# taz.de -- Arbeitsrechtlerin über Fleischindustrie: „Die Arbeitnehmer sind … | |
> Ein Schlachtbetrieb in Schleswig-Holstein verlangt von seinen Arbeitern | |
> Verschwiegenheitsverpflichtungen und droht mit Schadensersatzforderungen. | |
Bild: Umstrittene Branche: Protest gegen die Fleischindustrie | |
taz: Frau Brors, eine Verschwiegenheitspflicht etwa zum Gehalt, wie von der | |
Deutschen Schlacht und Zerlegung [1][(DSZ) in Bad Bramstedt] gefordert, | |
steht ja in vielen [2][Arbeitsverträgen]. Was ist denn daran problematisch? | |
Christiane Brors: Verschwiegenheitsklauseln sind üblich und auch zulässig, | |
wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat. Das gilt | |
aber nicht für das Gehalt und allgemeine Dinge, die der Arbeitnehmer im | |
Betrieb kennenlernt. Das ist viel zu weitgehend. Mit berechtigtem Interesse | |
sind Betriebsgeheimnisse gemeint, mit denen der Arbeitnehmer nicht zur | |
Konkurrenz laufen darf. | |
Die DSZ fordert Schadenersatz, wenn die Vereinbarung gebrochen wird. | |
Das ist auch nicht rechtens. Die Verschwiegenheitsklausel war schon zu weit | |
gefasst, sodass sie unwirksam ist. Dann kann sich daran auch keine | |
Rechtsfolge knüpfen. Und eine Formulierung, dass man sich allgemein | |
schadensersatzpflichtig machen kann, wäre ebenfalls viel zu weit gefasst. | |
Denn der Arbeitnehmer haftet nicht für jede Fahrlässigkeit. | |
Warum schreiben die dann so was rein? | |
Dass Klauseln verwendet werden, die rechtswidrig sind, passiert schon mal | |
im Arbeitsrecht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Vertragswerke | |
oft nicht angegriffen werden und Arbeitnehmer nicht klagen. Benutzt werden | |
solche Vertragswerke auch, um Arbeitnehmer einzuschüchtern. | |
In dem Vertrag wird die Arbeitszeit mit 40 bis 50 Wochenstunden angegeben. | |
Es ist nicht möglich, eine solche Arbeitszeit zu vereinbaren. Die nach dem | |
Arbeitszeitgesetz übliche Arbeitszeit von acht Stunden kann zwar verlängert | |
werden, der Arbeitgeber muss aber in einem Ausgleichszeitraum darauf | |
achten, dass im Schnitt die acht Stunden nicht überschritten werden. Eine | |
regelmäßige Arbeitszeit von 50 Wochenstunden – das geht nicht. | |
Die DSZ sieht eine Ausbildungszeit vor, die der Arbeitnehmer bei einer | |
Kündigung vor dem Ablauf von zwei Jahren bezahlen muss. | |
Nach der Klausel soll der Arbeitnehmer den Lohn der ersten beiden Monate | |
zurückzahlen. Es ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen möglich, den | |
Arbeitnehmer über Rückzahlungsklauseln von Schulungskosten an den Betrieb | |
zu binden. Hier handelt es sich jedoch um bereits verdienten Lohn, zudem im | |
Mindestlohnbereich. Das ist ebenso eine unwirksame Klausel. | |
Wie kann man sich wehren? | |
Die Arbeitnehmer sind da relativ machtlos. Wenn sich der Arbeitnehmer | |
weigert, mehr zu arbeiten, kann er in der Praxis unter Druck gesetzt und | |
mit einem Rausschmiss bedroht werden. Das wird bei vielen Arbeitnehmern | |
dazu führen, dass sie die Rechte, die sie haben, gar nicht geltend machen. | |
Wie würde das gehen? | |
Man kann die Behörden darauf hinweisen, dass die Arbeitszeit regelmäßig | |
überschritten wird. Aber das werden sich sehr wenige Arbeitnehmer trauen, | |
erst recht ausländische Arbeitnehmer. | |
Wäre die Gewerkschaft der bessere Ansprechpartner? | |
Man könnte sich an den Betriebsrat wenden, aber in vielen Subunternehmen | |
der Fleischindustrie bestehen gar keine Betriebsräte. Man kann sich an die | |
Gewerkschaft wenden, aber gerade die Arbeitnehmer aus dem Ausland bräuchten | |
erst mal die nötigen Informationen. Die Leute, um die es hier geht, sind | |
meist nicht in der Gewerkschaft. | |
Der Gesetzgeber ist in den vergangenen Jahren auf die Probleme aufmerksam | |
geworden. Woran hapert es noch? | |
Der Gesetzgeber hat überlegt, [3][Werkverträge in diesem Bereich zu | |
verbieten]. Das ist der falsche Weg. Man müsste darauf achten, dass die | |
gesetzlichen Arbeitsbedingungen eingehalten und kontrolliert werden – am | |
besten mit einer verpflichtenden und transparenten Arbeitszeitkontrolle, | |
die von den Behörden überwacht wird. Dazu müsste noch ein höherer | |
Mindestlohn kommen sowie Überstundenzuschläge. | |
Was müsste wer dafür tun? | |
Man könnte einen Tarifvertrag abschließen, der für allgemeinverbindlich | |
erklärt wird. Damit hätte man auch Leute erfasst, die nicht in der | |
Gewerkschaft sind. Der Gesetzgeber sollte das anstoßen. Wenn die | |
Tarifvertragsparteien das nicht hinbekommen, müsste die | |
Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz geregelt werden. Der EuGH hat | |
Deutschland ohnehin dazu verpflichtet, eine objektive, verlässliche und | |
zugängliche Arbeitszeiterfassung einzurichten. | |
11 Jun 2020 | |
## LINKS | |
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[3] /Corona-Ausbrueche-in-Schlachthoefen/!5687259 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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