# taz.de -- Macron im Libanon: Retter oder Bluffer? | |
> Frankreichs Präsident Macron gibt sich nach der Explosion in Beirut als | |
> Retter des Libanon. Ungewiss ist, ob er dort wirklich etwas bewegen kann. | |
Bild: 1.September in Beirut: Macron besuchte den Libanon zum zweiten Mal innerh… | |
KAIRO taz | Gleich zweimal innerhalb eines Monats zur Visite im Libanon, am | |
Mittwoch dann zu seinem ersten offiziellen Besuch im Irak: Der französische | |
Präsident Emmanuel Macron versucht, in der arabischen Welt seinen Platz zu | |
finden – in einer Zeit, in der die Karten dort neu gemischt werden. Seit | |
Donald Trump befinden sich die USA in der Region auf dem Rückzug. Das | |
entstandene Vakuum wird von Russland und den Regionalmächten Iran und der | |
Türkei gefüllt. | |
Macron und seine Berater haben erkannt: Nur wer in der unmittelbaren | |
Nachbarschaft Europas politisch oder militärisch investiert, kann auf | |
dortige Ereignisse Einfluss nehmen. Das haben Russland, die Türkei und der | |
Iran in Syrien vorgemacht; die Türkei und Russland versuchen es erneut in | |
Libyen. | |
Macrons dieswöchige Reise in den Libanon, der sich seit Monaten im | |
politischen und wirtschaftlichen freien Fall befindet, sowie in den Irak, | |
der seit einem Jahr zwischen Milizen und Demonstranten aufgerieben wird, | |
ist vor allem eine politische Investition. In Beirut hat der Präsident dies | |
am Dienstag ausgesprochen: „Mir ist klar, ich gehe eine riskante Wette | |
ein“, sagte er. „Mein Einsatz ist das Einzige, was ich habe, mein | |
politisches Kapital.“ | |
Dass Macron sein politisches Kapital vor allem im Libanon einsetzt, ist | |
kein Zufall. [1][Die Verbindungen zwischen Paris und Beirut, die aus der | |
Kolonialzeit stammen, sind eng.] Der Libanon ist das einzige Land in der | |
Region, in der ein französischer Präsident nicht mit der Regierung, sondern | |
direkt mit einflussreichen Kräften verhandeln kann. Ähnliches wäre im Irak, | |
in Ägypten oder in Syrien undenkbar. Nirgends sonst kann Macron als der | |
Retter der Nation auftreten. | |
## Macron sonnt sich im Retter-Image | |
Im Libanon funktioniert dies vor allem deshalb, weil die staatlichen | |
Institutionen, das politische System und auch die Parteien in breiten | |
Teilen der Bevölkerung diskreditiert sind, nachdem die Wirtschaft | |
kollabiert ist und vor allem [2][nach der Explosion im Hafen von Beirut | |
Anfang August], die auf grobe staatliche Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. | |
Aber Macron hat ein Problem: Zwar kann er sich im Retter-Image sonnen, | |
irgendwann aber muss er konkrete Ergebnisse liefern, was politische | |
Reformen angeht, für die [3][die Menschen im Libanon seit vergangenen | |
Oktober auf die Straße gehen]. | |
Dabei beißt sich die Katze in den Schwanz, denn wie reformiert man ein | |
politisches System am politischen System vorbei? Wenn überhaupt, dann | |
geschehen tiefgreifende Veränderungen durch Druck von unten, was mit vielen | |
Schwierigkeiten verbunden ist, wie [4][die Arabellion 2.0] zeigt, die | |
letztes Jahr in Algerien, im Sudan, im Irak und eben auch im Libanon | |
ausgebrochen ist. Interventionen von außen haben selten etwas Gutes bewirkt | |
– vor allem die militärischen, wie die US-Intervention im Irak 2003 | |
hinlänglich bewiesen hat. | |
Macron versucht es nun im Libanon, indem er Druck auf die politischen | |
Kräfte ausübt, endlich mit überfälligen Reformen zu beginnen. In einer | |
Pressekonferenz in Beirut forderte er am Dienstag, dass innerhalb von zwei | |
Wochen eine Regierung aus Technokraten geformt wird, die den ökonomischen | |
Kollaps aufhalten soll. Kurz vor Macrons Besuch war am Montag der ehemalige | |
libanesische Botschafter in Berlin, Mustapha Adib, von Staatspräsident | |
Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. | |
Macron knüpft dabei finanzielle Hilfe an Reformen. Es gebe keinen | |
Blankocheck, sagte er und warnte: Wenn die politische Klasse scheitere, | |
werde es keine Hilfen mehr geben. Er drohte sogar mit EU-Sanktionen für den | |
Fall, dass Gelder missbraucht würden. | |
## Die Hisbollah erwähnte Macron nicht namentlich | |
Es ist kein einfaches Spiel für den französischen Präsidenten. Einerseits | |
kennt Macron die UN-Zahlen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf | |
Hilfe angewiesen, um sich das Lebensnotwendigste leisten zu können, was | |
Druck auf das politische System ausübt. Andererseits weiß Macron, dass die | |
politische Klasse des Landes alles daransetzten wird, sich nicht selbst | |
wegzureformieren. | |
Ein Beispiel ist die schiitische Hisbollah, die vom Iran gelenkte, | |
militärisch und politisch stärkste Einzelkraft im Libanon. Sie ist | |
vielleicht nicht die korrupteste Partei, hat aber im Falle von Reformen am | |
meisten Einfluss zu verlieren. Hier werden Macrons Grenzen deutlich: | |
„Fordert nicht von Frankreich, einen Krieg gegen eine politische Kraft im | |
Libanon zu beginnen, das wäre absurd und verrückt“, erklärte er, ohne den | |
Namen Hisbollah auszusprechen. | |
Es sind immer noch die Regionalmächte Iran, Türkei, Saudi-Arabien und die | |
Emirate, die bei dem Kartenspiel das beste Blatt in der Hand halten. Sie | |
spielen für den Erhalt des Status quo und warten ab, ob Macron tatsächlich | |
etwas auf den Tisch legen kann. Bis dahin gehen sie davon aus, dass der | |
französische Präsident nur blufft. | |
2 Sep 2020 | |
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[1] /Macron-zu-Besuch-im-Libanon/!5708419 | |
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[3] /Massenproteste-im-Libanon/!5636622 | |
[4] /Aufstaende-in-Nordafrika-und-Nahost/!5647452 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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