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# taz.de -- Gazas Kultusminister über das Kino: Mohammed würde Filme machen
> Wie passen die Hamas und Kreativität zusammen? Ein Gespräch der Berliner
> Autorin Miriam Sachs mit dem Kultusminister in Gaza, Anwar A. al-Barawi.
Bild: Im Cinema al-Nasser haben nur wenige alte Filmplakate zwei Schließungen …
Der Gazastreifen besaß früher vier Kinos. Vom großen Filmpalast bis hin zum
mobilen Kofferkino gab es alles. Gazas größtes Lichtspielhaus war das
Cinema al-Nasser (Kino „Sieg“). Es wurde im Zuge der Intifada 1987 von der
Hamas geschlossen, 1995 kurz wieder eröffnet – und im selben Jahr
niedergebrannt.
Die Ruine des Filmpalastes ist heute von wucherndem Baumwerk umgeben. Die
frühere Leuchtreklameschrift weist Lücken auf. Alles wirkt wie ein Mahnmal
im Chaos des Straßenverkehrs, eine Erinnerung an eine längst vergangene
Zeit, als Kinos und gemeinsames Filmegucken auch in Gaza noch erlaubt
waren.
Ein Kinogefühl erlebt man im Gazastreifen dennoch, allerdings jenseits der
Einrichtung Kino, etwa bei Open-Air-Festivals. Seit 2015 etablierte sich
das Red-Carpet-Festival. Über Schutt und Staub rollte man erstmals nach dem
letzten Krieg mit Israel den roten Teppich aus. Auch im September 2018 soll
es stattfinden, diesmal am Hafen.
Kultur hat es in Gaza generell leichter im Ausnahmsweise-Modus oder in
unscheinbarer Form: intern statt allzu öffentlich. Wie eine kleine
Kurzfilmreihe, gefördert von Shashat, einer NGO mit dem Fokus auf Frauen
und Film. Gefragt nach dem Namen des Festivals winkt der Mitorganisator
Jamal Abu Alqumsan, der selbst Regisseur ist und in Gaza lebt, ab. „Wir
gucken einmal pro Woche gemeinsam Filme – das ist der Name des Projektes.“
Jedoch, ob Mini-Reihe oder Festival, palästinensische oder internationale
Filme, alle müssen, bevor sie gezeigt werden können, der Hamas vorgelegt
werden. Szenen, die der Hamas nicht passen, werden herausgeschnitten.
„Eine Frau, die an einem Strand entlanggeht, oder Liebesszenen in der
Öffentlichkeit, das wird man verbieten“, sagt Alqumsan. „Die Einheimischen
sind die Auflagen der Hamas gewöhnt – Männer und Frauen müssen getrennt
sitzen, das Licht bleibt im Zuschauerraum an –, auch an die Zensur: Aber
für ausländische Regisseure ist es ein besonders eigenartiges Erlebnis,
wenn die Hamas einzelne Szenen aus den Filmen verbietet.“
Seit 2007 wird Gaza von der islamistischen Hamas regiert. Der etwa zwei
Millionen Einwohner zählende Küstenstreifen grenzt im Süden an Ägypten und
wird ansonsten von Israel umschlossen. Er ist Teil der palästinensischen
Autonomiegebiete. Das nachfolgende Gespräch fand in Gaza im Frühjahr statt.
***
taz: Herr al-Barawi, an welche Kinos können Sie sich im Gazastreifen noch
erinnern?
Anwar A. al-Barawi: In den vergangenen 50 Jahren bis zur ersten Intifada
gab es vier Kinos im Gazastreifen. Das Cinema al-Nasser, das Cinema Jala
und noch zwei weitere.
Was ist passiert, wo sind sie geblieben?
In der Vergangenheit gingen die Leute ins Kino zur Unterhaltung. Es gab
viele ägyptische Filme. Nach dem Krieg dachten die Leute an andere Dinge,
sie waren zu beschäftigt. Nach der ersten Intifada haben die israelischen
Streitkräfte viele Häuser zerstört, viele Menschen, auch Kinder, kamen um.
Die Leute hatten anderes im Kopf als Kino. Viele litten Hunger. Kino ist
Unterhaltung. Man hatte keine Zeit für Unterhaltung.
In den Nachkriegsjahren, als Deutschland zerstört war, gehörten die
Filmtheater zu den ersten Gebäuden, die wiedererrichtet wurden. Die
Menschen sehnten sich nach Ablenkung, auch nach Visionen.
Deutschland hat seine Tradition und Gaza seine eigene. Hier müssen wir
jederzeit damit rechnen, dass das israelische Militär, die Israel Defense
Forces (IDF), wieder zuschlägt. Unsere nationalen Probleme sind ganz
anderer Natur.
Sie meinen: Gaza ist zu arm, hat zu viel „echte“ Probleme, da hat man keine
Zeit fürs Kino?
Genau. Sehen Sie, der Gazastreifen hat viele Künstler und Talente. Aber wir
haben hier nicht die Möglichkeit, Filmleute auszubilden oder Filme zu
produzieren.
Auch kein Kino zu Propagandazwecken? Das wäre doch interessant für die
Hamas?
Wie gesagt, uns fehlen die Möglichkeiten.
Was glauben Sie: Gäbe es Kino, wenn Sie es erlauben würden?
Gaza wird blockiert. Auch um gute Propaganda zu machen, unsere nationalen
Belange darzustellen, dafür bräuchten wir mehr Mittel.
Israel ist schuld?
Unser Hauptproblem ist die Blockade. So können wir uns auch nicht der Welt
präsentieren oder Filme exportieren.
Aber Sie könnten doch Filme für Gaza machen, ein Kino wie das Cinema
al-Nasser wiedereröffnen und die Filme dort zeigen?
Die Leute würden nicht kommen. Wenn die Menschen die Wahl haben, Essen oder
Kino, wählen sie das Essen. Einstweilen unterstützen wir die Künstler
anders und zeigen Filme ohne Kinos. Open Air, zum Beispiel am Hafen.
(Anmerkung: gemeint ist das Red-Carpet-Festival, das von der Hamas nicht
gefördert wird.)
Hat die Zurückhaltung islamischer Organisationen gegenüber dem Kino damit
zu tun, dass die Religion mit Bildern nicht viel am Hut hat?
Unsere Religion unterstützt Kreativität! Wenn auch unter bestimmten
Bedingungen und Regeln.
Bilder, bewegt oder unbewegte, sind nicht verboten?
Zwischenruf einer Frau vom Department für Kunst der Hamas: Wir haben viele
Bilder. Es wird viel gemalt: die Natur, der Himmel, aber keine Körper.
Al-Barawi: Mohammed, der Prophet, war kreativ, er mochte Kunst. Unser
Prophet zeichnete die Idee, das Leben …
Wäre Mohammed ein Filmemacher, wenn er heute leben würde?
Sie wollen einen Film über Mohammed machen …?
Nein, ich wollte wissen, ob Mohammed, wenn er heutzutage leben würde,
vielleicht selbst Filme drehen würde?
Ja, klar.
Zwischenruf eines anderen Hamas-Kulturfunktionärs: Unsere Gesellschaft,
unsere Lebensvorstellung verbietet die Idee Kino nicht. Es braucht aber
eine Kontrolle und gewisse Bedingungen.
Es ist also nicht verboten, wird aber auch nicht unterstützt. Kommt das so
nicht auf das Gleiche raus?
Al-Barawi: Sie müssten mehr über den Islam lesen!
Bin im Koran noch bei Sure 3, aber ich versuch ’s.
Der Islam wurde für den Frieden gegründet und richtet sich auch an
Afrikaner, Europäer, Deutsche.
Aber vieles scheint doch missverständlich im Koran. Und sehr verschieden
interpretierbar. Leute in Deutschland denken heute beim Wort Islam vor
allem an den Alleinvertretungsanspruch extremistischer Gruppen, an den IS
und Terror.
Zwischenruf Hamas-Kulturfunktionär: Wir sind nicht so!
War es nicht die Hamas, die das Cinema al-Nasser niedergebrannt hat in den
1990er Jahren?
Al-Barawi: Ich sage Ihnen hier die Wahrheit: Hamas wollte das nicht. Aber
jede Gesellschaft kennt Extreme. Als die Krise groß war, haben sich die
Extremisten hervorgetan. Hamas unterstützt Kreativität, Talent. Und: Wir
wollen Frieden.
30 Jul 2018
## AUTOREN
Miriam Sachs
## TAGS
Gaza
Kino
Hamas
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Gaza-Krieg
Anti-Israel
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