# taz.de -- Diskussion um Straßennamen: Luther soll runter vom Schild | |
> Eine Initiative hat sich die Umbenennung der Martin-Luther-Straße in | |
> Schöneberg zum Ziel gesetzt. Die Parteien im Bezirk sind skeptisch bis | |
> ablehnend. | |
Bild: Wie soll man an ihn erinnern? Denkmal für Martin Luther auf dem Markt in… | |
BERLIN taz | Immer wieder werden Straßennamen zum Politikum. Nach der | |
jahrelangen Debatte über Umbenennungen im Weddinger „Afrikanischen Viertel“ | |
[1][überraschte der Bezirk Mitte kürzlich mit der Ankündigung], die | |
Mohrenstraße in Mitte solle bald an den Philosophen Anton Wilhelm Amo | |
erinnern. Jetzt meldet sich eine Initiative zu Wort, die einen besonders | |
prominenten Mann vom Schild heben will: Martin Luther. | |
Der Reformator habe „in seiner Zeit für ausgebeutete Menschen, Minderheiten | |
und Frauen eine sehr negative Rolle gespielt und – wo immer es ging – Öl | |
ins Feuer der Auseinandersetzungen gegossen und bitterbösen Hass gesät“, | |
schreibt die Gruppe in einem Papier, das der taz vorliegt. „Zudem ist sein | |
Name Symbol für obrigkeitsstaatliche Hörigkeit bis ins Preußische | |
Kaiserreich hinein. Für die Menschen unserer Zeit ist sein Name nicht | |
erinnerungswürdig!“ | |
Dabei schien der 1546 gestorbene Eislebener gerade wieder an Popularität zu | |
gewinnen: Als sich 2017 sein „Thesenanschlag“ von Wittenberg zum 500. Mal | |
jährte, betrieben Kirchen, Bundesländer und Kommunen viel Aufwand, dem | |
abtrünnigen Mönch und Theologieprofessor ein cooles Image anzudichten. Es | |
gab Luther-Musicals, Luther-Playmobilmännchen und Luther-Comics, | |
Kinderbücher und Tourismuskampagnen. | |
All das konnte nicht verhindern, dass die wachsende Beschäftigung mit der | |
historischen Figur auch deren problematisches Gedankengut wieder ans Licht | |
brachte. Denn Luther war alles andere als tolerant: Er hetzte gegen Juden, | |
predigte die Verfolgung aufständischer Bauern, machte Frauen verächtlich, | |
nannte Muslime „Diener des Teufels“ und forderte, behinderte Kinder zu | |
ertränken. Auch wenn viele ChristInnen sich heute für Gleichberechtigung | |
und Diversität einsetzen – Martin Luther stand für das exakte Gegenteil. | |
## Mögliche Alternative: eine Prista-Frühbottin-Straße | |
„Prista-Frühbottin-Straßen-Team“ nennt sich die Initiative, die daraus nun | |
Schlüsse zieht. Der von ihr vorgeschlagene Ersatzname soll an eine | |
Wittenbergerin erinnern, die 1540 als „Hexe“ verbrannt wurde. Luther, der | |
mit seinem Teufels- und Hexenglauben fest im Mittelalter verwurzelt war, | |
habe diese Hinrichtung befürwortet, heißt es in dem Papier. Auch wenn die | |
schlimmste Zeit der Verfolgung erst nach Luthers Tod begann, habe dieser | |
bereits dazu aufgerufen, „Zauberinnen“ zu töten. | |
Der Aufruf, den das „Team“ an SPD, Linke und Grüne in Tempelhof-Schöneberg | |
verschickt hat, beschreibt exemplarisch nicht nur Luthers tödlichen | |
Hexenwahn, sondern auch seine Haltung gegenüber den Bauern und den Juden. | |
Erstere wagten damals den Aufstand gegen die Feudalherren – und Luther, der | |
sich unter den Schutz des sächsischen Kurfürsten begeben hatte, schrieb, | |
man solle die Rebellen „wie tolle Hunde totschlagen“. | |
Die antijüdischen Schriften des Reformators wirken beklemmend prophetisch, | |
etwa jene, die die Juden als „unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück“ | |
bezeichnete und die Obrigkeit aufrief, Synagogen niederzubrennen, Juden | |
Zwangsarbeit verrichten zu lassen und Rabbiner unter Todesdrohung am Lehren | |
zu hindern. Ein Antisemit im rassistischen Sinne der Nazis war er wohl | |
nicht, jedoch wurde Luther von diesen durchaus als Kronzeuge begriffen. | |
Dass die Pogromnacht von 1938 auf den Geburtstag des Kirchenmanns fiel, | |
wurde nicht nur von den „deutschen Christen“ als Erfüllung eines | |
historischen Auftrags verstanden. Heute beschreibt die Evangelische Kirche | |
in Deutschland (EKD) Luthers Judenfeindschaft als „schwere Hypothek für die | |
reformatorische Bewegung“ – eine grundlegende Distanzierung bleibt aus. | |
## Der preußische „Staatsheilige“ | |
Für das „Prista-Frühbottin-Straßen-Team“ steht fest: Dass die Straße | |
zwischen Wittenberg- und Innsbrucker Platz 1899 nach Luther benannt wurde, | |
liege daran, dass das preußische Kaiserhaus im neuen Reich einen „starken, | |
der Krone ergebenen Protestantismus“ als Staatskirche brauchte. „Die | |
Preußen hatten Martin Luther als neuen Staatsheiligen, gewissermaßen als | |
Propheten der Reformation auserkoren, nach dem sie nun Straßen, Kirchen und | |
Krankenhäuser benennen ließen.“ | |
Gegenüber der taz sagt der Sprecher der Initiative, Volker Schorling, auch | |
„Straße der Reformation“ komme als neuer Name infrage: „Unser Thema ist | |
nicht die Reformation in ihrer Bedeutung für die Frühe Neuzeit und die | |
Aufklärung“, so Schorling. „Das Ganze war ja eine Denkrichtung.“ Luthers | |
Prominenz bis heute verdanke sich ausschließlich seiner „Anbiederung an | |
fürstliche Macht und die staatliche Autorität generell“. | |
Von den Angeschriebenen habe nur die Linke reagiert, sagt Schorling – und | |
zwar mit freundlicher Ablehnung. In einer E-Mail, die der taz vorliegt, | |
schreibt der Bezirksvorsitzende von Tempelhof-Schöneberg, Alexander King, | |
seine Partei sehe „viele gute Gründe“ für eine kritische | |
Auseinandersetzung. Man unterstütze das „Anliegen, eine kritische Sicht auf | |
Martin Luther zu verbreiten“, aber nicht eine Umbenennung der Straße. | |
„Wir halten Straßenumbenennungen nicht in jedem Fall für geeignet, um ein | |
kritisches Bewusstsein von der eigenen Geschichte zu gewinnen“, so King. Es | |
müssten, je nach Fall, „andere Wege gesucht werden“. Für die AnwohnerInnen | |
führe eine Umbenennung „in erster Linie zu Verdruss, vor allem in einer | |
Straße mit derart vielen Betroffenen wie der Martin-Luther-Straße“. | |
## Für die SPD ist Luther kein Thema | |
Auf taz-Nachfrage äußerten sich auch Grüne und SPD: Der Vorsitzende der | |
BVV-Grünen-Fraktion, Rainer Penk, bestätigte, das Papier der Initiative zu | |
kennen, monierte aber, die UrheberInnen hätten sich nicht namentlich | |
offenbart. „Ein solches Anliegen wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, die | |
wir gerne mit Vertretern der Initiative besprochen hätten.“ Die Grünen | |
seien „gerne bereit, dieses Gespräch jederzeit zu führen, sobald uns | |
entsprechende Kontaktdaten zur Verfügung stehen“. Denkbar wäre auch, ein | |
Historiker-Gutachten in Auftrag zu geben, um das Für und Wider einer | |
Umbenennung zu prüfen. | |
Weniger gesprächsbereit zeigt sich Oliver Fey, stellvertretender | |
Vorsitzender der SPD-Fraktion: „Eine Umbenennung der Martin-Luther-Straße | |
ist derzeit kein Thema.“ | |
30 Sep 2020 | |
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[1] /Rassistische-Strassennamen-in-Berlin/!5703279/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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