# taz.de -- Corona-Ausbruch in einer Fleischfabrik: Tönnies macht wegen Corona… | |
> Der Branchenriese Tönnies meldet, dass hunderte Mitarbeiter positiv auf | |
> das Virus getestet wurden. Nun stellt das Unternehmen den Schlachtbetrieb | |
> ein. | |
Bild: Mitarbeiter im Schlachtereibetrieb Tönnies | |
BERLIN taz | Nach einem massiven Corona-Ausbruch hat Deutschlands größter | |
Schlachtkonzern, Tönnies, die Produktion in seinem Stammwerk im | |
nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück gestoppt. Dort schlachtet das | |
Unternehmen nach eigener Angabe pro Tag 20.000 Schweine. Mit der gesamten | |
Unternehmensgruppe hat Tönnies nach eigenen Angaben einen Marktanteil von | |
20 Prozent. Bisher sind rund 400 Mitarbeiter des Schlachthofs positiv | |
getestet worden. | |
Der Kreis stelle nun 7.000 Menschen unter Quarantäne, so Landrat Sven-Georg | |
Adenauer (CDU). Betroffen seien alle Personen, die auf dem Werksgelände | |
gearbeitet hätten. Sie würden nun nach und nach auf eine Infektion mit dem | |
Coronavirus getestet. Einen allgemeinen Lockdown für den Kreis werde es | |
nicht geben, obwohl die wichtige Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 | |
Einwohner in sieben Tagen deutlich überschritten sei. Der Kreis schließt | |
aber alle Schulen und Kitas bis zum Beginn der Sommerferien am 29. Juni. So | |
solle eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung vermieden werden, sagte | |
eine Sprecherin des Kreises. Unter den Tönnies-Beschäftigten seien | |
zahlreiche Eltern mit schulpflichtigen Kindern. | |
Als mutmaßliche Gründe für die zahlreichen Infektionen nannte das | |
Unternehmen die Rückkehr von Arbeitern nach Heimaturlauben sowie die | |
Kühlung in Bereichen der Firma. Gekühlte Räume beförderten offenbar das | |
Übertragen des Virus auf viele Personen, so Tönnies-Vertreter Gereon | |
Schulze Althoff. | |
„Wir können uns nur entschuldigen“, sagte Konzernsprecher André Vielstäd… | |
Man habe „intensiv“ daran gearbeitet, das Virus „aus dem Betrieb zu | |
halten“. Der Infektionsherd müsse in den vergangenen Wochen in den Betrieb | |
hereingetragen worden sein, da die behördlich verordneten Tests vor drei | |
bis vier Wochen bei den betroffenen Mitarbeitern negativ gewesen seien. | |
Schlachthöfe sind Hotspots für Corona-Infektionen. Hunderte Fälle gab es | |
[1][Mitte Mai zum Beispiel bei Westfleisch im nordrhein-westfälischen | |
Coesfeld], im Bad Bramstedter Schlachthof des Konzerns Vion oder bei Müller | |
Fleisch im baden-württembergischen Birkenfeld. | |
## Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen | |
Bisher werden Gewerkschaftern zufolge in großen Schlachthöfen bis zu 80 | |
Prozent der Mitarbeiter von Subunternehmern beschäftigt. Diese Konstruktion | |
erleichtert es, die Verantwortung für Bezahlung unter dem Mindestlohn, | |
mangelnden Arbeitsschutz oder Unterbringung in zu kleinen oder überbelegten | |
Wohnungen zu verschleiern. Die meisten Beschäftigten kommen etwa aus | |
Rumänien. | |
„Das war zu erwarten, denn wir haben immer gesagt, dass die Situation in | |
der Fabrik selber ein Riesenproblem ist, weil die Leute viel zu dicht und | |
eng beieinander im Produktionsprozess stehen, und dass die Unterbringung | |
der Leute nach wie vor eine der größten Gefahren ist zur Verbreitung der | |
Seuche“, sagte Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, | |
Genussmittel und Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland, | |
der taz über den jetzt bekannt gewordenen Ausbruch. Die Beschäftigten seien | |
fast immer in Mehrbettzimmern untergebracht. „Da ist das Ansteckungsrisiko | |
einfach viel zu hoch.“ | |
„Wir fordern, dass man die Bandgeschwindigkeit herunterfährt, die | |
Arbeitszeiten entzerrt und die Leute über andere Schichtmodelle arbeiten | |
lässt, damit die Mindestabstände für den Infektionsschutz eingehalten | |
werden“, so Brümmer. | |
Die NGG hofft, dass die Bundesregierung wie angekündigt Werkverträge beim | |
Schlachten und Zerlegen ab 2021 verbietet. Ein entsprechendes | |
Eckpunktepapier hat die Große Koalition nach den ersten Coronafällen Ende | |
Mai beschlossen. Ein Gesetzentwurf wird gerade erarbeitet. | |
„Dann müssen die Schlachthöfe für ihre Leute sorgen und nicht das über | |
dubioseste Subunternehmer laufen lassen, die ihre Entstehung ja zum Teil im | |
kriminellen Milieu haben“, so Brümmer. Die Industrie lehnt das | |
Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren Kosten Betriebe ins | |
Ausland abwanderten. „In der Region Oldenburg/Ostfriesland gibt es mehrere | |
große Fleischbetriebe, die ihre Leute selbst beschäftigen“, antwortete der | |
Gewerkschafter darauf. „Dazu gehört Böseler Goldschmaus mit mehr als 1.000 | |
Beschäftigten. Merkwürdigerweise ist das möglich.“ (mit dpa) | |
Anmerkung der Redaktion vom 18.06.20: | |
In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass durch die Schließung | |
des Schlachthofs 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt | |
fehlten, und ein Zitat des Landrats Adenauer dazu. Die Deutsche | |
Presseagentur (dpa) hat diese Angaben nun zurückgezogen und durch die | |
Produktionszahlen und den Marktanteil von Tönnies ersetzt. | |
17 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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