# taz.de -- Hisbollah im Libanon: Der Knall hallt nach | |
> Drei Wochen nach der Explosion in Beirut sind viele Fragen offen. Die | |
> Hisbollah will von dem Ammoniumnitrat nichts gewusst haben. Ist das | |
> glaubwürdig? | |
Bild: Der Hafen wurde bei der Explosion am 4. August völlig zerstört | |
In den Tagen nach der Explosion haben die Libanes:innen Besseres zu tun, | |
als den Worten ihrer Politiker zu lauschen. Sie müssen die Verletzten | |
versorgen, die Straßen freiräumen. Tagelang fegen sie Glas zusammen. Sie | |
kleben Folien in leere Fensterrahmen, bieten einander Schutz, sie verteilen | |
Medikamente, Lebensmittel, Kleidung. Sie protestieren, und sie schimpfen. | |
Auf ebendiese Politiker, von denen sie nun wissen, dass sie nicht nur | |
versäumt haben, ihnen einen funktionierenden Staat zu bieten, sondern auch, | |
sie zu schützen. Sie schimpfen auf sie alle: auf Staatspräsident Michel | |
Aoun, Parlamentssprecher Nabih Berri, Politikveteran Walid Jumblatt und | |
auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. An zertrümmerte Hauswände werden | |
Galgen gemalt, darunter die Konterfeis oder Namen von allen vieren. | |
Eine Frage hört man immer häufiger zwischen dem Aufstellen von Möbeln, dem | |
Zusammenfegen von Glas: Wie viel wusste die Hisbollah von den 2.750 Tonnen | |
Ammoniumnitrat, die seit 2013 im Hafen von Beirut lagerten und am 4. August | |
2020 explodierten? Die mehr als 180 Menschen töteten und über 7.000 | |
verletzten? Auch weil verschiedene ausländische Medien diese Frage jetzt | |
stellen. Denn dass die Hisbollah gelegentlich hochexplosives Material für | |
ihre Vorhaben benutzt und auch mit Ammoniumnitrat handelt, ist bekannt. | |
Laut der Zeitung The Times of Israel vom Mai hatte der israelische | |
Auslandsgeheimdienst Mossad deutsche Dienste bereits darüber informiert, | |
dass die Hisbollah in Hallen in Süddeutschland Ammoniumnitrat lagere. Auch | |
in anderen Ländern soll sie das gefährliche Material aufbewahrt haben. Es | |
lägen jedoch „keinerlei Erkenntnisse oder Anhaltspunkte“ dafür vor, dass … | |
eine Verbindung mit den Chemikalien im Beiruter Hafen gebe, teilte der | |
deutsche Verfassungsschutz mit. | |
Ammoniumnitrat wurde in den vergangenen Jahren immer wieder für | |
Terroranschläge benutzt, etwa 1995 von dem rechtsextremen | |
Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh und 2011 von dem norwegischen | |
Rechtsradikalen Anders Behring Breivik bei seinem Sprengstoffanschlag auf | |
das Bürogebäude des norwegischen Ministerpräsidenten in Oslo. Und Hassan | |
Nasrallah drohte Israel im Jahr 2016 mit einem Angriff auf den Hafen in | |
Haifa, in dem bis zu 15.000 Tonnen Ammonium lagern sollen. | |
Am Freitag nach der Explosion meldet er sich dann öffentlich zu Wort, | |
Sayyed Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Hisbollah. Nicht nur | |
Anhänger:innen der Organisation hören ihm zu. Wenn Nasrallah spricht, | |
geht das über viele Fernsehgeräte, in viele Ohren und Köpfe. Wenn Nasrallah | |
spricht, ist das immer ein kleines Ereignis. Seine Ansprachen finden an | |
geheimen, ständig wechselnden Orten statt, in der Regel wöchentlich. Seit | |
Jahrzehnten ist Nasrallah auf der Flucht vor den Israelis, die ihn als | |
einen der meistgesuchten Terroristen führen. Die Auftritte werden unter | |
strengsten Sicherheitsvorkehrungen minutiös geplant – ein Aufwand, der | |
immer auch etwas Glamour mit sich bringt. | |
„Weder führen wir den Hafen, noch kontrollieren wir ihn, noch mischen wir | |
uns in seine Angelegenheiten ein, noch wissen wir, was dort vor sich geht | |
oder dort lagert“, versichert Nasrallah. Er schwört, er verspricht, | |
gestikuliert und wird laut. Zwischendurch lacht er fast. Wie glaubwürdig | |
sind seine Ausführungen? Wie viel Schuld an der Katastrophe trägt die | |
Hisbollah tatsächlich? Und welche Rolle spielt sie in Libanon, einem Staat, | |
der aus mehreren Gründen vor dem Kollaps steht? | |
Zwei Wochen nach der Explosion veröffentlicht die Welt eine exklusive | |
Recherche, in der sie die Annahme nahelegt, dass das Ammoniumnitrat auf | |
Geheiß der Hisbollah im Hafen lagerte. Sie schreibt, nach „Informationen | |
westlicher Geheimdienste“ habe die Hisbollah große Lieferungen von | |
Ammoniumnitrat erhalten, die in „engem zeitlichem Zusammengang mit dem in | |
Beirut detonierten Material“ stünden. Die Hisbollah habe zwischen Juli 2013 | |
und April 2014 mindestens drei Lieferungen Ammoniumnitrat von Iran | |
erhalten, in einem Umfang von 630 bis 670 Tonnen. Das Material sei per | |
Flugzeug transportiert worden, vermutlich mit einer der offiziell privaten | |
Airlines der iranischen Revolutionsgarden. | |
Demnach hatte die Hisbollah also die Möglichkeit, an Ammoniumnitrat zu | |
gelangen, ohne den Hafen zu nutzen. Und offenbar verfügte sie bereits über | |
enorme Mengen davon – ganz unabhängig von den Tonnen in Halle 12 des | |
Beiruter Hafens. Letztlich geht aus der Recherche nicht hervor, weshalb die | |
2.750 Tonnen Ammoniumnitrat, die im September 2013 auf einem Frachter von | |
Georgien nach Mosambik in Beirut kamen und seitdem im Hafen lagerten, mit | |
den sonstigen Geschäften der Hisbollah in einem direkten Zusammenhang | |
gestanden haben sollen. | |
Recherchen des Spiegels und des Journalistennetzwerks OCCRP konzentrieren | |
sich unterdessen auf das Schiff, mit dem das Material in Beirut angekommen | |
war. Demnach ist dessen wahrer Besitzer ein Zypriot, der Kredite bei | |
ausgerechnet der Bank aufgenommen haben soll, der die USA vorwerfen, für | |
die Hisbollah Geld zu waschen. Einen vorsätzlichen Stopp seines Schiffs in | |
Beirut bestreitet dieser Besitzer jedoch. | |
Gleichzeitig hat die Regierung von Mosambik bestätigt, dass das in Beirut | |
explodierte Ammoniumnitrat ursprünglich auf dem Weg in ihr Land gewesen | |
war. Eine mosambikanische Firma hatte das Ammoniumnitrat aus Georgien | |
bestellt. Dann aber moderte es sieben Jahre lang ohne die gebotenen | |
Sicherheitsvorkehrungen im Hafen von Beirut vor sich hin. | |
Vom Beiruter Flughafen führt die Autobahn M51 hinein in die Stadt, vorbei | |
an den südlichen Vororten der Hauptstadt, der Dahiye, unübersehbar Gebiet | |
der Hisbollah. Wie bei einer Parade zieren Bilder ihrer geistigen Führer | |
die Straße, im Januar kamen Dutzende Bilder des von den USA im Irak | |
getöteten iranischen Generals Qasim Soleimani und des Irakers Abu Mahdi | |
al-Muhandi hinzu. | |
Die Hisbollah springt vor allem für die Schiiten dort ein, wo der Staat | |
versagt. Sie führt Schulen und Krankenhäuser, agiert wohltätig. Als die | |
lokale Währung gegenüber dem Dollar im Laufe des Jahres bis zu 80 Prozent | |
ihres Werts verlor, verteilte sie Brot. Und sie handelt das libanesische | |
Pfund zu einem besseren als dem auf dem Schwarzmarkt gängigen Kurs. Ihre | |
eigenen Angestellten bezahlt sie nach wie vor in Dollar. Das schafft | |
Loyalitäten und Abhängigkeiten – und es spaltet die ohnehin geteilte | |
libanesische Gesellschaft noch stärker. | |
Hamra, ein Viertel, tief im Westen Beiruts. Die renommierte Amerikanische | |
Universität Beirut (AUB) grenzt hier an die Corniche, die Uferstraße. Es | |
gibt breite Einkaufsstraßen und schmale Gassen mit Cafés, Bars und | |
Restaurants. Hamra ist eines der Ausgehviertel Beiruts – jedenfalls wenn | |
nicht gerade eine Wirtschaftskrise den Menschen das Geld aus der Tasche | |
zieht, die Zunahme der Corona-Infektionen das Feiern unmöglich macht und | |
eine Explosion die Menschen so schwer erschüttert hat, dass ohnehin | |
niemandem nach feiern zumute ist. Eine drückende Stille hat sich über diese | |
sonst so laute und lebendige Stadt gelegt. | |
Hamra ist in jeder Hinsicht weit von den Hisbollahvierteln der Dahiye | |
entfernt, trotzdem schlägt Ali Debew vor, sich dort zu treffen, | |
ausgerechnet bei Starbucks. | |
Debew war mehrere Jahre für den politischen Arm der Hisbollah aktiv, für | |
die Partei, die in Libanon im Parlament sitzt. Das macht er jetzt zwar | |
nicht mehr, dennoch ist seine Loyalität zur Hisbollah ungebrochen, er ist | |
ihr Anhänger. Was das genau bedeutet, sagt er nicht, zumindest nicht unter | |
Klarnamen im Gespräch mit westlichen Medien. Debew sagt: „Wir waren | |
überrascht, als wir die Geräusche gehört haben am 4. August. Wir dachten | |
erst, die israelische Armee fliegt ihre verrückten Manöver.“ In der Dahiye, | |
wo Debew lebt, war die Explosion noch immer stark zu spüren, doch hat sie | |
dort weitaus geringere Schäden angerichtet als anderswo in der Stadt. Der | |
Hafen, weit im Norden Beiruts, liegt rund acht Kilometer entfernt. | |
Debew glaubt noch immer, dass die Israelis hinter der Explosion stecken – | |
und versichert, dass die Hisbollah nicht in vollem Umfang informiert war. | |
„Allein schon deshalb, weil wir ja um die Gefahr wissen, dass Israel sich | |
so etwas zunutze machen könnte. Damit hätten wir uns ja gerade angreifbar | |
gemacht.“ Doch räumt Debew auch ein, dass mehrere, wie er sie nennt, | |
„Generäle“ verschiedener Parteien für den Hafen verantwortlich waren, | |
darunter auch jemand von der Hisbollah. „Über die tatsächliche Menge | |
Ammoniumnitrat hat er seine Vorgesetzten nicht informiert, auch nicht | |
darüber, welche Gefahren damit einhergehen. Er hat die falsche Terminologie | |
benutzt. Das war einfach unprofessionell.“ | |
Dass die Hisbollah überhaupt nichts von dem Material wusste, behauptet er | |
nicht. Berücksichtigt man, dass es sich bei dem Hafen um einen der Eingänge | |
ins Land handelt, wäre das auch tatsächlich kaum zu glauben. Eingeweiht | |
waren allerdings auch viele andere – nicht zuletzt Staatspräsident Michel | |
Aoun und Ministerpräsident Hassan Diab, die erst am 20. Juli nochmals | |
darauf hingewiesen worden waren, was da an ihrer Küste vor sich hin modert | |
– 15 Tage vor der Explosion. | |
Miriam Younes ist Leiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beirut. Sie hat | |
sich die Rede von Hassan Nasrallah am Freitag nach der Explosion angesehen. | |
Und sie ist wütend geworden: „Das war eine Unverschämtheit. Wie er dasaß, | |
fast noch gelacht und behauptet hat, von nichts gewusst zu haben. | |
Natürlich hat er das.“ Was eine möglicherweise direkte Verantwortung der | |
Hisbollah angeht, sagt Younes aber auch: „Mit voreiligen Schlüssen wäre ich | |
vorsichtig. Grundsätzlich traue ich der Hisbollah alles zu, aber warum sie | |
solche riesengroßen Mengen Sprengstoff absichtlich über Jahre im Hafen | |
lagern sollte, erschließt sich mir nicht. Dass sie aber immer wieder mit | |
kleinen Mengen handelt, halte ich für realistisch.“ | |
Das Einflussgebiet der Hisbollah erstreckt sich vor allem über den Süden | |
des Landes, von der libanesisch-israelischen Grenze bis eben in die Dahiye, | |
die südlichen Vororte Beiruts. Die Gruppe entstand 1982 im libanesischen | |
Bürgerkrieg als Reaktion auf den israelischen Einmarsch in Südlibanon, | |
offiziell gründete sie sich 1985. Seitdem wird sie von Iran hochgerüstet. | |
Im Anschluss an das Friedensabkommen von Ta’if 1989 sollten alle Akteure | |
ihre Waffen abgeben – was nur die Hisbollah verweigerte: Für sie geht der | |
Widerstand gegen Israel weiter. | |
Als einzige Partei im Land im Besitz von schweren Waffen, fällt ihr ganz | |
automatisch eine Sonderrolle zu. Doch „die Probleme in Libanon auf die | |
Hisbollah zu reduzieren ist ein großer Fehler“, sagt Miriam Younes. „Man | |
stellt sich vor, da zieht diese eine Macht im Hintergrund die Strippen, und | |
das ganze Land hängt an den Fäden. Das lässt die Komplexität Libanons | |
vollkommen außer Acht.“ | |
In Libanon leben 18 anerkannte Religionsgemeinschaften. In manchen Gegenden | |
des Landes hängen Bilder des maronitischen Staatspräsidenten Michel Aoun, | |
die Unterstützung gilt dort seiner Freien Patriotischen Bewegung. Andere | |
Christen unterstützen die Lebanese Forces oder die Kata’ib, zwei rechte | |
christliche Parteien, denen es noch immer gelingt, vor allem junge Leute zu | |
mobilisieren. Der heutige Vorsitzende der Lebanese Forces, Samir Geagea, | |
galt als der wohl brutalste Kriegsherr während des Bürgerkriegs. Nach | |
dessen Ende kontrollierte Geagea die meisten staatlichen Einrichtungen, | |
unter anderem den Hafen von Beirut, über den er durch Import- und | |
Exportgeschäfte Geld für seine Miliz eintrieb. Für seine Verbrechen während | |
des Bürgerkriegs musste Geagea als einziger Verantwortlicher ins Gefängnis, | |
doch ein Amnestiegesetz von 2005 erlaubte seine Freilassung. | |
Im Distrikt Chouf in Zentrallibanon leben Drusen, eine unter sich bleibende | |
religiöse Minderheit. Auch wenn sie einen nur marginalen Teil der | |
Bevölkerung ausmacht, ist ihr politischer Führer, Walid Jumblatt, eine so | |
wichtige politische Figur, dass er letztlich an allem beteiligt ist, was im | |
Land vor sich geht. Die Unterstützung der Schiiten teilt sich die Hisbollah | |
mit der Amal-Bewegung von Parlamentssprecher Nabih Berri, die ähnlich wie | |
die Hisbollah strukturiert ist, sich über Wohltätigkeiten Günstlinge | |
sichert und Gegner durch mafiaähnliche gewalttätige Aktionen einschüchtert. | |
Immer und überall in Libanon agiert ein undurchsichtiges Finanzkartell, an | |
dem Akteure aller Gruppen und Parteien beteiligt sind. | |
Unterdessen üben in der Bekaa-Ebene und in Baalbek im Norden des Landes | |
mitunter riesengroße Familienverbände ihren Einfluss aus – immer auch | |
politisch, ohne sich jedoch einer Partei eindeutig anzuschließen. Teils | |
gehören verschiedene Familienmitglieder sogar unterschiedlichen religiösen | |
Gruppen an. Auch das sind Communitys, die deshalb stark wurden, weil der | |
libanesische Staat für Ansprüche auf Identität und Zugehörigkeit nie eine | |
Alternative bot. | |
Hinzu kommen die Interessen ausländischer Mächte; die Irans und | |
sunnitischer Länder, allen voran Saudi-Arabiens, die die Counterparts der | |
Hisbollah unterstützen; die der USA und Israels. Kurzum: Die Einflüsse sind | |
zahlreich. „Ich würde deshalb auch nicht sagen, dass die Hisbollah die | |
stärkste Kraft im Land ist, die gleich morgen alle Geschicke übernehmen | |
könnte“, sagt Miriam Younes. „Aber auf den Westen wirkt sie aufgrund ihrer | |
Nähe zu Iran und ihrer islamistischen Ausrichtung besonders bedrohlich.“ | |
Was sie auch klarstellt: „Sie darf auf keinen Fall unterschätzt werden.“ | |
Über Jahre sollen Mitarbeiter des Zolls immer wieder vor dem hochexplosiven | |
Material im Beiruter Hafen gewarnt haben. Zwischen 2013 und 2020 waren vier | |
verschiedene Ministerpräsidenten an der Macht, nicht alle standen der | |
Hisbollah nahe. Hisbollah-Anhänger Ali Debew sagt: „Die Hisbollah weiß | |
nicht alles, was in diesem Land vor sich geht. Sie hat große | |
Einflussgebiete, aber die reichen nicht über den gesamten Libanon. Da gibt | |
es viele andere, die mitmischen.“ | |
Die Israelis haben schnell klargestellt, dass sie mit der Explosion nichts | |
zu tun haben. Tatsächlich hat bislang aber auch keine offizielle | |
israelische Stelle die Hisbollah für die Katastrophe am Hafen | |
verantwortlich gemacht. In den Augen des israelischen Iran-Experten | |
Menachem Merchavy vom Truman Institute an der Hebräischen Universität | |
Jerusalem hat die Hisbollah nicht die vollständige Kontrolle über den Hafen | |
– wenn auch eindeutig ihre Finger im Spiel. Doch die Explosion sei weniger | |
Folge mangelnder Sicherheitsvorkehrungen gewesen als in erster Linie die | |
von Missmanagement und Korruption: „Jemand wird viel Geld damit gemacht | |
haben, dass diese gefährlichen Substanzen dort am Hafen gelagert wurden“, | |
sagt er der taz am Telefon. | |
## Die Hisbollah verliert an Rückhalt | |
Die Explosion am Hafen von Beirut ist wie eine Wirklichkeit gewordene | |
Metapher: Misswirtschaft und Korruption stauen sich an und modern so lange | |
vor sich hin, bis sie explodieren und eine ganze Stadt in Schutt und Asche | |
legen, ein ganzes Land in den Abgrund reißen. Seit vergangenem Oktober | |
gehen die Libanes:innen auf die Straße, um gegen genau diese Misswirtschaft | |
und Korruption zu demonstrieren. Sie protestierten auch nach der Explosion, | |
noch mit dem Besen von den Aufräumarbeiten über der Schulter. Die gesamte | |
libanesische Regierung trat zurück, ist nur noch geschäftsführend im Amt. | |
Am Montagabend soll voraussichtlich ein neuer Ministerpräsident ernannt | |
werden. Wer da kommt, was dann kommt, ist ungewisser denn je. Miriam Younes | |
glaubt, dass auch die Hisbollah immer mehr an Rückhalt im Land einbüßt. | |
„Nasrallah hat viele Fehler gemacht. Er hat die Sorgen der Bürger:innen | |
nicht ernst genommen, als er die Proteste abgewertet hat, und auch seine | |
Reaktion auf die Explosion hat gezeigt, dass er nicht mehr versteht, was in | |
den Menschen vorgeht.“ Sogar Ali Debew gibt zu: „Auch im eigenen Umfeld | |
gibt es immer mehr Zweifler, 30 Prozent mehr als früher“, schätzt er. | |
Er bestätigt damit Younes’ Eindruck: Selbst diejenigen, die die Hisbollah | |
immer verteidigt haben, sehen nun, dass sie wie alle anderen zum | |
Korruptionskartell dazugehört. Dass sie auch mit unter der Decke steckt. | |
„Die gesamte politische Klasse hat das in den letzten Monaten einmal mehr | |
unter Beweis gestellt: Über all ihre Differenzen hinweg will sie das | |
politische System aus Klientelismus und Konfessionalismus, wie es ist, | |
erhalten.“ | |
Dem etwas entgegensetzen können nur die Menschen, die im Moment noch | |
anderes zu tun haben – ihre Stadt wiederaufzubauen. | |
Mitarbeit: Judith Poppe | |
30 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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