# taz.de -- Festival „Pop-Kultur“ in Berlin: Publikum gesucht | |
> Auch das Festival „Pop-Kultur“ muss coronabedingt rein virtuell mit | |
> digitalen Arbeiten überzeugen. Wirkungsvolle Bilder gibt es, nur die | |
> Klicks fehlen. | |
Bild: Eine Hälfte des ghanaischen Duos Fokn Bois: Wanlov the Kubolor | |
Zur Primetime um 20.20 Uhr, passend zu diesem vermaleideten Jahr, ging sie | |
am Mittwoch online: Die erste von drei Shows, die auf visuell | |
eindrucksvolle Weise umriss, was beim Festival Pop-Kultur in Berlin | |
passiert. Aus den bekannten Gründen kann es nicht, wie in den Jahren zuvor, | |
in der „Kulturbrauerei“ stattfinden; die Macher haben sich für eine | |
virtuelle Variante entschieden, die nicht auf Simulation dessen setzt, was | |
normalerweise passieren würde. So wird nicht, wie so oft dieser Tage, aus | |
leeren Hallen gesendet, statt dessen sind, auf drei Tage verteilt, 36 Bands | |
und Künstler*innen in eigens fürs Festival entstandenen digitalen Arbeiten | |
zu erleben. | |
Ein Höhepunkt des ersten Abends ist Wanlov the Kubolor, eine Hälfte des | |
ghanaischen Duos [1][Fokn Bois]. Es bezeichnet seine Fusion aus satirischem | |
Pidgen Rap, Hiplife und Afro-Techno als „Gospel Porn“ und hätte eigentlich | |
beim Festival auftreten sollen. Nun aber steuert Wanlov the Kubolor den | |
eindringlichen, gar nicht ironischen Essay „We Love Us“ über die | |
Diskrimierung der LGBTQI*-Community im religiösen Ghana bei. Der Clip | |
bedient sich einer so schlichten wie wirkungsvollen Bildersprache. | |
[2][Martin Hossbach, neben Christian Morin und Katja Lucker] einer der | |
Kurator:innen des Festivals, liefert Hintergründe. „Als klar war, dass es | |
mit Reisen nichts wird, haben wir via Zoom angefangen, über die konkrete | |
Auftragsarbeit zu reden. In dem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass wir | |
uns mit den Künstler*innen über das Publikum klar werden mussten. Weniger, | |
wer es sein wird, sondern, wo das Publikum sein wird – was das genau | |
bedeutet. Wie Bilder anders erzeugt werden müssen, wenn sie nicht für die | |
Bühne sind.“ | |
Das gelingt nicht bei jeder „digital work“ gleichermaßen; im Fall von „We | |
Love Us“ jedoch erweist es sich als effektiv. Bis zum Donnerstagmittag war | |
der Clip leider nur knapp 100-mal auf dem Youtube-Kanal des Festivals | |
aufgerufen worden; die Live-Session der zweifellos auch tollen Band [3][The | |
Notwist] dagegen schon 1.600-mal; auch im Chat blieb es ruhig. Wanlov the | |
Kubolor in einem leichtfüssigeren Kontext erleben kann man im Langfilm | |
„Contradict“, einem Porträt von sechs ghanaischen Musikern. | |
Es setzt damit ein, dass die Fokn Bois auf den Straßen von [4][Accra] die | |
westliche Perspektive auf ihren Kontinent umdrehen und mit einer | |
Sammelbüchse Geld für die notleidenden Menschen in den USA sammeln: Spaß, | |
politische Provokation oder vielleicht sogar Prophezeiung? Die lohnende | |
Doku ist, anders als all die anderen Beiträge auf der Festivalwebsite, | |
nicht unbegrenzt verfügbar, sondern nur bis inklusive Freitag, 28. August. | |
Es empfiehlt sich übrigens, hier nicht nur von Beitrag zu Beitrag zu | |
klicken, sondern zwecks Orientierung auch die täglich einstündige Show zu | |
schauen, vermittelt sie doch so einen Kontext, der sich nicht zwangsläufig | |
aus den einzelnen Clips erschließt. Im Fall des aus Belarus stammenden | |
Dancefloor-Postpunk-Duos [5][Super Besse], das am Freitagabend dabei sein | |
wird, offenbart sich das Besondere nicht sofort. | |
## Gitarre spielen im leeren Raum | |
In dem Clip sieht man lediglich, wie ein junger Mann in einem leeren Raum | |
sich im Gitarrenspiel verliert, während der seinen Bass stocksteif | |
bedienende Mitstreiter über und hinter ihn projiziert wird. Das Duo, das | |
seine Frankophilie unter anderem dadurch auslebt, dass es sich nach einem | |
Wintersportort in den französischen Alpen benannt hat, plaudert in der Show | |
und im Kurzinterview auf der Festivalseite eher über die Geschichte ihrer | |
Namensfindung als über die Herausforderungen, die es mit sich bringt, in | |
einer [6][belarussischen Band] zu spielen. Auch schon vor der | |
Coronapandemie konnten die beiden physisch nur schwer zusammenfinden. | |
Die spannenden Hintergründe liefert Christian Morin im Interview mit der | |
taz. Die eine Hälfte des Duos, Maksim Kulsha, lebt in Berlin. Seine | |
Kollege Alex Sinica dagegen in Minsk. Er durfte bereits vor Corona nicht | |
reisen. „Alex hat seine Performance in Minsk aufgenommen“, erzählt Morin. | |
„Wir haben sie dann im Rambazamba-Theater projiziert, Maksim hat dazu | |
gespielt. Daraus ist eine Arbeit entstanden, in der es auch darum geht, wie | |
man versucht, mit Menschen, die man gerade nicht sehen kann, etwas | |
hinzubekommen – was natürlich auch zu Corona passt. Die Aktualität der | |
Ereignisse in Belarus war da noch gar nicht absehbar.“ | |
Ein Beispiel dafür, wie man sich an mancher Stelle doch sehr auf die Kraft | |
der tollen Bilder verlässt. Manchmal hätte mehr Hintergrund auch zu noch | |
mehr Wissen geführt. Alles in allem liefert das Festival Pop-Kultur, so | |
lässt sich als Zwischenfazit festhalten, dennoch auch als virtuelle Ausgabe | |
vielschichtige Einblicke in die globalisierte Popwelt. Diese muss jetzt nur | |
noch ihr Publikum finden. | |
27 Aug 2020 | |
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[1] /Festival-in-Utrecht/!5637073/ | |
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[4] /Musikkonferenz-Acces-in-Accra/!5646360/ | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=wv7S-CTNUlg | |
[6] /Weissrussische-Punkband-Messed-Up/!5635737/ | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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