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# taz.de -- Sammelkartenspiel Magic: Nazi-Hexer auf dem Index
> Im Kartenspiel „Magic“ wurden sieben Karten aus politischen Gründen
> verboten. Der Eingriff ist Teil einer ernst gemeinten
> Diversitätsoffensive.
Bild: Eine Insiderszene, denen das Spiel lange als unpolitisch galt: Turnier in…
Harmlos war der Witz nie. Im Sammelkartenspiel „Magic: The Gathering“
spukt seit vielen Jahren eine geisterhafte Gestalt mit Henkersbeil herum,
in einer Kutte, die augenscheinlich denen des Ku-Klux-Klan nachempfunden
ist. Der geschmacklose Nerdhumor ist nicht ganz einfach zu erklären, weil
sich Spielmechanik und rassistische Bildsprache vermischen: Einmal
ausgespielt, behindert diese Karte andere Wesen, solange deren Spielfarbe
auf dem Tisch in der Minderheit ist. Dass die Karte als Sammelnummer den
White-Power-Code 1488 trägt, mag Zufall sein – sehr wahrscheinlich ist es
das aber nicht. „Invoke Prejudice“ („aktiviere Vorurteile“) heißt diese
Spielkarte. Sie ist bereits 1994 erschienen und mit sechs weiteren vor ein
paar Tagen verboten worden.
Auf offiziellen Turnieren darf sie nun nicht mehr gespielt werden, auch aus
der offiziellen Datenbank des „Magic“-Herstellers Wizards of the Coast
wurde sie getilgt. Für aktive Spieler:innen hatte die Mitteilung
überschaubare Konsequenzen, da schließlich nur eine Handvoll Karten unter
mehr als 20.000 weiteren betroffen ist. Nur geht es bei dem Eingriff doch
um mehr als ein bisschen bedruckte Pappe.
Die Erfolgsgeschichte des 1993 erfundenen Sammelkartenspiels „Magic“ steht
für analoge Nerdkultur im Ganzen. In Sachen Bekanntheit wird die Marke
höchstens noch vom Fantasyrollenspiel „Dungeons & Dragons“ überboten,
wirtschaftlich hingegen steht sie unangefochten an der Spitze.
Spielwarenhersteller Hasbro und Wizards of Coast haben Milliarden mit der
Reihe umgesetzt. Die weltweit organisierte Turnierszene umfasst nach
Herstellerangaben 35 Millionen Spieler:innen in mehr als 70 Ländern.
Dass einzelne Karten für das Turnierspiel gesperrt werden, ist für sich
genommen nicht ungewöhnlich. Die Komplexität des Spiels macht
Nachjustierungen nötig, weil auch bei monatelangen Testphasen vor neuen
Sets immer wieder Kartenkombinationen durchrutschen, die das Spiel
dominieren und so den Spielspaß gefährden. Der Eingriff aus politischen
Gründen ist hingegen neu – und wurde entsprechend kontrovers aufgenommen.
Während vor allem in der Schwarzen Community Freude über das neue
Problembewusstsein herrscht, tobt in Szeneforen und sozialen Medien eine
Schlammschlacht über Zensur und vermeintlich übertriebene politische
Korrektheit.
## Der Konflikt gärt schon länger
Unter der Oberfläche gärt dieser Konflikt schon länger. Wizards of the
Coast arbeiten seit Jahren an einer breiten Diversitätsoffensive, die nicht
bei allen Nerds gut ankommt. So sind starke Frauenfiguren inzwischen eine
Selbstverständlichkeit, People of Color treten auf und werden in der Regel
inzwischen auch ohne die unbeholfen-rassistischen Stereotype der frühen
Jahre repräsentiert. Auch das menschliche Miteinander auf offiziellen
Veranstaltungen steht inzwischen unter Beobachtung.
Das umfangreiche Turnierregelwerk sieht harte Strafen für sexistische oder
rassistische Beleidigungen vor, und auch in der Praxis werden auffällige
Spieler:innen immer wieder disqualifiziert. Mindestens bei den auf
Streamingportalen wie Twitch übertragenen Meisterschaften der
Profispieler:innen herrscht inzwischen ein Umgangston, der sich mit den
zivilisatorischen Standards von Schachwettkämpfen durchaus messen kann.
Jetzt geht es an die Altlasten. Neben der KKK-Referenz wurde etwa auch die
Karte „Imprison“ entfernt, auf der ein abgemagerter Schwarzer sich unter
einer eisernen Maske windet. Die Zeichnung ist nicht affirmativ zu
verstehen, weckt aber doch unweigerlich Erinnerungen an die Sklaverei – so
wie auch die Karten „Crusade“ und „Jihad“ historische Greueltaten
mindestens unkritisch aufgreifen, um damit Spannung zu erzeugen.
## Suchtfragen und Sorge ums Taschengeld
In der öffentlichen Debatte war es lange ruhig um „Magic“. Ganz anders in
den frühen 90ern, als das neuartige Spiel wie aus dem Nichts die Schulhöfe
eroberte: In den USA erregten sich christliche Fundamentalist:innen über
satanische Symbolik, woraufhin etwa ein brennender Drudenfuß in einer
Neuauflage der Karte „Unheilige Stärke“ übermalt wurde.
In Deutschland hingegen bestimmten Suchtfragen und die Sorge ums
Taschengeld der Jugendlichen die Debatte. Auch die taz wird [1][damals
aufmerksam], besucht einen Fachhändler am Ku’damm in Berlin und kommt
schließlich zu einem distanzierten aber doch entwarnenden Urteil: „Magic“,
heißt es, sei ein „variantenreiches Kartenspiel mit kompliziertem
Regelwerk, angesiedelt in der träumerisch-verquasten Welt des Fantasy“.
Die allgemeine Unbedarftheit im Umgang mit rassistischen Stereotypen wird
auch darin deutlich, dass die taz zur Illustration des Artikels unter den
damals bereits Hunderten von Karten ausgerechnet die „Prassenden Zigeuner“
abdruckt – eine der sieben kürzlich getilgten. Die erzählte Welt von
„Magic“ war damals ein wüstes Durcheinander aus herbeizitierten
Fantasy-Klischees: Märchefeen trafen auf Maschinenwesen, mythologisch
übersättigte Gralsritter und Voodoo-Zauber. Auf ästhetischer Ebene
entsprach dem ein mitunter ausgesprochen schöner Eklektizismus.
## Boom für Zeichner:innen
Auf der Kartenhand steckten pseudorealistische Actionbilder neben
jugendstilinspiriertem Symbolismus und Pulp-Comic neben als abstrakten
Farbfeldern gestalteten Illusionszaubern. Man nahm einfach – wenngleich auf
hohem Niveau – alles, was in der Szene gerade ankam. Das hatte auch einen
unerwarteten Boom für Zeichner:innen zur Folge, die mit Fantasy plötzlich
ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten – oder eben im Schutz der Masse
einen rassistischen Witz wie die KKK-Karte in der Popkultur platzieren
konnten.
Heute folgen die regelmäßig neuen „Magic“-Sets minutiös durchgeplanten
Designkonzepten, um die Themen der kommenden Monate stimmig und konsistent
zum Leben zu erwecken. Mit lohnenden Verträgen werden einzelne
Zeichner:innen für ganze Kartensätze engagiert und lassen antike
Mythologie, Pirat:innen oder Schauerromantik wie aus einem Guss erscheinen.
Dabei werden immer wieder auch alte Karten neu designt – mal als
komplizierte Anspielung auf die eigene Vorgeschichte, oft aber auch
schlicht, um sie aktuellen Moden anzupassen.
## Harte Personalentscheidungen
Dass die diskriminierungssensiblen Neuaufstellung der Marke aber doch
tiefer geht als solche Neuanstriche für den Zeitgeist, zeigen harte
Personalentscheidungen im selben Zug. So haben sich Wizards of the Coast im
Juni etwa von der seit 1996 aktiven Künstlerin Terese Nielsen getrennt,
weil sie in sozialen Medien mit Alt-Right-Faschisten und
Verschwörungstheoretikern angebändelt hatte. Ebenfalls gefeuert wurde der
Zeichner Noah Bradley, der nach zahlreichen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs
schließlich [2][eingestand], mehrere Frauen zum Sex gezwungen zu haben.
Wizards of the Coast begründeten die Entscheidungen mit dem Ziel, „ein
sicheres und unterhaltsames Umfeld für alle in der Community“ zu schaffen.
Und dieses Miteinander ist tatsächlich nicht nur wirtschaftlich zentral für
das Spiel, weil Menschen es bei „Magic“ unmittelbar miteinander zu tun
bekommen. Von der norddeutschen Kleinstadt über Spanien bis Japan werden
jeden Freitag Kleinstturniere ausgerichtet, auf denen Menschen immer wieder
neu aushandeln, was das Spiel bedeutet.
Hier versuchen Pokerprofis, sich mit der Aussicht auf fünfstellige
Preisgelder für den nächsten internationalen Wettkampf zu qualifizieren,
während jugendliche Fantasyfans ihren Spaß eher an der Narration haben.
„Magic“ ist ein kompliziertes und kostspieliges Hobby und findet schon
deshalb hinter verschlossenen Türen statt: in einem Insiderzirkel, der
bislang weitgehend ungestört an seiner Lüge vom unpolitischen Freizeitspaß
stricken konnte. Und dabei geht es längst nicht nur um sieben verschwundene
Karten, sondern um die fundamentale Selbstkritik, die Museen und seit MeToo
auch Filmindustrie und Videospielszene umtreibt – und die nun endlich auch
in den Eingeweiden der Nerdszene angekommen ist.
19 Jul 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1467555&s=magic+karten&SuchRahmen=Print/
[2] https://twitter.com/noahbradley/status/1274670378296774658/photo/1
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Nerds
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