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# taz.de -- Die Wahrheit: Die mordlüsterne Nobelpreisträgerin
> So irre war die Buchmesse: Wie ich meine erste Million machte. Treffen
> mit einem Altmitarbeiter, der vom Krieg der Eitelkeiten erzählt.
Woher kommen Sie? Von der taz? Das ist ja witzig. Wussten Sie, dass ich
früher für Ihre Zeitung gearbeitet habe? Am Anfang des Jahrhunderts. Das
ist schon eine Ewigkeit her. Da gab es sie noch in Papierform. Ich erinnere
mich genau und könnte Ihnen eine Menge Geschichten auftischen. Was alte
Männer gern tun: Opa erzählt vom Krieg.
Aber Sie sind ja wegen der Buchmesse da. Obwohl das auch eine Art
Kriegsgebiet war. Ein Krieg der Eitelkeiten. Wir sind im Herbst immer nach
Frankfurt eingerückt wie ein „Platoon nach Bagdad“. So haben wir das damals
genannt. Alle dachten nämlich, wir Komiker wären Chaoten. Dabei waren wir
die bestorganisierten Messekräfte. Unsere Planung und Ausführung war, wie
das früher hieß: „supidupi“.
Meine erste Million? Wie ich die gemacht habe? Ich kann Ihnen das Geheimnis
verraten. Dafür muss ich aber ein bisschen ausholen. Haben Sie Zeit?
Irgendwann war mir aufgefallen, dass unsere Buchmessenreise wie ein
Banküberfall funktionierte – zumindest erzähltechnisch. Ich überlegte
sogar, ob man das in Wirklichkeit durchziehen und einen Haufen Geld machen
könnte. Aber ich bin eher ein Geschichtenerzähler. Und so ein Bankraub ist
viel zu viel handwerkliche Arbeit und fehleranfällig. In Unterweltkreisen
gelten Banküberfälle nicht umsonst als Blödenkriminalität. Das funktioniert
nie. Vernünftige Verbrecher lassen die Finger davon.
Und dann fiel die Buchmesse aus. Im Jahr 2020. Können Sie sich noch daran
erinnern? Das war wahrscheinlich vor Ihrer Zeit. Es gab diese große
Coronapandemie. Die kennen Sie sicher aus den Geschichtsbüchern. Jedenfalls
war da plötzlich diese Leere. Keine Vorplanungen, keine Fahrt zur Messe,
keine Veranstaltungen, Gespräche, Empfänge, Umtrünke, Partys,
Peinlichkeiten – nichts. Wir saßen zu Hause und taten das Übliche: Alltag.
Mit der Distanz zum Geschehen, mit dem Abstand aber kam dann die Idee mit
der Buchmesse als Heist-Movie. Das Verblüffende ist ja: Dort laufen
Zigtausende Schreiber herum. Die Messe selbst war jedoch bis dahin nie
Schauplatz einer Geschichte gewesen. Nur die ganzen verhinderten
Schriftsteller, die Journalisten, beschrieben in ihren anekdotischen
Artikeln, was wer mit wem hatte. Warum, wieso, wes-halb … langweilig,
uninteressant, öde.
## Identität auf der Spielebene
Dabei lag es doch nahe, einen Filmstoff aus der Buchmesse zu machen. Denken
Sie nur an das Personal: Eine Gruppe Menschen betritt eine Spiel-ebene und
führt zielgerichtet eine Tat aus. Und um unbeschadet auf die Ebene des
normalen Lebens zurückkehren zu können, müssen sie auf der Spielebene
zeitweise eine andere Identität annehmen. Das ist Ihnen zu theoretisch?
Nehmen wir mal ganz praktisch den Film „Reservoir Dogs“ von Tarantino.
Kennen Sie, nicht wahr?
Da treffen sich „wilde Hunde“, die gemeinsam ein Verbrechen begehen. Um sie
zusammenzuhalten und allen die sichere Rückkehr zu garantieren, bekommen
sie die gleichen Namen, die so gleich nicht sind. Die Idee mit den
Farbnamen geht schon zurück auf den Gangsterfilm mit der U-Bahn-Entführung
„Pelham 123“, oder so. „Mr. Orange“ und „Mr. Brown“. „Mr. Pink“…
„Mr. Pink“ sein. Die Identitätsfindung als Gangster ist auch nicht leicht.
Die fiktiven Figuren meutern sozusagen gegen den Autor. Das entwickelt eine
ganz eigene komische Metaebene des Spiels.
Wie? Was? Was das noch mit der Buchmesse und der ersten Million zu tun hat?
Ja, ich schweife ab. Aber das ist das Privileg alter Männer. Versprochen:
Ich krieg schon die Kurve …
Nehmen wir „La casa de papel“. Die Namen der Protagonisten sind genial. Die
Räuber bekommen in der Serie „Haus des Geldes“ alle Städtenamen: „Tokio…
oder „Rio“. „Stockholm“ wird nach dem Stockholm-Syndrom benannt und ihr
Kind als tarantinoeske Anspielung auf die Filmgeschichte zu
„Cincinnati“-Kid. Jeder nimmt die Rolle seiner Stadt mit ihrer Bedeutung
an: Der arrogante nordisch schwule Leader heißt „Berlin“, die gegen ihn
rebellierende, südländisch feministische Kämpferin „Nairobi“ – sie sagt
übrigens einen meiner Lieblingssätze der Filmgeschichte: „Damit fängt das
Matriarchat an!“ „Nairobi“ als moderne Ma Baker. Die Mutter aller
Gangster. Was nicht lange gutgehen kann. Aber ich will mich nicht
verfransen …
## Schriftstellernamen auf Schildern
Jedenfalls kam ich sofort auf die Idee, meine Helden nach Schriftstellern
zu benennen. Das liegt ja auf der Hand. Wegen der Buchmesse. Namen sind
eben nicht Schall und Rauch. Denken Sie nur an die Namensschilder auf der
Messe. Wer wichtig ist, trägt eines. Aber niemand merkt sich im Gespräch
den Namen des Gegenübers, jeder vergisst ihn sofort wieder, sodass alle
immer auf den Schriftzug linsen, der nie richtig zu lesen ist.
Wie bei Tarantino mussten sich die Banditen in meiner Geschichte akribisch
an die Namensgebung halten. Wissen Sie, die eigentliche Handlung mit dem
Überfall auf den prall gefüllten Tresor der Buchmessenkasse war letztlich
zusammengefantert. Das gibt es in Wahrheit gar nicht. Aber das war auch
nicht so wichtig. Genau so wie das ganze Geballere und die Action. Zum
Ausgleich der Spannung sollte das komische Element von den Charakteren
kommen, die zur Tarnung die Identitäten vergeistigter Schriftsteller
annahmen und auch wie sie agierten. Dann konnte man all die Anekdoten und
Beobachtungen von den unzähligen Buchmessen, die man besucht hatte, in die
Figuren und ihre Beziehungen einfließen lassen.
„Peter Handke“ als Gangsterboss. Das führt dann zu denkwürdigen Dialogen.
Zum Beispiel, wenn die Geiseln vor dem Tresorraum stehen, der Alarm
ausgelöst wird und „Elfriede Jelinek“ den Anführer der Bande auffordert,
loszuschlagen: „Wir sind umzingelt. Hast du die Eier, eine Geisel
abzuknallen, Peter Handke?“ Und „Peter Handke“ einen Moment lang an sich
zweifelt, dann aber die Lage beruhigt: „Halt die Klappe, Elfriede Jelinek!“
Ich glaube, wegen diesen Dialogen wurde der Film ein solcher Erfolg. Und
wegen Szenen wie der, als „Elfriede Jelinek“ später „Peter Handke“
erschießt und die Führung an sich reißt. Noch viel besser ist, wenn
„Elfriede Jelinek“ plötzlich der echten Elfriede Jelinek am Verlagsstand
gegenübersteht: „Jelinek, Elfriede Jelinek“, stellt die Falsche sich vor.
„Ach, ich dachte, das wäre ich“, antwortet die Echte.
Das war ein Riesencoup, dass die Literaturnobelpreisträgerin in unserem
Film mitgespielt hat. Es hat ihr wohl gefallen, das Spiegelbild einer
mordlüsternen Heroine oder blutrünstigen Killerin zu geben. Ich hatte sie
nur zum Spaß angeschrieben, aber sie war sofort Feuer und Flamme und sagte
zu. Sonst ist sie ja nie zur Buchmesse gekommen. Das war ihr zu langweilig.
Und jetzt wurde sie plötzlich Filmstar.
So machte ich meine erste Million. Und so irre war damals die Buchmesse.
17 Oct 2020
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Film
Elfriede Jelinek
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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