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# taz.de -- Comics vom Ende der Welt: Die Rache der Natur
> Zeps Graphic Novel „The End“ erzählt vom Aufstand der Bäume. Lukas
> Jüligers „Unfollow“ verspricht Heilung durch die Rückbesinnung.
Bild: Der jugendliche Erlöser aus dem Comic „Unfollow“
Comics lieben den Weltuntergang. Genauer gesagt: Sie malen gerne aus, was
nach ihm passiert. Denn dann eröffnen sich alle möglichen Freiheiten, vor
allem die der Genremischung: Science-Fiction und Western lassen sich
kreuzen, und gerne darf es auch ein wenig Horror sein. Der Weltuntergang an
sich und die Versuche, ihn abzuwenden, sind dagegen weit weniger populär.
So war es zumindest bisher – im Zeichen der Klimakatastrophe beginnt sich
dies aber nun zu ändern.
Die Graphic Novel „The End“ ist nach dem gleichnamigen Song der „Doors“
benannt. Richard Frawley, ein grummeliger Botanik-Professor, lässt deren
Alben pausenlos auf seinem Plattenteller kreisen. Nachdem er wegen seiner
waghalsigen Thesen aus der Wissenschafts-Community verstoßen worden ist,
hat Frawley sich in den schwedischen Wäldern vergraben. Dort will er die
Kommunikation der Bäume erforschen. Denn er betrachtet diese als Lebewesen.
Und er glaubt auch, dass die Bäume Informationen, die sie in ihrer DNA
gespeichert haben, aus Misstrauen den Menschen gezielt vorenthalten.
Theodor, früher ein militanter Umweltaktivist, soll als Praktikant Frawleys
kleines Team verstärken. Doch zugleich beginnen sich merkwürdige Vorfälle
zu häufen. In einem spanischen Dorf kommt es zu unerklärlichen Todesfällen.
Und in Schweden wachsen plötzlich unbekannte, giftige Pilze. Bäume
verströmen Gas und Wildtiere verhalten sich so zutraulich, als lebten sie
hier in einem Zoo.
Die Natur, dies begreift Theodor zu spät, hat sich gegen die Menschheit
erhoben. Und sie führt ihm mit unerbittlicher Konsequenz vor, dass sie sehr
gut auf ihn und andere verzichten kann.
Dass man bei der Lektüre von „The End“ an Peter Wohllebens „Das geheime
Leben der Bäume“ denken muss, scheint unausweichlich. Ein Zitat aus diesem
aktuell auch verfilmten Bestseller von 2015 beschließt den Comic und hat
ihm eindeutig als Inspirationsquelle gedient. Und von Wohllebens
gefühlig-anthropomorphisierendem nature writing zum dystopischen
Öko-Thriller ist es auch nur ein kleiner Schritt.
Überraschend ist jedoch, dass „The End“ von dem Schweizer Zeichner Zep –
bürgerlich Philippe Chappuis – stammt. Im französischen Sprachraum ist er
mit seiner Humor-Serie „Titeuf“, in deren Mittelpunkt ein frecher kleiner
Junge steht, seit den Neunzigern überaus beliebt. In den letzten Jahren hat
er mehrfach versucht auch im Bereich der realistischen Comics zu
reüssieren.
In „The End“ gelingt ihm dies mit einem routiniert geschriebenen Szenario,
aber etwas weniger mit den Zeichnungen. Ausgerechnet in diesem Comic mit
ökologischem Einschlag wirken die Naturbilder recht steif und kulissenhaft.
Ein empfindliches Manko. Auch mit realistisch dargestellten Gesichtern und
Körperhaltungen hat Zep Schwierigkeiten. Vergleicht man „The End“ mit
seinen schwungvollen „Titeuf“-Alben, so kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren: Hier ist ein sehr begabter Funny-Zeichner auf einen
künstlerischen Irrweg geraten.
## Eine Mischung aus Mowgli und Jesus Christus
Das Ende der Welt droht auch in der Graphic Novel „Unfollow“ von Lukas
Jüliger. Dann aber tritt ein jugendlicher Erlöser auf, eine Mischung aus
Mowgli und Jesus Christus. Eartboi wird auf rätselhafte Weise als ein
siebenjähriger Junge geboren und ist menschgewordene Erdgeschichte, die in
ihrer Gesamtheit in ihm verkörpert ist.
Zunächst von einer Familie adoptiert, landet er in einem Heim für
verhaltensauffällige Kinder. Aus dem flieht er schließlich, um im Wald eine
Eremitenexistenz zu führen. Über das Internet ist er aber mit der Welt
verbunden. Dank seiner Posts, wie ein Leben nach den Gesetzen der
Nachhaltigkeit zu führen sei, gewinnt er für die globale Gemeinde seiner
Follower den Status eines Heiligen.
Zusammen mit der Influencerin Yu gründet er eine Edel-Landkommune, der er
den schlichten Namen „Erde“ gibt. Dieser „Garten Eden der assistierten
Evolution“ soll durch die ökologisch tadellose Lebensweise der dort
Lebenden, darunter Youtuber und Stars, ein Vorbild für den ganzen
gefährdeten Planeten sein.
Als die Liebe zu Yu allerdings Earthboi mehr und mehr in Beschlag nimmt,
sehen seine Anhänger das gemeinsame Projekt in Gefahr. Nicht um das Glück
der Einzelnen darf es gehen, sondern nur um das große Ganze, um die
kollektive Erlösung. Also beschließt man, den Meister wieder an seine große
Aufgabe zu erinnern – und sei es mit Gewalt.
Der 1988 geborene Lukas Jüliger zählt sicherlich zu den größten
Nachwuchstalenten der deutschsprachigen Comic-Szene. Vor zwei Jahren
brachte er „Berenice“ heraus, eine verstörende, in die Gegenwart versetzte
Adaptation der gleichnamigen Kurzgeschichte Edgar Allan Poes. Schon
„Vakuum“, sein 2012 erschienenes Debüt, war von einer ungewöhnlichen
künstlerischen Reife, litt allerdings auch unter Jüligers Neigung,
erzählerisch zu viel zu wollen.
In „Earthboi“ ist dies nun erneut der Fall. Japanophilie und
Influencer-Kultur, Klimakrise und Weltrettung, Sekten- und Amokwahn: der
stofflich-thematische Überreichtum korrespondiert mit einigen Lücken und
Unklarheiten. Das Szenario scheint letztlich nicht ganz ausgereift.
Vielleicht ist Jüliger weniger ein Erzähler als ein Beschwörer.
Seine Fähigkeit, mit Worten oder Bildern eine beklemmende Stimmung zu
erzeugen, ist tatsächlich außerordentlich. Es gibt in „Eartboi“ keine
Sprechblasen, sondern Blocktexte, die unter großformatigen, stummen Panels
stehen. Geschildert wird das Geschehen fast ausschließlich aus der
beschränkten Perspektive eines anonymen Ich-Erzählers, der zu Earthbois
enthusiastischer Gemeinde gehört. Den Sog, der auf diese Weise entsteht,
verstärken abwechselnd in Rosa- und Blautönen gehaltenen Bilder, die
ungefähr so aussehen, als wären David Lynch und David Cronenberg als
Manga-Zeichner reinkarniert worden.
Jüliger ist bei aller Kritik mit einem Sinn für das ideale Verhältnis von
Detailfreudigkeit und Andeutung ausgestattet. Er schafft so Bilder, die
eine diffuse, alptraumhafte Bedrohlichkeit ausstrahlen, an denen man sich
aber nicht sattsehen kann.
9 Aug 2020
## AUTOREN
Christoph Haas
## TAGS
Comic
Graphic Novel
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Essay
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Schwerpunkt Klimawandel
Autobiographischer Comic
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Schwerpunkt Rassismus
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