# taz.de -- Südosteuropa im Krisenmodus: Wut, die sich mit Wucht entlädt | |
> Bulgarien, Serbien, Montenegro, Albanien – Länder in schwierigen Zeiten. | |
> Auf dem Balkan wächst der Unmut über Korruption und politischen | |
> Stillstand. | |
Bild: Allerorts die ähnlichen Bilder demonstrierender Menschen: hier Proteste … | |
Berlin taz | Korruption, organisiertes Verbrechen, politischer Stillstand – | |
dagegen regt sich in vielen Ecken Südosteuropas derzeit Widerstand. In | |
Serbien kam es zu Ausschreitungen wegen erneuter Coronamaßnahmen. In | |
Montenegro gingen Menschen wegen eines Streits um die serbisch-orthodoxe | |
Kirche auf die Straße. Und in Albanien gab es Aktionen gegen den [1][Abriss | |
des geschichtsträchtigen Nationaltheaters], das mittlerweile einem | |
geplanten Einkaufszentrum gewichen ist – für viele ein klarer Fall von | |
Korruption. | |
Die Auslöser all dieser Proteste mögen unterschiedlich sein, doch sie alle | |
richten sich im Kern gegen politischen Stillstand, rücksichtslose Eliten | |
und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die sich durch die | |
Coronapandemie noch verschärft hat. Seit Anfang der 1990er Jahre, seit der | |
Auflösung des Ostblocks und dem Zerfall Jugoslawiens, befindet sich die | |
Region in einem unvollendeten Wandel. | |
Reformen haben darin oft nur einen demokratischen Anstrich. So will | |
Albaniens Regierung derzeit das Wahlrecht reformieren: Offiziell ein | |
Schritt hin zur EU-Integration, doch Kritiker*innen warnen, dass die | |
geplante höhere Prozenthürde und das Verbot von Parteizusammenschlüssen vor | |
Wahlen nur der Regierungspartei SP (Sozialistische Partei) nutzen. Die | |
Menschen fühlen sich betrogen. | |
Proteste entladen sich dann oft spontan und mit großer Wucht. Während der | |
Tage anhaltenden Straßenschlachten in Serbien verschafften sich | |
Demonstrant*innen Zugang zum Parlamentsgebäude. Die Sicherheitskräfte | |
schlugen brutal zurück. | |
## Protestbewegungen ohne klare Linie | |
Nach ersten Wutausbrüchen folgt dann meist die Ernüchterung – die Proteste | |
verpuffen früher oder später. Ihnen fehlt eine zentrale Organisation, um | |
die Wut zu bündeln und ihr eine Stoßrichtung zu geben. In [2][Serbien etwa | |
zog ein bunter Haufen durch die Straßen], von Linken bis zu rechten | |
Hooligans. Eine Antwort auf das, was nach ihrem Protest kommen soll, haben | |
sie nicht. Und so ist es auch in Belgrad [3][wieder ruhiger geworden]. | |
Auf die politische Opposition können die Unzufriedenen nicht hoffen – denn | |
die ist meist ausgehöhlt oder zerstritten. In Albanien boykottiert die | |
Oppositionspartei DP (Demokratische Partei) – die selbst nicht gerade mit | |
demokratischen Ambitionen glänzt – die parlamentarische Arbeit aus Protest | |
gegen die Regierung. In Serbien hat Aleksandar Vučić sämtliche Medien | |
gleichgeschaltet und kontrolliert seit der Wahl am 21. Juni zwei Drittel | |
des Parlaments. Und in Montenegro hält seit der Unabhängigkeit mit | |
Präsident Milo Ðukanović ein einziger Mann die Strippen in der Hand. | |
Auch auf die EU setzt kaum jemand – zu lange hat sie sich hinter die | |
jeweiligen Regierungschefs gestellt, allen voran hinter Borissow in | |
Bulgarien, der sich gern proeuropäisch gibt. | |
Mit jedem Rückschlag, den die Protestbewegungen ertragen müssen, verlassen | |
außerdem mehr und mehr Menschen die Region. In Südosteuropa ist der Exodus | |
junger und gut ausgebildeter Menschen, die nach Westeuropa ziehen, in | |
vollem Gange. | |
Ob [4][Bulgariens Protestbewegung] scheitert, wird sich voraussichtlich | |
nächste Woche zeigen: Dann steht im Parlament ein Misstrauensvotum an, bei | |
dem möglicherweise nicht nur einige Minister*innen ausgetauscht werden, | |
sondern die gesamte Regierung weichen muss. | |
19 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Abriss-des-Nationaltheaters-in-Tirana/!5686063 | |
[2] /Heftige-Proteste-in-Belgrad/!5694364 | |
[3] /Proteste-in-Serbien/!5694513 | |
[4] /Regierung-in-Bulgarien/!5695973 | |
## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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