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# taz.de -- Britische Künstler und ihre Liebe zu BDS: Im Teufelskreis der Mora…
> Die antiisraelische Lobby BDS hat auch in Deutschland erreicht, dass
> Popbands Auftritte abgesagt haben. In England ist das gang und gäbe.
> Warum?
Bild: Für viele ist im Streit um die Rechtmäßigkeit von BDS die jeweils ande…
Wenn man ergründen will, warum die antiisraelische Lobbyorganisation BDS
(Boycott, Divestment, Sanctions) bei britischen Künstlerinnen so eine
Zugkraft hat, gerät man schnell in ideologische Auseinandersetzungen unter
Linken. Es geht dabei vor allem darum, wie man es mit Israel hält. Und dann
muss man sich unbequemen Fragen stellen. Erstens: Ist es überhaupt möglich,
in dieser so kontrovers geführten Debatte sachlich zu argumentieren? Ist
es, zweitens, überhaupt gewünscht, laut darüber nachzudenken? Und drittens:
Kann man es aushalten, dass der Versuch einer nüchternen Analyse in diesem
polarisierten Diskurs zum Scheitern verurteilt ist?
Breit diskutiert wurde etwa zuletzt [1][die Aus- und erneute Einladung] der
den BDS unterstützenden schottischen Band Young Fathers zur Ruhrtriennale.
Das Hin und Her hat die Fronten weiter verhärtet. Beide Seiten sehen sich
absoluten moralischen Imperativen verpflichtet: Den BDS-Befürwortern gilt
es, um jeden Preis die Palästinenser zu verteidigen; den BDS-Gegnern gilt
es, um jeden Preis die Israelis zu verteidigen. Für die meisten Debattanten
auf beiden Seiten ist diese Position nicht verhandelbar. Sie unterstützen
jegliches Vorgehen „ihres“ Lagers, mögliche Zweifel werden nicht zugelassen
– wodurch sich der Konflikt permanent zuspitzt. Diejenigen, die Bedenken
haben, äußern sich nicht, um Konflikte zu umgehen.
In dieser Kontroverse wird schnell deutlich, dass die Dinge oft
[2][komplizierter sind], als sie aussehen, und man gut daran tut, sie nicht
als rein deutsch-britische Angelegenheit zu betrachten. Das Engagement der
deutschen Organisation Jewish Voice for Just Peace im Nahen Osten und die
Jewish Antifa Berlin in der neuerlichen Kampagne für den [3][Boykott des
Pop-Kultur-Festivals] macht das deutlich. Einige der Künstler, die zuletzt
ihre Auftritte bei der Ruhrtriennale abgesagt haben, wurden vom British
Council gesponsert, womit der Konflikt nun auch die Kultur-Diplomatie
berührt.
Die Mehrheit der Deutschen schreckt instinktiv und historisch begründet
davor zurück, jüdische Unternehmen zu boykottieren, für sie ist die
uneingeschränkte Unterstützung Israels nicht verhandelbar. Diese Faktoren
fallen aus britischer Sicht wiederum weniger ins Gewicht. Hier ist die
Unterstützung für den BDS und den Widerstand der Palästinenser eher Teil
des umfassenden Projekts der Entkolonialisierung und wird als bescheidener
Versuch verstanden, die unrühmliche Geschichte des Britischen Empire zu
Kolonialzeiten zu sühnen.
## Nordirische Israel-Freunde schaden der Sache eher
Die Rolle der Briten in der Verwaltung Palästinas nach dem Ersten Weltkrieg
und die Art und Weise, wie der Staat Israel gegründet wurde, sind dabei
besonders hervorzuheben. Die Unterstützung des BDS wird als Sühne für
britische Verbrechen betrachtet, während die Solidarität mit Israel als
Sühne für Nazi-Verbrechen gesehen wird. Jeder ist seiner eigenen Geschichte
verhaftet und kann nicht darüber hinweg. Während diese Faktoren für die
positive Haltung vieler Briten gegenüber dem BDS wichtig sind, sind sie für
die Haltung der Iren zentral.
Der kürzlich verabschiedete Beschluss des irischen Senats, israelische
Produkte zu boykottieren, zeigt, dass dort Sympathien für die Palästinenser
in allen politischen Spektren anzutreffen sind (in England sympathisiert
fast ausschließlich die radikale Linke mit Palästina, sie ist es auch, die
am ehesten Verständnis für die historischen Erfahrungen Irlands zeigt).
Dieselben britischen Truppen, die nach 1920 in Nahost stationiert waren,
waren zuvor in Irland bei der Bekämpfung der Aufstände eingesetzt.
Während des Nordirlandkonflikts zogen IRA-Anhänger Parallelen zu den
Besatzungserfahrungen der Palästinenser (und anderen antikolonialen
Kämpfen). Noch heute hängen in katholischen Vierteln von Belfast
palästinensische Flaggen, was wiederum zur Gegenreaktion von Unionisten
geführt hat, die nun Israel idealisieren. Zudem erinnern Plakate an
unionistische Helden wie Henry Hugh Tudor, der beim Aufbau und der
Kontrolle der Polizeikräfte in Nordirland und später in Palästina
federführend gewesen war.
Jedes Jahr werden am 12. Juli, dem Jahrestag der Schlacht am Boyne und
somit höchsten Feiertag der Unionisten, Freudenfeuer entfacht, bei denen
Papst-Bildnisse, irische und palästinensische Flaggen verbrannt werden. Die
Solidarität mit Israel mag für die Deutschen unumstößlich sein, doch auch
sie können angesichts ihrer eigenen Geschichte klar erkennen, dass die
Symbolik von Freudenfeuern und das Verbrennen von Flaggen ein warnendes
Zeichen sein sollte. Und dass derlei Verbündete das Ansehen Israels unter
britischen Linken nicht gerade verbessern.
In Großbritannien gibt es noch eine weitere Überschneidung. Unter Berufung
auf das von den Unionisten gelieferte Beispiel benutzen rechtsradikale
Brexit-Befürworter häufig die israelische Flagge in ihren Twitter-Profilen.
Für die britische Linke ist die massenhaft dargestellte israelische Flagge
in antideutschen Zusammenhängen absolut unverständlich.
## Angst vor der Ungnade
Abgesehen vom Gruppenzwang und der Angst davor, in Ungnade zu fallen
(definitiv ein wichtiger Faktor für einige KünstlerInnen), machen es andere
Befindlichkeiten der britischen Linken unmöglich, einen
[4][israelfreundlicheren Standpunkt] einzunehmen. Denn nicht nur extreme
Rechte verfolgen einen proisraelischen Kurs. Auch die Solidarität der
regierenden konservativen Partei mit Israel wirkt abschreckend. Die
Positionierung von den Brexit befürwortenden konservativen Politikerinnen
wie Priti Patel ist der Politik der extremen Rechten in Israel sehr
ähnlich.
Verständlicherweise stehen die [5][wiederholten antisemitischen Äußerungen]
von Labour-Chef Jeremy Corbyn und einigen seiner ParteigenossInnen im Fokus
der Kritik ([6][auf der Website] der israelischen Zeitung Ha’aretz gibt es
sogar eine eigene Rubrik dazu). Die Lage ist inzwischen so verfahren, dass
der jüdischen Lobby in der Labour-Partei, Jewish Voice for Labour, und
anderen, Corbyn unterstützenden antizionistischen Juden selbst
Antisemitismus vorgeworfen werden. Der offene Brief, der von den drei
wichtigsten jüdischen Zeitungen Großbritanniens veröffentlicht wurde, hat
den Unmut vieler [7][jüdischer Labour-Unterstützer] zu Corbyns Haltung zum
Ausdruck gebracht.
Genauso wie die Debatte um den BDS als Stellvertreterkampf im
Nahostkonflikt gesehen werden kann, ist die Causa Corbyn zur ideologischen
Auseinandersetzung geworden. Viele seiner Anhänger, darunter auch Juden,
sind inzwischen davon überzeugt, dass das politische Establishment in
Großbritannien um jeden Preis einen Wahlsieg von ihm verhindern will. Nicht
nur aufgrund seiner propalästinensischen Haltung und fragwürdigen
Verbündeten, sondern auch, weil er allgemein als Bedrohung für den
konservativen Konsens gesehen wird.
Viele Künstler, die sich für den kulturellen Boykott Israels einsetzen,
sind Corbyn-Anhänger. Für sie ist es undenkbar, in Israel aufzutreten,
solange Gebiete Palästinas besetzt sind und Israel an seiner
Siedlungspolitik festhält – genauso wie es undenkbar für sie gewesen wäre,
den kulturellen Boykott Südafrikas in den 1980er Jahren nicht zu
unterstützen.
Wie die Kontroverse um das Berliner Pop-Kultur-Festival gezeigt hat,
versuchen einige den BDS unterstützende Künstler eine andere Haltung zu
diesem Thema als genauso undenkbar zu stigmatisieren. Sie versuchen,
strukturellen Einfluss darauf zu nehmen, welche Künstler auftreten dürfen,
und das bei allen Veranstaltungen, bei denen britische Musiker auftreten.
Die Zielstrebigkeit, mit der der BDS Einfluss in Deutschland und anderswo
auszuüben versucht, erinnert an den englischen Sonderweg, bei dem viele
Linke Corbyns Zusammenarbeit mit den Konservativen im Brexit-Verfahren
unterstützen.
## Brian Eno als BDS-Aktivist
Der britische Popstar Brian Eno, ein führender BDS-Aktivist, verstrickt
sich in einem Video, in dem er zum Boykott des Pop-Kultur-Festivals
aufruft, [8][in Widersprüche], wenn er seinen Unmut über „den Missbrauch
der Kultur für propagandistische Zwecke“ äußert. Eno ist überzeugt, dass
BDS den Dialog vorantreiben will und er zieht Parallelen zum Kampf gegen
die Apartheid. Israels Verteidiger, die diesen Vergleich ablehnen, sollten
sich die israelische Unterstützung Südafrikas während der Apartheid in
Erinnerung rufen.
Eno und seine MitstreiterInnen verstehen diesen Kampf als universell,
weshalb sie deutsche Befindlichkeiten ausblenden, um ihre Ziele zu
erreichen. Gäbe es BDS-artige Kampagnen, die sich mit den Missständen in
anderen Staaten befassen, wäre die Beschuldigung, der BDS würde mit Israel
eine „Aussonderung“ betreiben, schwerer haltbar. Das politische Engagement
der Young Fathers geht übrigens über ihre Solidarität mit dem BDS hinaus.
Mit ihrem antikolonialistischen Video für die National Gallery of Scotland
haben sie etwa Stellung für die schottische Unabhängigkeit bezogen.
Ganz allgemein ist in Großbritannien neben der Identifikation mit dem
palästinensischen Unabhängigkeitskampf ein Mitgefühl mit Künstlern und
Musikern da, die vonseiten Israels Repressalien ausgesetzt sind. Das
jüngste Beispiel ist der italienische Künstler, der verhaftet und des
Landes verwiesen wurde, weil er ein Bild der militanten Palästinenserin
Ahed Tamimi an die Sperranlage gemalt hatte. Viele Briten wundern sich
darüber, dass Deutsche sich nicht an der Symbolik der Mauer, die Israel von
den palästinensischen Gebieten trennt und der Kriminalisierung
künstlerischer Auseinandersetzung mit ihr stoßen.
Befürworter eines kompletten kulturellen Israel-Boykotts berufen sich auch
auf die Schwierigkeiten, mit denen palästinensische Künstler konfrontiert
werden, wenn sie Reisen oder Ausstellungen zeigen wollen. Jeder Künstler,
der die Hamas offen infrage stellt, ist freilich auch Repressalien
ausgesetzt.
## Schlechte Aussichten
All dies zusammengenommen, lassen die Aussichten für eine Einigung von BDS
befürwortenden britischen Linken und der Israel unterstützenden deutschen
Linken nicht viel größer erscheinen, als die Aussichten auf eine baldige
friedliche Lösung des Nahostkonflikts. Verschärft wird die Lage zudem durch
den polarisierenden Effekt von Onlinekampagnen und dem wenig diplomatischen
Tonfall in den sozialen Medien, der weder Nuancen noch Zwischentöne kennt.
Manchmal wirkt es auch so, als würde auf beiden Seiten die Möglichkeit
einer individuellen Meinungsbildung abgelehnt und die Freude an einem
Nullsummenspiel das dringende Bedürfnis nach Frieden überwiegen. Keine der
beiden Seiten würde Anna Woods nachdenkliche Betrachtung der
Pop-Kultur-Festival-Kontroverse mit dem BDS begrüßen: „Du kannst ethisch
nie völlig korrekt sein. Niemand kann das.“
An dieser Stelle sei auf den israelischen Autor und Künstler Avi Pitchon
verwiesen, der gegenüber BDS einen differenzierten Standpunkt einnimmt. Er
glaubt, dass es durchaus möglich ist, gegen die Besetzung zu sein und
gleichzeitig die moralischen und autoritären Beweggründe einiger Aktivisten
zu hinterfragen. Zudem macht er auf die negativen Auswirkungen aufmerksam,
die die Haltung der Aktivisten auf die künstlerische Freiheit haben könnte.
Der jüdische Psychoanalytiker, Aktivist (und Corbyn-Unterstützer) Andrew
Samuels argumentierte 2015, dass der „billige Moralismus“, der bei
kontroversen Debatten auftaucht, nur dazu führe, den Dialog zu
unterdrücken. Betrachtet man die Situation von außen, muss man seiner
Beobachtung zustimmen. Wenngleich angemerkt werden muss, dass diese
Kritikpunkte sicherlich mehr auf BDS-Befürworter zutreffen. Wie Samuels
suggeriert, beziehen viele führende BDS-Aktivisten ihre Macht gerade aus
dem Konflikt und zeigen sich wenig motiviert, diesen zu deeskalieren oder
ihn gar zu beenden. Die Widersprüche in der Argumentation beider Seiten
(von denen ich hier einige genannt habe) werden verdrängt und kehren
zwangsläufig in bösartigeren Formen zurück. Ein Teufelskreis.
Aus dem Englischen von Sylvia Prahl
11 Aug 2018
## LINKS
[1] /Kommentar-zu-BDS-und-Ruhrtriennale/!5515192
[2] /Dirigent-Ilan-Volkov-ueber-Kulturboykotte/!5519488
[3] https://jungle.world/artikel/2018/31/ein-antisemitismusticket-fuers-festiva…
[4] /Kommentar-Antisemitismus/!5516058
[5] /Labour-Partei-in-Grossbritannien/!5524919
[6] https://www.haaretz.com/
[7] /Antisemitismus-in-der-Labour-Partei/!5518335
[8] https://www.youtube.com/watch?v=evy5179wunk
## AUTOREN
Alexei Monroe
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