Digitalstrategien. | |
Einige motiviert die Pendlerproblematik, rund um die Metropolen oder auch | |
in verkehrstechnisch problematischen Regionen innerhalb der Peripherie. | |
Andere setzen darauf, mit Coworking Spaces Arbeitstouristen in idyllischer | |
Lage zu beherbergen. Alle nutzen die Modernisierung der Netzinfrastruktur. | |
Den Arbeitgebern in der Peripherie kann dies bei der Gewinnung von | |
Fachkräften helfen. Spontane Marktlösungen stehen allerdings aus. | |
ArbeitnehmerInnen wie Arbeitgeber beobachten, ob sich verlässliche Angebote | |
einstellen, bevor sie sich umstellen. Hier sind die Wirtschaftsministerien | |
gefragt, um durch Gründungsförderungen auf dem Land die Durststrecke zu | |
überbrücken und mangelnden Kenntnissen der Möglichkeiten entgegenzuwirken. | |
19 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kanzleramt-gegen-Gesetzentwurf/!5716253&s=homeoffice/ | |
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## AUTOREN | |
Wenzel Matiaske | |
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