# taz.de -- Parlamentswahl in Montenegro: Djukanovic muss Schlappe befürchten | |
> Der kleine Vielvölkerstaat auf dem Balken ist in zwei politische Lager | |
> gespalten. Dazu kommt ein Streit um den Grundbesitz der orthodoxen | |
> Kirche. | |
Bild: Drei Wählerinnen warten auf die Stimmabgabe in der montenegrinischen Sta… | |
Split taz | Am Sonntag sind die rund 540.000 Wähler des Ministaates | |
Montenegro aufgerufen, ein neues 81-köpfiges Parlament zubestimmen. Nach | |
den anhaltenden scharfen Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen über | |
die orthodoxe Kirche und [1][die Corona- und Wirtschaftskrise] darf man | |
gespannt sein, ob es die bisherige Regierungspartei DPS, die Partei der | |
Sozialisten noch einmal schafft, sich gegen die Opposition durchzusetzen. | |
Bei der vorigen Wahl erhielt die DPS 41 Prozent der Stimmen. Eine | |
Niederlage der Sozialisten wäre eine Schlappe für den [2][seit fast 30 | |
Jahren regierenden Präsidenten Milo Djukanovic]. | |
Das Land ist seit jeher politisch in zwei Lager gespalten. Das größere | |
Lager fühlt sich als Teil des Westens, will weiter den Weg in die EU gehen | |
und setzte 2017 den Eintritt in die Nato durch. Das andere Lager fühlt sich | |
mit Serbien verbunden, hegt außenpolitisch Sympathien für Wladimir Putin | |
und Russland und protestierte heftig gegen den Nato-Eintritt. Politisch | |
wird dieses Lager durch das Parteienbündnis „Za buducnost Crne Gore“ (Für | |
die Zukunft Montenegros) repräsentiert, das bei den letzten Wahlen rund ein | |
Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Es sieht Milo Djukanovic | |
als den Hauptgegner. | |
Die Partei der Sozialisten dagegen ist fest im Griff des 58-jährigen | |
Präsidenten, der als einstmals glühender Anhänger des serbischen | |
Präsidenten Slobodan Milosevic der einzige ist, der dessen Ära auf dem | |
Westbalkan politisch überlebt hat. Das gelang ihm, weil er sich 1996 von | |
Milosevic und der Kriegspolitik Serbiens löste, im Kosovokrieg neutral | |
blieb, das Land dann 2006 in die Unabhängigkeit führte und dem es 2010 | |
gelang, Verhandlungen über den Eintritt des Landes in die EU aufzunehmen. | |
Für die proserbische Opposition gilt er als ein Verräter an der | |
Brudernation Serbien, für die Sozialisten als montenegrinischer Patriot. | |
Djukanovic hat den autokratischen Führungsstil aus alter Zeit beibehalten. | |
Sein Regime zeichnet sich durch einen hohen Grad an Korruption aus, er | |
selbst und seine Familie haben sich zweifellos bereichert, er hat die | |
Presse manipuliert, auf Linie gebracht und unliebsame Personen verhaften | |
lassen. | |
## Proeuropäisches Lager hofft auf Zulauf | |
Deshalb stehen im proeuropäischen Lager ihm und seiner Partei | |
oppositionelle Strömungen entgegen, die sich Chancen auf erhebliche | |
Zuwächse ausrechnen. So die linksgrüne Reformpartei URA, die nach letzten | |
Umfragen 7,5 Prozent der Stimmen erreichen könnte. Auch aus dem Lager der | |
beiden sozialdemokratischen Parteien, die um die 5 Prozent herumdümpeln, | |
hört man hoffnungsvolle Stimmen. | |
Die stärkste Kraft der demokratischen Opposition dürfte die | |
wirtschaftsliberale Partei „Mir je nasa nacija“ MNN mit rund 11 Prozent der | |
Stimmen werden. Ob die MNN mit dem proserbischen Parteienbündnis, in dem es | |
auch liberale Strömungen gibt, Djukanovic koalieren kann, ist noch nicht | |
ausgemacht. | |
Im Vielvölkerstaat Montenegro ist es für die bisherige Regierung sehr | |
wichtig, dass die bosniakische (muslimische) Partei und die Albanerpartei | |
nach den Wahlen wie bisher die Sozialisten unterstützen. So kommt es | |
Djukanovic durchaus gelegen, dass es zu einem Konflikt zwischen den | |
orthodoxen Kirchen im Lande gekommen ist. | |
Seit Monaten versucht die proserbische Partei, ein Dekret des | |
Staatspräsidenten Milo Djukanovic zu bekämpfen, das die serbische orthodoxe | |
Kirche benachteiligt. Bei dem Kirchenstreit geht es weniger um Theologie | |
als um Politik und Grundbesitz. 1919 nämlich, mit der Gründung des Staates | |
Jugoslawien, der von Anfang an serbisch dominiert war, vereinnahmte die | |
serbisch-orthodoxe Kirche die montenegrinische Kirche. Der Kirchenbesitz | |
und die Klöster gingen in der serbischen Kirche auf. | |
Mit der Unabhängigkeit des Landes 2006 formierte sich die | |
montenegrinisch-orthodoxe Kirche mit Hilfe Djukanovics erneut und forderte | |
ihr Eigentum zurück. Mit einem Dekret im Dezember 2019 hat Djukanovic die | |
Position der montenegrinischen Kirche gestärkt und wütende Demonstrationen | |
der Mitglieder der serbischen othodoxen Kirche provoziert. Sollte der | |
Kirchenstreit die Opposition im prowestlichen Lager, die über andere | |
Probleme als über die altertümlich anmutenden Religionsstreitereien | |
diskutieren wollte, schwächen? Man wird es am Sonntagabend sehen. | |
30 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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