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# taz.de -- Corona-Proteste am Reichstagsgebäude: Den Schlagstock im Gürtel l…
> Der Ruf nach hartem Durchgreifen der Polizei gegen die Coronaleugner ist
> nachvollziehbar. Eine adäquate Antwort von links ist es nicht. Im
> Gegenteil.
Bild: War die Polizei zu zurückhaltend? Uniformierte am Samstag vor dem Bundes…
Wo, ja wo bleibt eigentlich der Wasserwerfer? Und warum greift die Polizei
da nicht durch? So wie sie es bei linken Demos auch macht? Mit aller Gewalt
der Staatsgewalt? Angesichts der massiven Verstöße gegen
Demonstrationsauflagen bei dem [1][Massenaufmarsch der Coronaleugner:innen]
drängten sich Fragen am Samstag geradezu auf – und sie wurden am Rande der
Proteste, in Gesprächen und den omnipräsenten, sozialen Medien gerade auch
in der gesellschaftlichen Linken vielfach gestellt.
Das ist mehr als verständlich. Und dennoch komplett daneben. Diese linke
Sehnsucht nach einem starken Staat muss einem fast schon so viele Sorgen
machen wie das unerträgliche und weiter wachsende Protestgemisch aus
Coronaskeptikern, Reichsbürgern, staatskritischen Esoterikern und anderen
Hippies. Denn zweifelsohne ist Kritik an überzogenen, überharten und
übergriffigen Einsätzen von Polizei gegen linke Proteste angebracht und
leider immer wieder notwendig. Gerade deshalb aber verbietet sich jeder
Wunsch nach mehr Polizeigewalt, so verlockend er auf den ersten Blick auch
sein mag.
Zudem muss man auch mal den Schlagstock im Gürtel lassen. Und stattdessen
genau hinsehen. So hat die Berliner Polizei auch am Samstag ihre
Wasserwerfer aufgefahren – als Drohgebärde. Tatsächlich zum Einsatz kamen
sie aber nicht. Das ist übrigens fast schon eine Tradition der
Haupstadtpolizei. Sie hat ihre Luxuswasserpistolen [2][schon seit mehr als
zehn Jahren] allenfalls zum Gießen sommerdarbender Bäume eingesetzt. Mit
der Bewässerung von Demonstrant:innen aber, egal ob sie von rechts oder
links kommen, halten sich die Berliner Ordnungshüter anders als ihre
Kolleg:innen in anderen Bundesländern sehr zurück. Und das ist gut so.
Auch auch mit Kritik an dem Fakt, dass sich die Polizei vor dem
Reichstagsgebäude von den offen rechten Treppenfans hat überrennen lassen,
sollte man zurückhaltend sein. Denn sie impliziert die Forderung nach einer
Aufrüstung der Sicherheitskräfte, die aus linker Sicht niemand ernsthaft
wollen kann.
## Ein gutes Zeichen für den demokratischen Zustand
Das Umgehen von Polizeiketten gehört schon immer zum Standard sämtlicher
Bewegungen – auch und gerade bei Protesten von links. Mit der einst von
[3][Anti-Atom-Aktivist:innen ersonnenen Fünf-Finger-Taktik], mit der in
mehrere Kleingruppen aufgesplittete Demonstrant:innen Polizeiketten
umfließen, wurde sie sogar zu einer zentralen Aktionsform – zuletzt vor
allem bei den [4][Anti-Kohle-Protesten von Ende Gelände].
Dass die Polizei bei Protesten – ob in einer Braunkohlegrube oder am Gatter
vor dem Reichstag – eben keine absolut unüberwindliche Macht darstellt, ist
ein gutes Zeichen für den demokratischen Zustand dieser Republik. Gerade
bei einem Einsatz im Schatten des Parlaments muss die Verhältnismäßigkeit
gewahrt werden. Denn was ist denn passiert? Ein paar hundert Menschen sind
eine Treppe hochgelaufen. Ja, mit wegen ihrer Symbolkraft unerträglichen
Fahnen. Mehr aber auch nicht.
Die Möchtegernumstürzler haben sich dann [5][sogar von nur drei Beamten
stoppen lassen]. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass die
Übermütigen dem Hohen Haus des Bundestags am Ende noch Respekt erwiesen
haben. Ein revolutionärer Akt, der einem so sehr Sorgen machen müsste, dass
man mit Gewalt dagegen vorgehen muss, sieht jedenfalls anders aus.
Linkes Nachdenken über die Ereignisse am Samstag sollte daher weniger das
Verhalten der Polizei in den Fokus stellen als die eigene Erfahrung mit
Protesten. Da wird schnell klar: Solche Momente wie der Treppenwitz vor dem
Bundestag sind für jede Bewegung sinnstiftend. Ihre Bedeutung geht weit
über den Moment hinaus – nach außen, vor allem aber nach innen. So
entstehen Mythen, aus denen jede Bewegung Kraft schöpft. Sie setzen
Energien frei, so sehr, dass die Aktivist:innen ihre Bedeutung vollkommen
überschätzen.
## Nötig wäre ein Aufbegehren der Zivilgesellschaft
Wie aber soll man damit von links umgehen? Bei Pegida, AfD-Demos und
sonstigen rechtsextremen Aufzügen hat die linke Öffentlichkeit lange auf
Gegenprotest vor Ort gesetzt, um dem Größenwahn der Rechten etwas
entgegenzustellen. Ihn zu relativieren. Schließlich wurde [6][mit der
Unteilbar-Demo im Herbst 2018] ein unübersehbares Zeichen gesetzt – gerade
weil es keine Gegendemo war, kein Versuch, etwas zu verhindern, sondern ein
eigens gesetzter Aufstand der Zivilgesellschaft gegen den rechten Rand.
Etwas Ähnliches wäre genau jetzt dringend wieder nötig. Das Potenzial ist
ja durchaus gegeben. Umfragen zeigen, dass der weitaus größte Teil der
Bundesbürger die wegen der Pandemie erlassenen Beschränkungen wie
Maskengebote und Abstandsbitten für angemessen hält. Oder sogar für zu
lasch. Doch eine Massendemonstrationen für die Akzeptanz von
Corona-Schutzmaßnahmen? Das wäre geradezu absurd. Das macht ratlos.
Wirklich ratlos.
Aber kann diese Ratlosigkeit ein Argument sein, um nach mehr Staatsgewalt
zu rufen?
30 Aug 2020
## LINKS
[1] /Reaktionen-auf-die-Corona-Proteste/!5710612
[2] /Neues-Versammlungsgesetz-in-Berlin/!5686407
[3] /Blockadeaktionen-in-Hamburg/!5423462
[4] /Ende-Gelaende-in-der-Lausitz/!5645678
[5] /Reaktionen-auf-die-Corona-Proteste/!5710612
[6] /Demonstration-gegen-Rassismus/!5540470
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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