# taz.de -- Pop-Kultur Festival in Berlin: Lob der Verwirrung | |
> Barrierefrei, kompliziert und voller Selbstreflexion: Das Berliner | |
> Festival „Pop-Kultur“ beweist, dass es mehr kann als nur BDS-Skandal. | |
Bild: Janto Djassi Roessner in seinem Werk „Picture me different“ | |
Berlin taz | Derzeit führt über den kopfsteingepflasterten Hof der Berliner | |
Kulturbrauerei ein glatter Weg, auf dass auch Rollis stressfrei von A nach | |
B kommen. Gerade wird hier zum fünften Mal [1][das Festival „Pop-Kultur“] | |
gefeiert; die Kunststofftrasse ist ein Indikator, dass es das Festival | |
ernst meint mit seinem Anspruch, divers und inklusiv wie keine andere | |
Veranstaltung dieser Art zu sein. | |
So verwundert nicht, dass hier Musik nicht nur gefeiert wird, sondern | |
[2][die Reflexion darüber, wie Popkultur zum gesellschaftlichen Fortschritt | |
beitragen kann], in das schön wuchernde Programm eingebaut ist; neben | |
zahllosen Konzerten gibt es Talks, Filme und mehr. Die Metaebene macht es | |
nicht nur zum diskursträchtigsten der hiesigen Musikfestivals, sondern auch | |
zum „offiziellsten“: „Pop-Kultur“ wird vom Land und vom Bund gefördert, | |
auch EU-Mittel fließen. | |
Bei der Eröffnungsveranstaltung am Mittwoch führt das zu einem „Wir sind | |
die Guten“-Schulterklopfen zwischen Kultursenator Klaus Lederer, den | |
Kuratoren Martin Hossbach und Christian Morin und der Festivaldirektorin | |
und Geschäftsführerin des veranstaltenden Musicboards Berlin, Katja Lucker. | |
Man feiert sich als Avantgarde mit internationaler Strahlkraft. Ganz | |
konkret geht es auch darum, für neue Finanztöpfe zu trommeln, denn die drei | |
Jahre sind vorbei, in denen es 500.000 Euro vom Bund gab. | |
Aus denen wurden bislang die sogenannten Commissioned Works finanziert, | |
besondere Auftragsarbeiten: In diesem Jahr war so etwa eine leicht alberne, | |
aber durchaus für gute Laune sorgende Popinszenierung von Richard Wagners | |
„Ring“ zu erleben, eine Kollaboration zwischen dem Indie-Chansonnier Jens | |
Friebe und der Band 21 Downbeat. Letztere besteht aus Mitgliedern des | |
[3][Inklusionstheaters RambaZamba]. | |
Oder eine knackig kurze und dabei schön auf den Punkt gebrachte Performance | |
des Wiener Cloudrapperinnen-Duos Klitclique; auf geil runtergebrochene | |
Weise brachten sie Kunst mit Kunstbetriebssatire zusammen. Oder die sehr | |
ans Herz gehende Zusammenarbeit der Pianistin Lisa Morgenstern mit dem | |
Bulgarian Voices Berlin Chor. Mit ungewöhnlichen Rhythmen und Phrasierung | |
bündelten sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf eine Weise, wie man es | |
bei Konzerten dieser Art selten erlebt. | |
## Staunen über den Summer of Love | |
Eine schöne Einstimmung auf die Wechselwirkung zwischen Pop und | |
Gesellschaft liefert der Film „Everybody in the Place: An Incomplete | |
History of Britain 1984–1992.“ In dem diskutiert der bildende Künstler und | |
Turner-Preisträger Jeremy Deller mit Oberstufenschüler*innen, unterfüttert | |
von tollem Archivmaterial, die Wechselwirkung zwischen Rave-Kultur, die | |
Ende der 80er Jahre den zweiten „Summer of Love“ hervorbrachte, und den | |
politischen Verwerfungen der Zeit, vom Bergarbeiterstreik bis zu Margaret | |
Thatchers Austeritätspolitik. | |
Das Setting klingt konstruiert, führt aber zu produktiven Beobachtungen. | |
Die Schüler wirken verwirrt, wie anders die Welt vor 30 Jahren war, staunen | |
über Bilder von Raves, wo niemand aufs Handydisplay guckt, und fragen sich, | |
was es wohl mit Menschen macht, sich so unbeobachtet zu fühlen. | |
Katja Lucker hatte in ihrer Eröffnungsrede die produktive Kraft von | |
Verwirrung gelobt und Ko-Kurator Hossbach den Besuchern mit auf Weg | |
gegeben, man solle doch bitte Sachen angucken, die man nicht kenne, am | |
besten in Sprachen, die man nicht verstehe. Viel in Ost- und Südosteuropa | |
war man unterwegs, das schlägt sich im Programm nieder. | |
Am Donnerstag gab es eine persönliche Stunde mit der Berlinerin Mascha | |
Qrella, die nach gut 20 Jahren Schaffens als Solokünstlerin, aber auch mit | |
Bands wie Mina und Contriva, nun erstmals Deutsch singt und dabei über ihre | |
DDR-Sozialisation nachdenkt. Qrella spielt Songs, mit denen sie Texte des | |
1976 aus der DDR in den Westen umgesiedelten Thomas Brasch vertont. Auf das | |
Werk des 2001 Gestorbenen war sie selbst erst vor ein paar Jahren | |
aufmerksam geworden, durch die autobiografische Geschichte seiner Schwester | |
Marion Brasch „Ab jetzt ist Ruhe“. | |
In einer Hollywoodschaukel sitzend befragt Qrella sich zwischen den Songs | |
mit trockenem Humor zu ihrer eigenen (Künstler)-Biografie. Ein toller | |
Work-in-Progress-Einblick. Im Dezember wird der fertige Brasch-Abend | |
„Woanders“ im Hebbel am Ufer Premiere haben. | |
24 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.pop-kultur.berlin/ | |
[2] /Pop-Kultur-Festival-in-Berlin/!5618384 | |
[3] https://rambazamba-theater.de/ | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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