# taz.de -- „FK:K-Festival“ in Bamberg: Ein Knarzen im Klanglabor | |
> Das „FK:K“-Festival huldigt experimenteller Musik. Wasserschalen, Bläser | |
> und die Akustik eines Kesselhauses sorgen für einen außergewöhnlichen | |
> Sound. | |
Bild: Tomoko Sauvage bei ihrer Performance im Bamberger Kesselhaus | |
Anders als das menschliche Auge, dessen Lider als Verschlusskappen Licht | |
und Sichtbares abschirmen können, hat das menschliche Ohr keine | |
vergleichbare Schleuse, die (Umwelt-)Geräusche abweist. Klang flutet die | |
Ohren selbst im Schlaf. Geräusche werden nicht immer bewusst wahrgenommen, | |
deshalb unterscheidet der französische Philosoph François J. Bonnet in | |
seiner Studie „The Order of Sounds. A Sonorous Archipelago“ zwischen Hören | |
und „Sehnsüchtigem Hören“ (Desiring Listening). | |
„Genaues Zuhören ist vor allem zielgerichtetes Wahrnehmen, das Ohr | |
selektiert und identifiziert dabei. Verbunden ist es immer mit dem Wunsch, | |
etwas wieder und wieder zu hören. Der Punkt, an dem das Reale, das | |
Symbolische und das Imaginäre artikuliert werden.“ Wer in Bamberg im | |
Kesselhaus beim [1][„internationalen Festival für Soundart und | |
experimentelle Musik FK:K“] landet, kommt, um genau zuzuhören. Den Wunsch | |
nach Konzerten hat Corona auch in Bamberg bislang vereitelt. | |
Dass das Festival mit seinem überschaubaren Programm stattfinden kann, | |
liegt an strengen Auflagen. 40 ZuschauerInnen dürfen pro Abend mit Masken | |
und unter Abstandseinhaltung jeweils live dabei sein, KünstlerInnen aus | |
Risikogebieten haben Tests gemacht und sich freiwillig in Quarantäne | |
begeben. | |
Die glücklichen Auserwählten hören am Freitagabend, was der bretonische | |
[2][Künstler Erwan Keravec] seinem Dudelsack an Klängen entlockt: still, | |
gebannt, ergriffen. Keravec konfrontiert die Zuhörenden mit dem | |
Klangspektrum seines archaischen Blasinstruments, vom nölenden Knarzen der | |
drei Pfeifen zum schabenden Geklapper der Ventile, bis zum Auf- und | |
Abblähen des Blasebalgs. | |
## Dazwischen schnaubt der Dudelsack | |
Wie ein Kammerjäger durchmisst der französische Künstler beim Spielen den | |
riesigen leeren Raum, hält abrupt an, belegt alle Nischen mit Klang. | |
Dazwischen schnaubt der Dudelsack, bis aus dem infernalischen Lärm Drones | |
entstehen, langanhaltende, mesmerisierende Töne, vergleichbar mit | |
Nebelhörnern und Sirenen. Die Dynamik im Raum erleichtert es in diesem | |
Fall, dass Keravec ansatzlos von laut auf leise wechselt, dann hört man | |
sogar, wie er durch das Mundstück pustet und sein Atem angestrengt hechelt. | |
Vor der Tür des Kesselhauses, in Bamberg, ist Hochsaison: Von Corona ist | |
nicht viel zu merken, Touristen auf Ausflugsdampfern und kleinen Gondeln | |
schippern durch die Flüsse, flanieren durch die Straßen, immer in | |
Begleitung von Stimmen der Audioguides. Die Geräuschkulisse trägt zur | |
Disneyland-Atmosphäre bei. Dass mitten im Trubel in der nordbayerischen | |
Provinz nun zum vierten Mal ein Festival für experimentelle Klangkunst | |
stattfindet, grenzt an ein kleines Wunder, zumal es Kontraste setzt. | |
„FK:K“, so genannt nach seinem Veranstalter, dem Kulturverein „FRANZ | |
KAfkA“, und seinem Spielort, dem Kesselhaus, einem ehemaligen | |
Kohlekraftwerk, das am Rand der pittoresken Altstadt liegt. Die | |
mittelalterlichen Brücken, Gassen und Kirchen haben Bamberg den Status | |
„Weltkulturerbe“ beschert. | |
Das Kesselhaus ist ein unscheinbarer Industriebau aus den späten 1950er | |
Jahren. Einst wurde damit ein Krankenhaus beheizt. Nun ist das Gebäude | |
entkernt, im Innern sind noch die beiden Betontrichter vorhanden, durch die | |
der Koks in zwei Luken in den Keller fiel und die Kohle Wassertanks | |
beheizte. Normalerweise laufen hier Ausstellungen mit lokaler Kunst. | |
## Ehemaliges Kraftwerk mit sparsamer Lichtgestaltung | |
Für das Festival werden die verschiedenen Ausbuchtungen umfunktioniert, der | |
Laderaum und seine hohen Wände in das Festivalkonzept einbezogen: Das | |
ehemalige Kraftwerk dient nun als Klanglabor, dessen dürftiger baulicher | |
Zustand Teil der Inszenierung ist. Die Akustik ist eindrucksvoll, vor allem | |
der Hall klingt bestechend. Zudem hilft die sparsame Lichtgestaltung, um | |
sich auf die Sounds konzentrieren zu können. | |
So schafft es der Brüsseler Bassklarinettist Ben Bertrand, mit seinem | |
Blasinstrument, einer Loopstation und dem raffinierten Hall im Kesselhaus | |
spielend, Vielheit zu erzeugen, als stünde nicht nur er da, sondern ein | |
ganzes Orchester mit Bassklarinettisten. Dann wieder klingt die | |
Bassklarinette einsam wie ein Echolot, das Schallimpulse vom Meeresboden | |
empfängt. | |
Stadtobere und Kulturverwaltung stehen dem Festivalprojekt eher reserviert | |
gegenüber, erklären die Veranstalter Jérémie Gnaedig und Felix Forsbach. | |
Man setze auf andere „Leuchttürme“ von Brauwesen bis E. T. A. Hoffmann, was | |
ja in Ordnung ist. | |
Als Universitätsstadt, in der rund 12.000 Studierende leben, erscheint es | |
dennoch wichtig, randständige Positionen zu zeigen, besonders, da Bamberg | |
weder eine Musik- noch eine Kunsthochschule besitzt. Die beiden Macher sind | |
zu Recht stolz über ihre Basisarbeit. Da sie regelmäßig | |
Avantgarde-Positionen bieten, würden die Horizonte auch durch Musik und | |
Performance erweitert. | |
## Zen-artiges zeremonielles Happening | |
Freitag und Samstag zeigen, es gibt ein Publikum, das sich bereitwillig auf | |
Experimente einlässt. Wie divers das Programm ist, wird am Samstag | |
deutlich. Mucksmäuschenstill ist es, als sich die in Paris lebende | |
japanische Künstlerin Tomoko Sauvage im Schneidersitz hinter sechs zu einem | |
im Halbkreis am Boden drapierten Schüsseln niederlässt. In den Glas- und | |
Porzellanschüsseln ist Wasser, Wände und Wasser sind durch Kontaktmikrofone | |
mit einem kleinen Mischpult verbunden. | |
Sauvage taucht nun ihre Hände ein, zieht sie vorsichtig wieder raus, und | |
das Geräusch der fallenden Wassertropfen wird durch die Amplifikation zu | |
einem zeremoniellen Happening. Weitere zen-artige Interventionen begleiten | |
die Performance von Sauvage, etwa das behutsame Drehen und Wenden von | |
Kieselsteinen in den Schüsseln. Eindrucksvoll wirkt besonders die Dosierung | |
des niedrigschwelligen Klangs. Und Sauvage hat sich vor einer Wand | |
aufgebaut, deren feuchte Flecken mit dem Klangspektrum harmonieren. | |
Danach hat es [3][Stella Chiweshe] – die Künstlerin aus Simbabwe lebt in | |
Berlin – zunächst schwer, das Publikum sofort zu gewinnen. Sie versucht es | |
erst mal mit Zaubersprüchen und Rasseln, mit denen sie den Raum | |
gesundbetet. | |
Sobald sie sich aber an ihre Mbira setzt, ein Lamellophon, dessen 28 | |
Metalllamellen Chiweshes leicht schrägen, charakteristischen Klang | |
erzeugen, sind die ZuschauerInnen bei der afrikanischen Künstlerin und | |
machen später auch bei den Call-&-Response-Spielen mit. Draußen ist es | |
endlich ruhig, die Touristen liegen in ihren Betten, und die Nacht singt | |
ihre Lieder. | |
8 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.franzkafkaverein.de/festival-fkk-iv/ | |
[2] /Jazz-Festival-A-larme-2016/!5320770 | |
[3] /Sommerliches-Festival-made-in-Berlin/!5699135 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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