# taz.de -- Politikwissenschaftlerin über die EU: „Solidarität ist hochpoli… | |
> In der Coronakrise haben sich die EU-Länder gegenseitig unterstützt. Jana | |
> Puglierin hat ein Werkzeug mitentwickelt, das die Hilfsbereitschaft | |
> misst. | |
Bild: Medizinisches Personal versorgen einen Covid-19-Patienten aus Frankreich … | |
taz: Frau Puglierin, im April hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von | |
der Leyen bei Italien dafür entschuldigt, dass Europa [1][dem Land in der | |
Coronakrise] nicht genug geholfen habe. Sie und Ihre KollegInnen vom ECFR | |
haben mit dem [2][European Solidarity Tracker] nun ein Instrument | |
entwickelt, um zu zeigen, was die EU-Mitgliedstaaten in der Pandemie | |
füreinander getan haben. Wie solidarisch haben sich die Mitgliedstaaten | |
gezeigt? | |
Jana Puglierin: Insgesamt kann man sagen, dass es Anfangsschwierigkeiten | |
gab. Aber es ist auch zu sehen, dass die Hilfen ab Mitte März sprunghaft | |
angestiegen sind, gerade im medizinischen Bereich. Wenn man auf die | |
Ergebnisse schaut, dann sieht man ein dichtes Netz von Hilfsmaßnahmen, die | |
entweder zwischenstaatlich oder durch EU-Institutionen erfolgt sind und die | |
ganze EU überspannen. Unser Tracker zeigt auch, dass Solidarität absolut | |
nicht nur altruistisch motiviert ist, sondern hochpolitisch. Aber mein | |
[3][Fazit ist auf jeden Fall positiv]. Die EU ist besser als das, was bei | |
den Bürgern meines Erachtens hängengeblieben ist. | |
Woran sehen Sie, dass die europäischen Hilfen nicht nur altruistisch sind? | |
Ich glaube, wir sollten Solidarität generell weniger romantisieren. | |
Dahinter steckt auch der Gedanke: Wenn man sich heute mit einem Staat | |
solidarisch zeigt, wird einem dieser Staat morgen vielleicht auch helfen. | |
Es ist eine Art Versicherungsmaßnahme. Wir sehen bei dem Tracker wirklich | |
ganz klar, wie [4][Ungarn] gezielt Masken an ungarische Minderheiten in den | |
Nachbarstaaten geliefert hat – und zwar nur an diese. Diese Politik des | |
Nationalismus verfolgt Viktor Orbán ohnehin. Das hat gerade in den | |
Nachbarländern viel Kritik hervorgerufen, sie haben von ethnischer | |
Diskriminierung gesprochen. Da sieht man glasklar, dass diese Maßnahmen, | |
die unter dem Etikett Solidarität verkauft werden, einer politischen Agenda | |
dienen. | |
Gibt es ein Land, das mit seinen Hilfsmaßnahmen besonders hervorsticht? | |
Durch die schiere Masse an Hilfen ist das tatsächlich Deutschland, das sich | |
sehr solidarisch vor allem im medizinischen Bereich gezeigt hat – und mit | |
der Übernahme von Patienten. Deutschland ist natürlich auch das größte, | |
mächtigste und wohlhabendste Land innerhalb der Europäischen Union. Was ich | |
sehr spannend fand, ist, dass ein Land wie Polen relativ früh und auch | |
entschieden zum Beispiel medizinisches Personal nach Italien geschickt hat. | |
Länder, die sich nicht unbedingt in anderen Fragen [5][solidarisch mit | |
Italien] gezeigt haben, [6][zum Beispiel in der Flüchtlingskrise], haben | |
hier trotzdem gehandelt. | |
In Ihrem Tracker gibt es die Möglichkeit, sich die Art der geleisteten | |
Hilfe anzusehen – und die Kategorie „declared“, die Ankündigungen aufzei… | |
Stellen Sie ein Diskrepanz fest? | |
In der Kategorie „declared solidarity“ sieht man, dass es viele | |
Absichtserklärungen gab. Der Tracker wird sich im Laufe der Zeit zu einem | |
Instrument entwickeln, mit dem man die Absichtserklärungen und | |
Solidaritätsbekundungen von Staats- und Regierungschefs an ihren Taten | |
messen kann. Das übergeordnete Ziel unseres Trackers war es, so apolitisch | |
wie möglich zu sein – wir wollten kein Ranking von Staaten, sondern | |
visualisieren und zeigen, wie die Debatte über Solidarität in den | |
Mitgliedstaaten geführt wird. Durch den Knopf „public debate“ können Sie | |
sehen, ob sich ein Land alleingelassen gefühlt hat oder eher als Geberland. | |
Wir wollten zeigen, wie unterschiedlich Solidarität verstanden wird. | |
Glauben Sie, dass die EU-Mitgliedsländer aus der Pandemiesituation lernen | |
werden? | |
Ich glaube ja. Politisch sieht man das am Beispiel von Deutschland, das | |
nach großen Startschwierigkeiten jetzt die Art der Kommunikation geändert | |
hat. Am Anfang hat die Kanzlerin bei ihren Fernsehansprachen die anderen | |
europäischen Länder nicht einmal erwähnt – jetzt berichtet sie viel | |
darüber, wie betroffen diese sind, und hält den Solidaritätsgedanken sehr | |
hoch. Das hätten eigentlich all die Krisen der letzten Jahre schon zeigen | |
müssen – nämlich dass ein Land manchmal selbst in die Verlegenheit kommt, | |
Solidarität von anderen zu brauchen. Wie sich ein Land heute in der | |
Covid-19-Krise anderen gegenüber verhält, wird sich vielleicht in der | |
nächsten Krise rächen. | |
25 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Italien-als-Corona-Epizentrum-Europas/!5677804 | |
[2] https://www.ecfr.eu/solidaritytracker | |
[3] /Aufbaupaket-gegen-Corona-Krise/!5689034 | |
[4] /Gesundheitsnotstand-in-Ungarn/!5689747 | |
[5] /Solidaritaet-in-der-Corona-Pandemie/!5677958 | |
[6] /EU-Fluechtlingspolitik-am-Mittelmeer/!5658242 | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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