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# taz.de -- Koloniales Erbe: Kein unschuldiges Motiv
> Antisemitismus statt Rassismus? Bei der Umbennenung des U-Bahnhofes
> M*-Straße wurden die Forderungen rassismuskritischer Gruppen nicht
> beachtet.
Bild: Seit 2018 fordern Aktivist*innen eine Anton-Wilhelm-Amo-Straße
Es hätte durchaus einer jener seltenen Anlässe zu Optimismus sein können,
dass die mühsame Aufarbeitung des deutschen Kolonialimus und Rassismus in
der Hauptstadt nun die Unterstützung einer durchaus populären Institution
findet.
Nach den Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus, die auch in Berlin
Zehntausende auf die Straße brachten, teilten nämlich die Berliner
Verkehrsbetriebe (BVG) am letzten Freitag überraschend mit, dass sie den
rassistischen Namen der M*-Straße in Mitte nicht länger für den anliegenden
U-Bahnhof verwenden möchten.
Schon im Dezember soll die Station umbenannt werden. Damit geht die BVG –
in gewohnt öffentlichkeitswirksamer Weise – auf eine der Forderungen ein,
die rassismuskritische Gruppen seit Jahren erheben: das koloniale Erbe, das
nach wie vor den öffentlichen Raum in der Stadt prägt, als gewaltvoll
anzuerkennen und tätig zu werden.
„Weil’s wichtig ist“, schrieb die BVG auf Twitter. Allein: Die BVG bezog
die besagten Gruppen nicht mit ein, die mit ihrer historisch-kritischen
Expertise darauf hätten hinweisen können, dass die – geografisch –
naheliegende Bezeichnung „Glinkastraße“ für den U-Bahnhof keine gute Wahl
ist. Auch die Vertreter*innen der Grünen hätten die Entscheidung der
landeseigenen Verkehrsgesellschaft prüfen sollen, bevor sie jubeln.
„Antisemitismus statt Kolonialrassismus?“, hinterfragte der Verein Berlin
Postkolonial in den sozialen Medien die Entscheidung. Denn der russische
Komponist Michail Glinka, der in Berlin gestorben ist und nun dem Bahnhof
indirekt seinen neuen Namen geben soll, muss als Antisemit gelten. In der
Zeitung Jüdische Allgemeine kommentierte die Autorin Judith Kessler: „Ich
finde es schade, dass sich die BVG nicht einen anderen für ihre
Bahnhofsumbenennung ausgesucht hat – Martin Dibobe zum Beispiel, der von
1902 bis 1919 der erste Berliner Zugführer afrikanischer Herkunft war.“
Noch mehr: Dibobe forderte 1919 in einer Petition Bürgerrechte für alle
Menschen aus den deutschen Kolonien. Judith Kessler stellt klar, dass es
nicht um eine Auslöschung der kolonialrassistischen Vergangenheit gehen
darf, sondern dass es einer aktiven Bearbeitung des kollektiven
Gedächtnisses bedarf. Das Bündnis Decolonize Berlin hat schließlich eine
Petition an den grünen Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel,
gestartet, der es der BVG ermöglichen soll, einen wirklich passenden Namen
zu wählen.
Die Verkehrsgesellschaft zeigte sich nämlich durchaus offen für die
vorgetragene Kritik. In dem Aufruf zur Umbennennung der M*-Straße heißt es:
„Eine Figur, die vielen beim M-Wort in den Sinn kommt, ist der Sarotti-M*,
das Markenzeichen der Schokoladen-Fabrik, die ihren ersten Sitz in der
Berliner M*straße hatte. Die Karikatur eines Schwarzen Jungen mit grotesk
überzeichneten Gesichtszügen, der sich offenbar glücklich schätzt, die
Kundschaft mit kolonialen Produkten versorgen zu dürfen, ist ein weit
verbreitetes, aber alles andere als unschuldiges Motiv.
## Petition für Anton Wilhelm Amo
Anstelle dieser Herrschaftsfantasie weißer Europäer*innen, die Menschen
afrikanischer Herkunft zu willfährig-kindlichen Hausdienern herabwürdigt,
möchten wir eine historische Persönlichkeit ehren, die eng mit der
Geschichte des Straßennamens verbunden ist. Wir schlagen vor, Anton Wilhelm
Amo, den ersten Gelehrten afrikanischer Herkunft an einer preußischen
Universität, zu würdigen.“ Unterschreiben kann mensch diese Petition
[1][hier].
Eine weitere Petition der Bewegung #blackhistoryindeutschland fordert, in
den Berliner Schulen vermehrt deutsche Kolonialgeschichte sowie deutsche
Migrationsgeschichte zu lehren, in den Bildungseinrichtungen
Antirassismustrainings für Schüler*innen und Lehrer*innen zu fördern und
die Quellen von Schwarzen und Personen of Color im Deutsch- und
Geschichtsunterricht wahrzunehmen. „Um in Deutschland gegen
allgegenwärtigen Rassismus ankämpfen zu können, müssen diskriminierende
Strukturen so früh wie möglich abgebaut werden“, heißt es in dem Aufruf,
der [2][hier] unterschrieben werden kann.
## Naturfreundejugend diskutiert auch
„Wer den Antisemitismus bekämpfen will, muss ihn verstehen“, lautet die
Einladung zu einem Online-Seminar der Naturfreundejugend Berlin am Samstag,
den 11. Juli, von 11 bis 15 Uhr.
„Gemeinsam wollen wir versuchen, die verschiedenen Theorien zu ordnen und
zu rekonstruieren. Wie hat sich Antisemitismus historisch verändert und wie
reagiert die Theoretisierung darauf? Was verstehen die Theorien jeweils
unter Antisemitismus und welche politischen Implikationen hat das?“
Anmeldung unter [email protected].
Vielleicht können ja auch die entscheidenden Personen bei der BVG bei
diesem Seminar noch etwas dazulernen.
9 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.change.org/p/der-regierende-b%C3%BCrgermeister-der-stadt-berlin…
[2] https://www.change.org/p/deutsche-kolonialgeschichte-und-anti-rassismus-in-…
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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