# taz.de -- Die Wahrheit: Die Hörner des Präsidenten | |
> Der letzte amerikanische Traum: Wie ich einmal ein güldenes Geheimnis | |
> frisierte, vergrub und letztlich doch verriet. | |
Bild: Nachdem das Geheimnis gelüftet war, gab es überall Tumulte | |
Als die Wiederwahl des Präsidenten anstand, ließ er mich in sein ovales | |
Büro kommen. Bis dahin war alles, was der Präsident berührt hatte, zu Gold | |
geworden, seine Hotels, seine Frauen, selbst sein eigenes Haar erstrahlte | |
gülden. Er aber bestimmte, dass nur ich die Haarpracht in der ihm genehmen | |
Form schneiden dürfte. | |
Die Frisur des Präsidenten? Damit sollte mich in diesen schweren Zeiten | |
abgeben? Waren nicht Äußerlichkeiten längst verblasst? Zählten mittlerweile | |
nicht allein die inneren Werte? Der Präsident wischte meine Einwände brüsk | |
beiseite. Als Fremder aus der Heimat seiner Vorfahren hätte ich keine | |
Freunde im Establishment der Hauptstadt und könnte somit ein Geheimnis wohl | |
bewahren. | |
Der Präsident warnte mich drei Mal eindringlich, dass ich das Geheimnis | |
nicht verrate, sollte er es jedoch von jemandem hören, werde er mir die | |
CIA, die NSA, die DEA, das FBI und den NCIS auf den Hals hetzen, die mich | |
je nach Lust und Laune vierteilen oder steinigen, rädern oder schmäuchen, | |
zermalmen oder zersägen dürften. Ich würde jedenfalls mausetot sein. | |
Ich versprach ihm also, das Geheimnis zu bewahren, und wurde sein | |
persönlicher Haarschneider. Im selben Augenblick lüftete der Präsident den | |
Schopf auf seinem Kopf und darunter kamen zu meiner großen Überraschung | |
zwei Hörner zum Vorschein. Sie waren dick und kurz und leuchteten rot im | |
Dunkeln. Vor Schreck rief ich laut: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem | |
Kopf.“ | |
## Hände vor dem Mund | |
Er aber hielt mir seine beiden Riesenhände vor den Mund, damit mich niemand | |
hören konnte, und warnte mich noch einmal, niemals die Weltpresse zu | |
informieren, damit sie sein dunkles Geheimnis nicht unters Volk brächte. | |
Das Volk würde ihn sonst sofort verjagen. | |
Vorsichtig griff ich zur Schere, immer bemüht, die unheimlichen Hörner | |
nicht zu berühren und seine biberpelzgleichen Haare so vorteilhaft wie | |
möglich aussehen zu lassen, damit er wiedergewählt werde und mein Leben | |
verschone. Und so ging es Woche um Woche im Wahlkampf, und ich wurde immer | |
schweigsamer und verschlossener. Aber hat je ein Mensch einen stummen | |
Friseur gesehen? Einen, der still vor sich hin schnippelt? Ich wusste, dass | |
ich irgendwann mit dem Geheimnis herausplatzen würde und dass es dann um | |
mich geschehen wäre. | |
Die Last auf meiner Seele wurde so groß, dass ich eine serbische | |
Wunderheilerin in New York aufsuchte. Sie hatte den dicksten Hintern der | |
Welt, aber das hatte so wenig mit ihrem Heilmittel zu tun wie die Tatsache, | |
dass ihr Mann Schauspieler war in einer Serie, die „Recht und Ordnung“ | |
hieß. Genau wie der Wahlkampfslogan des Präsidenten. | |
Die Heilerin, deren eisiger Mann den Namen Tutuola trug, schlug mir vor, | |
etwas zu tun, was bei den Griechen wie den Yoruba üblich sei. Dort gehe | |
einer, der ein Geheimnis nicht mehr für sich behalten könne, es aber | |
loswerden wolle, hin und grabe ein Loch. Da hinein rufe er es und bedecke | |
es dann mit Erde, damit es für immer darin verbleibe. Sie selbst habe die | |
Methode bereits einmal angewandt, und es habe ihr tatsächlich geholfen. | |
Allerdings sei ihr ein wahrlich gewaltiges Hinterteil gewachsen und selbst | |
ein Seelendoktor aus dem schönen Wien könne den Vorgang nicht erklären, was | |
aber auch nicht nötig sei, da sie und ihr Gatte mit ihrem Körper nach der | |
entrümpelten Seelenlast sehr zufrieden seien. Mir werde es bestimmt ähnlich | |
ergehen. | |
## Motel in der Wüste | |
Nicht ausmalen wollte ich mir, wo und an welcher Stelle mir etwas wachsen | |
würde, doch bevor die inneren Konflikte mich überwältigen konnten, | |
beschloss ich, ihrem Rat zu folgen. Ich suchte also eine von der Hauptstadt | |
weit entfernte einsame Gegend auf, fuhr in die Mojave-Wüste und | |
übernachtete in einem heruntergekommenen Motel im Flecken Tecopa. | |
Am nächsten Morgen wanderte ich hinaus ins Death Valley. Als ich den von | |
Menschen am wenigstens frequentierten Punkt erreicht hatte, kniete ich mich | |
nieder, grub mit bloßen Händen ein Loch, schrie hinein: „Der Präsident hat | |
zwei Hörner auf dem Kopf“, bedeckte das Loch mit Erde und kehrte zurück in | |
die Hauptstadt, um meine Tätigkeit wieder aufzunehmen. | |
Es war eine große Erleichterung. Auch wenn der Präsident misstrauisch | |
blieb. Zu Recht! Denn zum ersten Mal seit Menschengedenken hatte es in der | |
Nacht nach meiner Grabung im Tal des Todes geregnet. An ebenjener Stelle | |
wuchs nun über dem Loch rasend schnell ein Binsengewächs, das eine alte | |
Binse wahrmachen sollte: „Eines Tages kommt alles zurück.“ | |
Es begab sich nämlich, dass ein ehrwürdiger Häuptling vom Stamme der | |
Shoshonen auf einer sentimentalen Wanderung durch die Wüste die | |
Binsenpflanze entdeckte und die harten Gräser zu einem Posthorn flocht, auf | |
dem er simsen wollte. Er konnte sich leider kein hochwertiges Smartphone | |
leisten und musste auf Naturprodukte zurückgreifen. Deshalb funktionierte | |
das Binsenhorn auch nicht so gut wie ein gewöhnliches Mobilfunkgerät. Statt | |
die Nachrichten des Häuptlings zu übermitteln, sandte das Binsenhorn immer | |
nur eine einzige SMS hinaus: „Der Präsident hat zwei Hörner auf dem Kopf.“ | |
Es kam, wie es kommen musste, wenig später erreichte die SMS Wolf Blitzer | |
von CNN, der sofort „Breaking News“ verkündete und im „Situation Room“… | |
Nachricht aller Nachrichten enthüllte: „Der Präsident hat zwei Hörner auf | |
dem Kopf.“ | |
## Blick mit wilden Augen | |
„Fake!“, rief der Präsident und erbleichte. Dann sah er mich mit wilden | |
Augen an, denn ich schnitt ihm gerade wieder einmal die Haare. Natürlich | |
dachte er, dass ich CNN sein Geheimnis verraten hatte, aber ich konnte ihm | |
glaubhaft versichern, dass ich nichts mit den Shoshonen und ihrem Häuptling | |
zu hatte. Ich war schließlich nicht Karl May! Und ein Friseur und eine | |
Binse, das passte doch auch kaum zusammen, behauptete ich und erschrak | |
fürchterlich, als ich in den Spiegel sah. Mir war eine cyranesk lange Nase | |
gewachsen. | |
Bevor sich jedoch der Zorn des Präsidenten auf mich verfestigen konnte, | |
überschlugen sich die Ereignisse, da das gemeine Volk aufs Höchste | |
verwundert war und sich fürchtete. Einige meinten, man müsse den | |
Präsidenten auf der Stelle fortjagen, andere erklärten, es sei besser, ihm | |
lediglich die Hörner abzuschneiden, habe er doch ein gutes Händchen für die | |
Lösung aller Probleme. | |
Als man sich aber nicht auf einen goldenen Handschlag für ihn einigen | |
konnte, fingen die Anhänger des Präsidenten an, auf die einzuschlagen, die | |
nicht mehr Anhänger des Präsidenten waren. In wenigen Stunden gab es einen | |
fürchterlichen Tumult im ganzen Land. Weil mich manche seiner Gegner an | |
meinem Riesenorgan als seinen persönlichen Haarschneider erkannten, machten | |
sie auch Jagd auf mich, zum Glück konnte ich unbeschadet ins Land der | |
deutschen Pygmäen fliehen. | |
Von dem Kleinstaat aus betrachtet, ließ sich der gordische | |
Schlamasselknoten nicht mehr durchschlagen. Und so rettete ich mich | |
zumindest auf eine schwersymbolische Ebene, die spätere Generationen von | |
Germanisten bitte dechiffrieren sollen, während ich noch immer meinen | |
Enkeln vom großen schiefgelaufenen amerikanischen Traum erzählen werde. | |
2 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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