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# taz.de -- Mieterschutz in New York: Wenn zum Wohnen nichts mehr bleibt
> Ein Viertel zahlt nicht mehr die volle Miete. Bislang waren die New
> YorkerInnen in ihren Wohnungen trotzdem halbwegs geschützt. Das ändert
> sich bald.
Bild: In der Mieterstadt New York sind die Mieten so hoch, dass es die Leute au…
New York taz | Cancel the Rent – Streicht die Miete – steht auf dem Schild
am Fenster im vierten Stock des Mietshauses an der Edgecombe Avenue in
Harlem, New York. Als es da Anfang April auftauchte, war das Coronavirus in
den USA noch neu, und die Arbeitslosenzahlen hatten gerade erst begonnen,
in ungekannte Höhen zu steigen.
Inzwischen haben sich fast 4,5 Millionen Menschen im Land mit dem Virus
infiziert, mehr als 150.000 sind an den Folgen gestorben, und über 50
Millionen haben sich wegen der Pandemie arbeitslos gemeldet. Allein in der
letzten Woche sind 1,43 Millionen neue Arbeitslose hinzugekommen. Das sind
mehr Menschen als in den schlechtesten [1][Momenten] der Großen Depression
der 1930er Jahre.
Das Wort „Mietstreik“ prangt jetzt auf Buttons an Hemden und auf Aufklebern
an Stoßstangen, in New York, aber auch anderswo im Land. Schon jetzt zahlen
25 Prozent der MieterInnen nicht mehr ihre komplette Miete. Nach
Schätzungen des Unternehmens Stout Risius Ross, das New York in
Finanzfragen berät, können 46 Prozent der MieterInnen in der Stadt in
absehbarer Zeit nicht mehr zahlen.
## Essen oder Miete
„Ich muss mich zwischen Essen und Miete entscheiden“, sagt eine junge Frau
vor dem Wohnungsgericht in Brooklyn, „beides geht nicht.“ Das Gericht hatte
nach der pandemiebedingten Schließung bereits im Juni wieder mit
Mietrechteprozessen begonnen.
Doch noch bis zum 20. August gilt ein Moratorium, das die meisten New
Yorker MieterInnen vor Räumungen schützt. Gouverneur Andrew Cuomo hatte es
verhängt. Der Demokrat, jahrelang ein verlässlicher Partner der New Yorker
Immobilienlobby, musste unter dem vereinten Druck von Pandemieopfern und
neuen Linken, die 2018 in den Senat des Bundesstaates eingezogen waren,
nachgeben und vorübergehend ein zusätzliches Stück Mieterschutz schaffen.
Cuomo hat das Ultimatum bereits zum dritten Mal verlängert. Es bedeutet,
dass MieterInnen, die wegen der Pandemie ihre Einnahmen verloren haben und
nicht zahlen können, vorerst nicht auf die Straße gesetzt werden dürfen.
Doch ihre Mietzahlungen sind lediglich verschoben. Manche New Yorker sitzen
schon jetzt auf Mietschulden von mehr als 10.000 Dollar, die sie bezahlen
müssen, wenn sie nach Ablauf des Moratoriums nicht geräumt werden wollen.
New York ist eine Mieterstadt – im Gegensatz zu den Städten von
WohnungseigentümerInnen anderswo im Land: mit 1,2 Millionen MieterInnen und
mit einigen der einflussreichsten ImmobilienbesitzerInnen des Landes. Das
Angebot an Wohnraum war geringer als die Nachfrage, sie trieben die Mieten
immer höher. Seit Anfang des Jahrtausends stiegen die Mieten in New York
City um mehr als 30 Prozent, während gleichzeitig die Löhne – zumindest am
unteren Rand – stagnierten.
## Pandemie-Hilfe läuft aus
An diesem 1. August verschärft sich die Lage von MieterInnen in New York
und im Rest des Landes noch einmal. Am Freitag sind die vorübergehenden
finanziellen Hilfen, die der US-Kongress im März im Rahmes des
Cares-Gesetzes für Opfer der Pandemie bewilligt hatte, ausgelaufen. Die
wichtigste davon: 600 Dollar pro Woche, um die magere
Arbeitslosenunterstützung von durchschnittlich 333 Dollar pro Woche
aufzustocken.
Das mehrheitlich demokratische Repräsentantenhaus hatte schon im Mai ein
neues Hilfspaket geschnürt. Es würde die Hilfen verlängern und zusätzliche
Leistungen – darunter auch einen bundesweiten Mieterschutz vor Räumungen –
einführen. Aber der mehrheitlich republikanische Senat konnte sich 73 Tage
lang nicht entscheiden. Erst in dieser Woche legte er eine radikal
geschrumpfte, eigene Version für neue Hilfen vor.
Diese würde unter anderem bedeuten, dass die Zusatzleistungen für
Arbeitslose auf nur noch 200 Dollar pro Woche reduziert werden. Wenige
Wochen später sollen die pauschalen Zusatzleistungen zum Arbeitslosengeld
komplett auslaufen. Die Republikaner wollen den Arbeitslosen dann nur noch
70 Prozent ihres letzten Lohns gewähren. Für die große Zahl der
Corona-Arbeitslosen, die zuvor in der Gastronomie und im Einzelhandel für
den Mindestlohn gearbeitet haben, bedeutet das den Absturz in die Armut.
Das Paket der Demokraten im Repräsentantenhaus würde 3 Billionen Dollar
kosten, das der Republikaner im Senat 1 Billion.
Im Augenblick gibt es kaum freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Und als
Folge der täglich mehr als 65.000 Neuinfektionen in den USA werden es immer
weniger. Zahlreiche Unternehmen haben bereits zum zweiten Mal geschlossen
und ihre Beschäftigten erneut in die Arbeitslosigkeit entlassen.
## Kein Verständnis für die Sorgen der MieterInnen
Doch der republikanische Chef des Senats, Mitch McConnell, ist etwa der
Ansicht, dass 600 Dollar pro Woche Arbeitslose davon abhielten, auf den
Arbeitsmarkt zurückzukehren. Verständnis für die Sorgen von MieterInnen
ohne Einkommen zeigen die Republikaner nicht.
Ihre Regierung in Washington besteht mitunter aus Leuten, die mit
Immobilienspekulationen zu Geld gekommen sind; von Präsident Donald Trump
über Schwiegersohn Jared Kushner bis hin zu Finanzminister Steven Mnuchin,
der sich nach der Rezession von 2008 an der Spitze der Bank OneWest auf
Zwangsräumungen spezialisierte.
Heidi Shierholz, Ökonomin beim Economic Policy Institute, nennt die
Streichung der 600 Dollar einen „schrecklichen Fehler“, der nicht nur die
Arbeitslosen treffen würde, sondern auch ihr Umfeld. „Mindestens fünf
Millionen Arbeitsplätze quer durch die USA hängen von dieser
Konjunkturhilfe ab“, warnt sie.
Eine Miete in New York werden nach den Kürzungen der staatlichen
Finanzhilfen noch weniger Arbeitslose zahlen können. Sowohl in
Sozialwohnungen als auch auf dem „freien“ Markt sind die Mieten in New York
höher als anderswo. Eine durchschnittliche New Yorker Wohnungsmiete liegt
nach Zahlen von ImmobilienmaklerInnen in diesem Sommer bei 3.392 Dollar,
3,51 Prozent weniger als im vergangenen.
## Jeder Fünfte räumungsbedroht
Für die rund 110 Millionen MieterInnen in den USA werden die kommenden
Monate grausam. Sam Gilman vom „Covid-19 Eviction Defense Project“ hält
mehr als 20 Prozent aller MieterInnen in den USA für räumungsgefährdet. Der
Thinktank Aspen Institut schätzt, dass im September, wenn ein Bundesstaat
nach dem anderen seinen Räumungsschutz aufheben wird, 23 Millionen Menschen
im Land aus ihren Wohnungen und Häusern geräumt werden könnten. In
Kalifornien könnten bis zu vier Millionen Menschen ihre Bleibe verlieren,
in Texas zwei Millionen, und in Florida und New York jeweils 1,5 Millionen.
Viele MieterInnen in den USA und insbesondere an teuren Standorten wie New
York, San Francisco und Seattle zahlten schon vor der Pandemie ruinös hohe
Mieten, die mehr als 30 Prozent ihres Einkommens verschlangen. Mit der
drohenden Zwangsräumung wird für die meisten von ihnen eine Spirale nach
unten beginnen, in der Kinder ihre Schule und Erwachsene ihr soziales
Umfeld verlieren. Und in deren Folge auch die Bonität verloren geht, ohne
die es in den USA schwer ist, überhaupt eine neue Wohnung zu bekommen.
Die Minderheiten – insbesondere AfroamerikanerInnen und Latinos – sind wie
schon bei der Ansteckung mit dem Coronavirus und bei der Polizeigewalt auch
von Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit überproportional betroffen.
Im Oktober endet außerdem die wegen der Pandemie bewilligte Pause bei den
Rückzahlungen für Studienschulden. Die betroffenen 45 Millionen Menschen
müssen dann wieder zahlen – auch wenn sie weiterhin arbeitslos sein
sollten.
Einen schnellen Rückgang der Arbeitslosigkeit erwartet niemand. Sowohl die
Federal Reserve als auch die Privatbanken gehen davon aus, dass die
Arbeitslosenzahlen zumindest im nächsten Jahr im zweistelligen Bereich
bleiben werden.
Auch die HausbesitzerInnen zeigen sich wenig kooperativ. Der Sprecher der
Vereinigung droht sowohl MieterInnen als auch PolitikerInnen, dass der
Rückgang von Mieteinnahmen zu Verwahrlosung von Wohnraum und zum Wegfall
von Steuern führen wird.
Der erste „Mietstreik“ seit Jahrzehnten gibt manchen die Hoffnung, dass sie
weitere Gesetze zum Mieterschutz schaffen können. Mehrere junge Linke im
Senat in Albany sind nach Kampagnen gegen die Immobilienspekulation und die
Immobilienlobby in New York gewählt worden. Sie schlagen jetzt vor, dass
die Banken die Verluste ausgleichen sollen, die durch den Ausfall von
Mieten und den Wegfall von Steuern entstehen.
1 Aug 2020
## LINKS
[1] /Stillstand-in-der-US-Metropole/!5681504/
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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