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# taz.de -- Macron zu Besuch im Libanon: Frankreichs kolonialer Schatten
> Wie kein anderer Staatschef engagiert sich Frankreichs Präsident nach der
> Explosion im Libanon. Die Diaspora in Paris sieht das nicht nur positiv.
Bild: Eiffelturm und Zeder: Solidaritätskundgebung in Paris nach der Explosion…
Paris taz | Es ist ein ungewöhnliches Treffen, das Emmanuel Macron auf
seiner Terminliste stehen hat. Wenn der französische Präsident ab Montag
zum zweiten Mal in diesem Monat Beirut besucht, will er neben der
politischen Elite des Landes auch die Sängerin Fairouz treffen. Die
medienscheue 85-Jährige ist in der arabischen Welt eine lebende Legende –
und in ihrer libanesischen Heimat die vielleicht konsensfähigste Person des
gesamten multikonfessionellen Landes. Ob Christen, Drusen, Sunniten oder
Schiiten: Auf Fairouz lässt niemand etwas kommen; wie keine andere steht
Fairouz für den Libanon.
In dem von politischen und konfessionellen Rivalitäten gezeichneten Land
ist das eine seltene Eintracht. Ein vollständiger Zusammenbruch droht dem
Libanon nach Ansicht der französischen Regierung, nachdem eine
[1][gigantische Explosion am 4. August] Teile der Hauptstadt verwüstet und
zum [2][Rücktritt der Regierung] geführt hat. Nun plagt das Land neben
einer schweren Wirtschaftskrise auch noch ein politischer Notstand. Macron
hat im Vorfeld seiner Libanonreise vor einer Rückkehr in den Bürgerkrieg
gewarnt. In Beirut will er nun einflussreiche Politiker zu einer „Regierung
der nationalen Einheit“ bewegen, die in der Lage ist, tiefgreifende
politische und wirtschaftliche Reformen umzusetzen, um das Land aus der
Misere zu ziehen.
Bei der Explosionskatastrophe, bei der 190 Menschen getötet wurden, waren
auch zwei französische Staatsbürger ums Leben gekommen. Deshalb ermittelt
nun auch die französische Justiz wegen „fahrlässiger Tötung“. Insgesamt
haben mindestens zwanzig französisch-libanesische Doppelstaatsbürger in
Paris Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht. Sie misstrauen den
libanesischen Behörden und wollen, dass sich Frankreich mitverantwortlich
fühlt und dem Libanon mit einer unabhängigen Aufklärung hilft – selbst auf
das Risiko hin, sich dem Vorwurf der Einmischung auszusetzen.
## Protest in Paris
Seit der Explosion treffen sich einige hundert ExillibanesInnen regelmäßig
auf dem Victor-Hugo-Platz in Paris zu Protestkundgebungen. Sie singen ihre
Nationalhymne, aber auch die Marseillaise in der Hoffnung auf das
„Mutterland“, als das viele Frankreich aufgrund der eng verknüpften
Geschichte betrachten. Ebenso eng verbunden sind für die Demonstrierenden
Trauer und Wut.
Ob auch der libanesische Botschafter Rami Adwan in seiner wenige Schritte
entfernten Residenz die Rufe der Protestierenden hört? Auf einem Schild
wird der 44-Jährige, ein ehemaliger Studienkollege Macrons an der
französischen Kaderschmiede ENA, als „Repräsentant eines kriminellen
Systems“ aufgefordert, auf sein Amt zu verzichten, wenn er nicht „zum
Komplizen des Verbrechens“ werden wolle.
„Wir sind hier aus Empörung über die verkommenen Politiker, die seit
Jahrzehnten das Leben der Libanesen verderben“, erklärt der in Frankreich
praktizierende Kardiologe Elian Sarkis. „Wir wollen den Rücktritt des
Botschafters, weil er nicht das Volk repräsentiert, sondern nur General
Aoun.“ Dass nach der libanesischen Regierung auch Präsident Michel Aoun
oder der Botschafter freiwillig der „Einladung“ abzutreten Folge leisten
werden, glaubt Sarkis indes nicht. Dazu brauche es den „Druck der Bürger
auf den Straßen“.
Was erwarten diese oft seit vielen Jahren in Frankreich lebenden
LibanesInnen von Paris? „Wir sind Frankreich dankbar, denn Macron war der
Erste, der zu Hilfe geeilt kam“, sagt Sarkis, um dann sogleich zu
relativieren: „Wir sind gegen jegliche Einmischung ausländischer Staaten,
wie wir sie durch die Herrschaft der korrupten Parteien schon zu lange
erfahren mussten. Wir wollen, dass unser Land von ausländischer Einmischung
und vom konfessionellen Klientelsystem frei wird.“
Nur zwei Tage nach der Explosion war Macron medienwirksam nach Beirut
gereist. „Weil wir es sind, weil ihr es seid“, rechtfertigte er vor Ort
seinen eiligen Besuch. Die voller Pathos gesprochenen Worte mögen nach
einer Leerformel klingen, sie umschreiben aber eine fast familiäre und
zugleich spannungsreiche Beziehung zwischen dem Libanon und der ehemaligen
Mandatsmacht. Dass Frankreich vor allen anderen Ländern zu Hilfe eilte, war
für viele Libanesen selbstverständlich. Auch war kaum jemand war
überrascht, als Macron für die UNO die Organisation internationaler
Soforthilfe für Beirut übernahm und selbst zwei Kriegsschiffe mit
Hilfsmaterial losschickte.
## Frankreich als Schutzmacht der Christen
Wenn der französische Staatschef die alten Banden erwähnt, müsste er in
Wirklichkeit weiter in der Geschichte zurückblättern als ins Jahr 1920, als
Frankreich als Mandatsmacht die Kontrolle des vom Osmanischen Reich
befreiten Libanons übernahm. Seit dem ersten Kreuzzug im 11. Jahrhundert
verstand sich Frankreichs König als Beschützer der maronitischen Christen
in dem gebirgigen Landstreifen am östlichen Mittelmeer. Das Verständnis
einer religiösen Schutzmacht hielt sich, auch während der Libanon wie der
gesamte Nahe Osten unter osmanischer Herrschaft stand.
Auf französische Initiative wurde 1860 dem damals mehrheitlich von Christen
bewohnten „Mont Liban“ eine Teilautonomie gewährt, die bis zum Ersten
Weltkrieg dauerte. 1926 gaben die französischen Vormunde dem Libanon eine
erste Verfassung, die neben Arabisch auch Französisch zur Amtssprache
erklärte und im Namen der Koexistenz zwischen den Religionen mit einer
damals gerecht erscheinenden Machtteilung den Grundstein des heutigen
konfessionellen Systems legte, in dem politische Ämter nach religiöser
Zugehörigkeit verteilt werden. Ebendieses System ist es, das heute von den
in Beirut Demonstrierenden als Hauptursache aller Übel verdammt wird.
Zugleich wurde ein Staat mit einer Beziehung zum „Mutterland“ geschaffen,
der auch nach der 1943 einseitig erklärten Unabhängigkeit in politischer,
wirtschaftlicher und vor allem kultureller Hinsicht von einer
verwandtschaftlichen Nähe zu Frankreich charakterisiert blieb.
Im Libanon gibt es heute rund fünfzig französische Schulen. Rund 250.000
libanesische Staatsangehörige (unter ihnen viele DoppelstaatsbürgerInnen)
leben in Frankreich, viele bekleiden Führungspositionen in der Wirtschaft.
Seit 1982 ist Frankreich auch militärisch im Auftrag der Vereinten Nationen
im Libanon zur Sicherung eines stets gefährdeten Friedens präsent. 1983
wurden bei einem Attentat 58 französische Militärs getötet, in den Jahren
danach wurden mehrere französische Diplomaten und Journalisten entführt.
## Macron muss mehr bieten als große Worte
Umsonst gibt es Frankreichs Beistand allerdings nicht. Das hat Macron, der
nicht als Retter eines vom Volk verachteten korrupten Regimes dastehen
will, schon während seines erstens Beirutbesuchs Anfang August deutlich
gemacht: „Ich bin nicht gekommen, um dem Regime Legitimität zu verleihen.
Ich bin hier, um einen neuen politischen Pakt vorzuschlagen.“ Falls die
libanesische Führung nicht von selbst handle, so werde er es tun, drohte
er. Wie Frankreich aber eine Regierungsbildung sowie einen politischen und
institutionellen Neuaufbau des Libanons auf einer nichtkonfessionellen
Grundlage beeinflussen oder gar durchsetzen will, bleibt offen.
Ein zaghafter Schritt hin zu politischem Wandel war es, dass an einer von
Macron geleiteten Geberkonferenz in Paris beschlossen wurde, humanitäre
Hilfe nicht an Regierungsstellen, sondern an nichtstaatliche Organisationen
zu schicken. Wenn Macron seinen Führungsanspruch rechtfertigen und die
hohen Erwartungen der libanesischen Bevölkerung erfüllen will, muss er sich
diesmal aber mehr einfallen lassen als geschichtsträchtige Worte, für die
er auf der Straße in Beirut Beifall bekommt.
30 Aug 2020
## LINKS
[1] /Explosion-im-Libanon/!5705536
[2] /Libanon-nach-der-Explosion/!5706130
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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