| # taz.de -- Solisampler für den Libanon: Beirut, wir hören Dich! | |
| > Das Berliner Label Habibi Funk hat sich auf arabische Musik | |
| > spezialisiert, die man kennen sollte. Jetzt hat es mit einem Solialbum | |
| > für Beirut Erfolg. | |
| Bild: Das durch die Explosion zerstörte Hafenareal in Beirut | |
| Entsetzen, nicht mehr, nicht weniger. Die Bilder [1][von der gigantischen | |
| Explosion] am 4. August im Beiruter Hafen verstörten, ließen einen | |
| ohnmächtig darnieder sinken, auch, weil die Ursache nach wie vor nicht | |
| geklärt ist. Die [2][Verzweiflung der Bevölkerung in der libanesischen | |
| Hauptstadt ist real] – man befürchtete zwischenzeitig, dass die | |
| „Politik-Eruption“ den Fokus der Welt schon wieder verschieben könnte. Ganz | |
| pessimistische Geister munkelten in den sozialen Medien schon am Folgetag, | |
| dass die große Solidarität – im Gegensatz [3][zum Großbrand der Kirche | |
| Notre-Dame] in Paris – womöglich ausbleiben würde. Denn die Welt war in den | |
| letzten knapp 50 Jahren stets gut darin, das Leid der Libanesen und der | |
| Beiruter Bevölkerung einfach zu ignorieren. Sie täuschten sich. | |
| Man bedenke: Auch schon vor der Explosion, die mittlerweile mehr als 170 | |
| Menschen das Leben kostete (viele werden noch vermisst) und mehr als 5.000 | |
| Verletzte forderte, waren die Einwohner des levantinischen Landes schwer | |
| gezeichnet durch Inflation und Staatskrise. 65 Prozent der Bevölkerung | |
| waren Schätzungen zufolge in die Armut gerutscht; hier in Deutschland | |
| erfuhr man wenig davon. Das war nicht immer so. | |
| Ältere Semester erinnern sich gerne an die Zeit vor dem Bürgerkrieg, als | |
| der Libanon die „arabische Schweiz“ genannt wurde und Beirut als „Paris d… | |
| Levante“ galt. [4][Kulturelle Vielfalt], religiöse Offenheit, ein | |
| Sehnsuchtsort für europäische Hippies, Aussteiger und Existenzialisten. | |
| 1975 begann der Bürgerkrieg, der bis 1990 dauern sollte, mit ständig | |
| wechselnden Koalitionen, Feindbildern, internationalen Eingriffen aus | |
| Syrien, Israel und den Vereinten Nationen – Material für | |
| Geschichtsseminare. Dies führte in Folge zu flüchtenden Menschen und | |
| Exilanten. Einer unter ihnen ist der Songwriter Issam Hajali, der zumindest | |
| für 13 Monate ins Exil nach Paris ging. | |
| Der frankophone Libanese war zwar notorisch klamm, was ihn zu ausgeprägten | |
| Live-Sessions als Musiker in der Pariser Metro zwang, doch er hatte | |
| Größeres im Sinn. Wenn er genügend Geld für einen Studiotag erspielt hatte, | |
| [5][buchte er sich ein und produzierte dort] – zusammen mit befreundeten | |
| (Straßen-)Musikern aus dem Libanon, aus Paris, aus dem Iran. | |
| Als Hajali in den Libanon zurückkehrte, ging die künstlerische Karriere | |
| weiter, mit der Band Ferkat Al Ard entstand ein Titel, der übersetzt „Lied“ | |
| heißt. Warum wir dies wissen? [6][Das Berliner Label Habibi Funk] erzählte | |
| jene Geschichte, als [7][Issam Hajalis Soloalbum vom Labelmacher Jannis | |
| Stürtz neuaufgelegt wurde]. | |
| Und noch viele weitere Storys und Lebensläufe wurden von Stürtz und dem | |
| Label wieder zugänglich gemacht, nein, für den „Westen“ als Vinyl | |
| aufbereitet. Das 2015 gegründete Sub-Label des HipHop-Labels Jakarta | |
| [8][hat sich spezialisiert auf Künstler*innen, die aus der Levante, aus | |
| Arabien und aus dem Maghreb stammen], die man aber hierzulande nicht kennt | |
| – aber unbedingt kennen sollte. | |
| [9][Jede Geste von Habibi Funk ist bedacht], kulturellen Austausch | |
| anzustoßen und jegliches Moment der Ausbeutung, welche bei anderen | |
| Re-Issue-Labels manchmal bemerkbar ist, zu vermeiden. | |
| Und weil Habibi Funk so sehr von Musiker*innen wie Issam Hajali, Róger | |
| Fakhr und Munir Khauli profitiert hat, gibt das Label nun in dieser | |
| Notsituation alles zurück: [10][„Solidarity with Beirut“, eine spontan | |
| zusammengestellte Compilation] mit atemberaubender Musik aus dem Libanon | |
| ist online erhältlich, alle Einnahmen aus dem Verkauf fließen an das | |
| libanesische Rote Kreuz! | |
| Und der Erfolg bei dem Digitalverkauf- und Streamingportal Bandcamp stellte | |
| sich glücklicherweise bald ein: Innerhalb der ersten 24 Stunden sammelte | |
| man 10.000 Euro. Jeder weitere Cent zählt – und dass man dazu noch sieben | |
| Zeugnisse grandiosen libanesischen Songwritings obendrauf bekommt, macht es | |
| für manch einen einfacher. Denn ja: Beirut, wir hören dich! | |
| 19 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Explosion-im-Libanon/!5705536 | |
| [2] /Nach-der-Explosion-in-Beirut/!5701659 | |
| [3] /Nach-Brand-in-Notre-Dame/!5586980 | |
| [4] /DJ-Rabih-Beaini-zu-Explosion-in-Beirut/!5703120 | |
| [5] https://youtu.be/1jNbJuRhuYc | |
| [6] https://habibifunkrecords.bandcamp.com/ | |
| [7] https://habibifunkrecords.bandcamp.com/album/habibi-funk-010-mouasalat-ila-… | |
| [8] /Arabische-Popmusik-aus-den-Siebzigern/!5476609 | |
| [9] /Labelchef-ueber-Postkolonialismus/!5592177 | |
| [10] https://habibifunkrecords.bandcamp.com/album/habibi-funk-014-solidarity-wi… | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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