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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Blink-Nazi
> Tirade eines Verkehrsteilnehmers, der mit seinem Fahrtrichtungsanzeiger
> Zeichen setzt – gegen Merkel, gegen Corona, gegen alles!
Bild: Für Radfahrer blinkt der Verweigerer schon lange nicht mehr
Ich hab immer geblinkt. Immer! Seit meiner ersten Fahrstunde. In der
Prüfung hat mich der Fahrlehrer noch gelobt: Ich sei der beste Abbieger,
der ihm je untergekommen sei. Blinken war mein Leben. Genau nach Gesetz und
Vorschrift: „Beim Abbiegen muss durch das deutliche und mindestens
dreimalige Aufleuchtenlassen des entsprechenden Fahrtrichtungsanzeigers der
Richtungswechsel nach links oder rechts angekündigt werden.“ Ich kann den
Wortlaut noch immer im Schlaf aufsagen. Ich hab meine Autos sogar nach den
Blinkern ausgesucht. Ich war der größte Blinker unter der Sonne.
Ich habe geblinkt bis zum Gehtnichtmehr. Ich freute mich auf jede
Abbiegespur, auf jede Ampel. Und hab beim Blinken sogar meine Frau
kennengelernt. Sie kommt von hier, ich von da, sie will links abbiegen, ich
rechts, und dann kamen wir uns näher. Wie das so ist. Später hat sie mir
gestanden, dass sie schon beim Blinken gemerkt hat, wie sanft ich den
Fahrtrichtungsanzeiger betätige. Wo die Liebe so hinblinkt.
Ich habe das Blinken geliebt. Was für andere Regen war, der ans Fenster
klopft, war für mich dieses sanfte Tik-Tik-Tik. Wenn du den Hebel berührst.
Dieser Sound – sooo … der ging direkt in den Bauch. Gab immer die Richtung
vor. Man fühlte sich geborgen, umsorgt, zu Hause.
Und dann kam Merkel! Am Anfang habe ich einfach weitergeblinkt. Die
Osttante werden wir schon ausbremsen. Habe ich immer gesagt. Und dann habe
ich gehupt, statt zu blinken. Aus Spaß. Einmal, zweimal, dreimal. Und dann
wurde es immer mehr. Eigentlich immer weniger mit dem Blinken. Ich bin
abgebogen und habe einfach nicht mehr geblinkt. Wegen der Krise. Und diesen
Panzern.
## Straßenpanzer im Rückspiegel
Alles fing an mit der Finanzkrise 2008. Da war mir klar: Merkel ist schuld.
An den Banken. Am Euro. An den Schulden. Den Griechen. Und an den Panzern.
Also ich fahr ja schon keine kleine Kiste, aber diese SUVs – alles Banker!
Hab ich gesagt. Und dann wollte ich ein Zeichen setzen. Oder vielmehr
keines. Immer wenn ich einen von diesen Straßenpanzern im Rückspiegel
gesehen habe, dachte ich: Wieder so ein Banker! Dem schieben wir jetzt
unser sauer verdientes Geld hinten und vorne rein. Und dann kauft der sich
so einen Riesenschlitten und fährt hinter mir her. Na, dem werd ich’s
zeigen: Und dann habe ich nicht mehr geblinkt.
Als Nächstes kam die Flüchtlingskrise 2015. Merkel holt die alle in unser
Land. Und die fahren hinter mir her mit ihren Turbanen und Schleiern. Und
ich soll blinken? Nicht mit mir! Nicht für die! Ich bin gar nicht mehr
abgebogen! Immer schön geradeaus. Aus Protest gegen Merkel. Und wenn ich
mal musste, weil meine Frau sich beschwerte über die langen Umwege, dann
bin um die Kurve, aber so was von schnittig, rassig, schnell! Da hab ich
diesen Leuten gezeigt, was ’ne deutsche Harke ist. Ohne Blinker. Das kann
nicht jeder.
Und dann kam Corona 2020. Da holt Merkel dieses Virus ins Land. Und wir
sollen Mucksmäuschen spielen. Wozu blinken, wenn sowieso alles stillsteht.
Hab ich gesagt. Braucht niemand. Und die Straßen waren eh leer. Hätte gar
keiner gesehen, meine Blinker. Dabei waren die natürlich wie immer auf
Hochglanz poliert. Aber wenn da so ein alter Mann im Wagen hinter mir
herschlich, Typ Greis mit Hut, Hochrisikogruppe hoch zehn – da hab ich erst
recht nicht geblinkt. Der ist ohnehin demnächst tot. Warum soll ich da
jetzt noch blinken für den?
## Abbiegen unter Protest
Obwohl – ich muss zugeben: Ich vermisse das warme Tik-Tik-Tik, Tik-Tik-Tik
… aber man kann ja sonst nichts machen. Als anständiger Bürger. Ich geh
doch nicht auf die Straße. Da fahr ich nur durch. Und bieg dann ab, aber
nur noch unter Protest. Ohne Blinken. Und jetzt blinke ich eben für
niemanden mehr – nicht für Auto- oder Radfahrer, nicht für Mütter mit
Kinderwagen, nicht für spielende Kinder, Katzen und Hunde. Aus! Ende!
Schicht!
Ich wollte schon eine neue Partei gründen: Nicht-Blinker gegen Merkel. Die
NBGM. Wir würden 20 Prozent kriegen. Bei Wahlen. Ich bin doch nicht allein.
Ich seh’s überall da draußen. Da blinkt doch keine Sau mehr. Wir sind die
nichtblinkende Mehrheit. Und wenn wir gewählt werden, erst an der Macht
sind, dann wird Nichtblinken Gesetz. Versprochen! Nicht nur in Deutschland,
morgen für die ganze Welt. Wir sind zum Letzten gezwungen und darum zum
Letzten entschlossen. Nur der Tod weist uns den Weg. Die Zeit des Blinkens
ist endgültig vorbei!
Tja, wenn man so ins Blinken kommt … Meine Frau hat mich neulich verlassen.
Hat’s nicht mehr ausgehalten. Hat sie gesagt. Und die Koffer gepackt.
Zurück zu Mutti. Weg war sie. Merkel aber ist noch da. Und Corona. Und die
Flüchtlinge. Und die Banker. Und ich. Allein. Ohne Blinker. Dann kauf ich
mir eben einen Abbiegeassistenten. Soll der doch blinken wie ’ne
Bordelltür.
11 Aug 2020
## AUTOREN
Michael Ringel
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