# taz.de -- Dirigent Ilan Volkov über Kulturboykotte: „Zensur ist brandgefä… | |
> Der israelische Dirigent Ilan Volkov über den Stellenwert von Kultur in | |
> Deutschland, Boykottaktionen von BDS und Freunde, die nicht in Israel | |
> auftreten. | |
Bild: Der Boykottkampagne BDS wird Antisemitismus vorgeworfen | |
taz: Herr Volkov, Sie treten oft in Deutschland auf. Wie gefällt es Ihnen? | |
Ilan Volkov: Für klassische Musik ist es ein wichtiger Ort, an dem viel | |
passiert, auch, was Pflege von Neuer Musik und experimenteller Kunst | |
anbelangt. Mir imponiert, was für einen hohen Stellenwert Kultur in den | |
Großstädten genießt. Davon kann ich als Israeli nur lernen. | |
Viele Israelis leben in Berlin, das ist ein gutes Zeichen! | |
Diese Entwicklung begann schon vor 20 Jahren. Hervorragende Musiker wie Guy | |
Ben-Ziony und Chen Halevi profitieren genau wie ich von den guten | |
Bedingungen in Deutschland. | |
Der Anlass unseres Gesprächs ist wenig erfreulich. Denn wir haben konträre | |
Ansichten über die Band Young Fathers, die [1][vom Festival Ruhrtriennale | |
aus- und wieder eingeladen] wurde, bis sie von sich aus abgesagt hat. Das | |
hat mit der [2][israelfeindlichen Lobby] BDS und ihrem Kulturboykott zu | |
tun. Was halten Sie davon? | |
Ich finde gut, dass es da verschiedene Positionen gibt und hielt die | |
Ausladung der Festivalleiterin Stefanie Carp für falsch, auch wenn sie dies | |
rückgängig gemacht hat. Die Ruhrtriennale ist wichtig. Die vier | |
libanesischen Musiker, die gedroht hatten, nicht aufzutreten, kenne ich | |
nicht persönlich, finde es aber richtig, dass sie auftreten. Auch deshalb | |
habe ich mich mit ihnen solidarisiert. Obwohl sie sicherlich Druck bekommen | |
von BDS Es ist kompliziert. | |
Warum? | |
Mehr als um Politik geht es doch um Zensur. Zensur ist brandgefährlich: Die | |
Unterstützung der Young Fathers für BDS ist etwas völlig anderes als etwa | |
der Fall der beiden Rapper [3][Kollegah und Farid Bang beim deutschen | |
Echo-Preis]. Wenn deren Entgleisung nicht passiert wäre, würden wir jetzt | |
nicht diskutieren. | |
Wir kennen BDS bereits seit Sommer 2017 vom Pop-Kultur-Festival in Berlin, | |
als die Young Fathers ebenfalls abgesagt haben. Das Verhalten der beiden | |
Rapper ist ein anderes … | |
… der Echo-Preis war ein Skandal, das habe ich schon kapiert. Zurück zur | |
Ruhrtriennale: Von eingeladenen Künstlern zu verlangen, sie müssen sich | |
distanzieren, und wenn nicht, spielen sie nicht, ist doch ein Boykott des | |
Boykotts. Auch wenn einige meiner Freunde – ob Israelis oder nicht – Partei | |
ergreifen für B.D.S., möchte ich sagen, keine Aktion von BDS wird dabei | |
helfen, eine Lösung zu finden. Wenn die Palästinenser sagen, sie brauchen | |
diese Solidarität, ist das ihr Recht. Und wir müssen entscheiden, welche | |
Regeln wir anwenden wollen. Wer einmal mit Zensur anfängt, kann nicht | |
zurück. | |
Wie gesagt, BDS hat Künstler wie die Young Fathers angestiftet, das | |
Festival Pop-Kultur zu boykottieren. Die Begründung der Absage war | |
haarsträubend: Es ging um 500 Euro Unterstützung durch die israelische | |
Botschaft. Dass die Ruhrtriennale nichts davon gewusst haben soll, ist ein | |
Desaster. | |
In England hat sich das längst verselbstständigt. Viele Veranstalter sagen | |
israelischen Künstlern offen, wenn sie auftreten wollen, dann nur ohne | |
Unterstützung der israelischen Botschaft. | |
Das ist doch Erpressung! | |
Normalerweise wird das gar nicht öffentlich gemacht. | |
Das Festival Pop-Kultur hat es transparent gemacht, genau wie Unterstützung | |
durch die isländische und die britische Botschaft. Bei aller Kritik an der | |
Regierung, Israel ist doch kein Unrechtsstaat. | |
Das ist die Haltung von BDS Wenn die Unterstützung der EU aufhört, hört BDS | |
auf. Wenn die EU anfängt, Produkte aus den israelischen Siedlungen im | |
Westjordanland zu boykottieren. | |
Boykott ist ein schlimmes, von der NS-Geschichte belastetes Wort. | |
Meine Solidarität für die Palästinenser hängt nicht von diesem Wort ab. | |
Meine Priorität ist es, gegen eine fehlgeleitete Politik in Israel zu | |
kämpfen. Sie verfolgt seit Langem einen falschen Weg. Mein Kampf geht nicht | |
gegen falsche Wege zum Frieden zwischen Palästinensern und Israelis. | |
Vielleicht sind die Ideen von BDS falsch. Was war denn richtig in den | |
vergangenen 20 Jahren? Hat sich etwas zum Guten entwickelt? Viele Dinge | |
werden nur dazu führen, dass wir Israelis uns noch stärker an die Wand | |
gedrängt fühlen. Das spielt der rechten Regierung in die Hände, sie will, | |
dass die Menschen in Angst leben und denken, alle Welt hasse sie. | |
Was sollen deutsche Juden denken? | |
Ich kann absolut verstehen, dass Juden in Deutschland eine andere Position | |
vertreten. Aber mein Kampf richtet sich nicht in erster Linie gegen BDS, | |
für mich als Israeli hat Frieden zwischen Israel und den Palästinensern | |
Priorität. BDS hat gar keine Mittel, die derzeitige Situation zu verändern. | |
Deutsche lehrt die Geschichte besondere Verantwortung beim Thema | |
Antisemitismus. Das lässt sich doch nach Auschwitz niemals vom Judentum | |
trennen. | |
Natürlich nicht. | |
Während Israelis beim Thema BDS rein gegenwartsbezogen argumentieren. Deren | |
Behauptung vom „Apartheidstaat“ ist total daneben. Ist bei | |
Kulturschaffenden in Israel Antisemitismus kein Thema? | |
Unsere Politiker, ich nenne hier stellvertretend Ministerpräsident | |
Netanjahu, benutzen NS-Geschichte und instrumentalisieren sie. Es ist eine | |
gefährliche Strategie. Die Nazidikatur und der Holocaust sind furchtbare | |
Geschehnisse, das leugnet niemand. Aber es gibt auch seit mehr als 70 Jahre | |
den Konflikt mit den Palästinensern und keine Lösung ist in Sicht. Die | |
amtierende Regierung will, dass die Dinge bleiben, wie sie sind. | |
Hierzulande ist Antisemitismus sowohl bei Deutschen als auch bei arabischen | |
Migranten verbreitet. | |
Ich verschweige nicht, dass es Antisemitismus gibt, aber was hat er mit der | |
BDS-Strategie zu tun? Deren Argumentation ist simpel: Es gab Apartheid in | |
Südafrika und daher glauben sie, diese Form von Kolonialismus herrsche auch | |
in Israel. Es ist natürlich nicht das Gleiche. Die Kolonialherrschaft | |
begann lange vor der Gründung Israels. Da waren Engländer und Türken die | |
Kolonialherren. Das lässt sich so auch gar nicht auflösen. | |
Wenn Sie Auftritte in Israel organisieren, welchen Problemen sind Sie | |
ausgesetzt? | |
Ich kenne Künstler – ich nenne hier keine Namen –, die haben das gleiche | |
Festival boykottiert wie die Young Fathers. Ich habe sie nach Israel | |
eingeladen und zunächst sind sie aufgetreten, inzwischen unterstützen sie | |
BDS und boykottieren uns. Auch wenn ihr Boykott nicht gegen mich persönlich | |
gerichtet ist, fällt es mir schwer, diese Entscheidung zu akzeptieren. Ich | |
habe einen Freund, der mir mitgeteilt hat, er kommt mich privat besuchen, | |
aber er wird nicht mehr live in Israel spielen. | |
Das ist verrückt. Soll das zum Frieden führen? | |
Ja, es ist verrückt. Letztes Jahr sind nur etwa 5.000 Menschen aus Gaza mit | |
dem Flugzeug geflogen. Was die israelische Regierung den Palästinensern | |
antut, ist schlimmer als jede Kritik an Israel. | |
Ist der „Tag des Zorns“ die richtige Reaktion? | |
Wenn ich Palästinenser wäre, würde ich sicher gegen alle Ungerechtigkeiten | |
meine Stimme erheben, auch gegen das Unrecht, das sich die Palästinenser | |
selbst antun, und das, was sie Israel antun. Ich bin privilegiert, ich kann | |
mich frei bewegen, innerhalb und außerhalb Israels, also ist meine | |
Verantwortung, Fehlverhalten der Regierung zu monieren. Das deutsche Zögern | |
bei der Kritik an Israel kann ich nur schwer nachvollziehen. | |
Hierzulande operiert [4][Kritik an Israel oft mit antisemitischen | |
Klischees.] | |
Natürlich weiß ich davon, mein Punkt ist ein anderer: Künstler haben | |
Verantwortung gegenüber Zuschauern, Kollegen und sich selbst. Es geht um | |
Solidarität, das hat nichts mit BDS zu tun. | |
Sie haben gesagt, das Leben in Israel sei anstrengend, dennoch leben Sie | |
gerne in Tel Aviv. Warum? | |
Der Alltag ist hektisch, aber hier habe ich Familie und Freunde. Ich bin | |
Teil einer tollen Musik-Community. Europa hat Vorzüge, aber ich glaube, die | |
Zukunft findet anderswo statt. Ich orientiere mich nach Asien, Südamerika, | |
Afrika. Gegenden, wo wir Dinge lernen, die wir nicht kennen. Meine Existenz | |
in Israel liegt in der Mitte von alldem. | |
Können Sie mit Ihrer Arbeit zum Frieden im Nahen Osten beitragen? | |
Es gibt viel Musik, die politische Botschaften hat und etwas zu den | |
Konflikten sagt. Aber Kultur und Alltag liegen hier weit auseinander. Viele | |
Israelis machen tolle Kunst und zeigen gute, politische Arbeiten außerhalb | |
des Landes, in Israel selbst will es niemand sehen. | |
Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung, dass sich etwas ändert? | |
Nur wir selbst können etwas ändern, das macht mir Hoffnung. 99 Prozent | |
aller Menschen wollen gut schlafen, essen, ans Meer gehen und haben das | |
Bedürfnis, in Ruhe zu leben. Wir sehen nur den Konflikt: Palästinenser | |
gegen Israelis. Es gibt überall auf der Welt Konflikte. | |
Viele Juden, die nach Israel ausgewandert sind, kamen einst als Flüchtlinge | |
aus Europa und aus Nahost. | |
Die Menschen haben vergessen, wie ihnen geholfen wurde. Es ist wichtig, | |
dass endlich verstanden wird, dass das, was wir machen, einen Einfluss hat, | |
auf alles andere. Ich bin kein Vegetarier, aber es ist faszinierend, zu | |
sehen, wie sich Vegetarismus entwickelt hat, wie selbstverständlich er | |
geworden ist, das ist auch eine Sache von Solidarität und Verständnis, was | |
wir machen, wie wir leben wollen. | |
10 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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