| # taz.de -- Exil-Aktivistin über Krise im Libanon: „Das System nie infrage g… | |
| > Obwohl Frankreich streng laizistisch ist, habe Paris das konfessionelle | |
| > System im Libanon nie hinterfragt, kritisiert die Exillibanesin Rima | |
| > Tarabay. | |
| Bild: Lebt in Paris, demonstriert in Beirut: Rima Tarabay | |
| taz: Frau Tarabay, wie haben Sie als Umweltschützerin auf die | |
| [1][Explosionskatastrophe am 4. August in Beirut] reagiert? | |
| Ich war in Beirut und denke seither: Das hat uns noch gefehlt! Nach den | |
| israelischen Bombardements 2006 hatten wir schon die Ölpest an der Küste. | |
| Dieses Mal ist die Ursache die sträfliche Fahrlässigkeit der | |
| Regierungsbehörden, die wussten, dass [2][seit Jahren explosive Chemikalien | |
| im Hafen gelagert wurden]. Was geschehen ist, halte ich für bezeichnend für | |
| den Zustand, in dem sich der Libanon befindet. | |
| Inwiefern? | |
| Eine konfessionell strukturierte Politikerkaste verhindert die | |
| Herausbildung eines funktionierenden Staats. Ich habe früher selbst für den | |
| Premierminister (Rafik Hariri, d. Red.) gearbeitet und war bei einer | |
| extremistischen Partei (Forces libanaises, d. Red.). Aber ich habe mich | |
| gewandelt und beteilige mich mittlerweile selbst an [3][den | |
| Demonstrationen]. | |
| Worin besteht Ihr Meinungswandel? | |
| Das Hauptproblem des Libanons ist sein System, das im 19. Jahrhundert und | |
| dann ab 1920 geschaffen wurde. Die Aufteilung der Macht und der Posten an | |
| die religiösen Gemeinschaften wurde leider von Frankreich (damals | |
| Schutzmacht, d. Red.) gebilligt, um seine Alliierten, die christlichen | |
| Maroniten, zu schützen. Es ist dieses System der konfessionellen | |
| Machtteilung, das zum Bürgerkrieg und in die heutige Sackgasse geführt hat. | |
| Warum hat das Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 keinen Neubeginn | |
| erlaubt? | |
| Seit 1992 steht in der Verfassung, dass von den Konfessionen unabhängige | |
| Wahlen organisiert werden müssen. Dies wurde aber nie umgesetzt, weil der | |
| Libanon von Syrien und Israel besetzt wurde. Auch nach dem Ende der | |
| Kontrolle durch Syrien 2005 wollten die Parteien und auch die [4][Regierung | |
| von Rafik Hariri] und später diejenige seines Sohns Saad den | |
| Verfassungsauftrag nicht umsetzen. Deshalb gibt es weiterhin einen | |
| christlichen Präsidenten, einen sunnitischen Premierminister et cetera. Das | |
| hat katastrophale Auswirkungen. Beginnen wir unsere „Revolution“ also | |
| damit, endlich die Verfassung zu respektieren. Sie liefert die rechtliche | |
| Grundlage für laizistische Wahlen. | |
| Am [5][Montag reist Frankreichs Präsident Macron erneut in den Libanon]. | |
| Sie leben in Paris und erwarten von Frankreich humanitäre und politische | |
| Unterstützung. Ist das nicht eine Gratwanderung zwischen Solidarität und | |
| Einmischung? | |
| Bisher ist Präsident Macron in seiner Kritik oberflächlich geblieben. Ist | |
| er bereit, die Fehler seiner Vorgänger einzugestehen? Obwohl Frankreich ein | |
| laizistisches Land ist, hat es das konfessionelle System im Libanon nie | |
| infrage gestellt. Aber ohnehin ist es an den Libanesen, Änderungen | |
| herbeizuführen. Ich möchte nicht, dass Frankreich oder sonst wer | |
| interveniert. Die Protestbewegung vom 17. Oktober war eine Hoffnung und | |
| wird vielleicht weitergehen. Nur das Volk kann Änderungen durchsetzen. Die | |
| ausländischen Mächte müssen aber realisieren, dass sie das konfessionelle | |
| und korrupte System im Libanon lange haben gewähren lassen. | |
| 31 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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