| # taz.de -- Corona-Ausbruch in Schlachthof: Osteuropäer als Sündenböcke | |
| > NRW-Ministerpräsident Armin Laschet kassiert Kritik für eine Äußerung | |
| > über osteuropäische Beschäftigte, die sich mit Corona infiziert haben. | |
| Bild: Ein Mann sieht rot: Nach der Kritik lenkte NRW-Ministerpräsident Armin L… | |
| BERLIN taz/dpa | Die SPD hat von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident | |
| Armin Laschet eine Entschuldigung für eine Äußerung über | |
| Schlachthofarbeiter aus Rumänien und Bulgarien gefordert. Der CDU-Politiker | |
| hatte am Mittwoch auf die Frage einer Journalistin, was der Corona-Ausbruch | |
| in der Fleischfabrik des Tönnies-Konzerns in Rheda-Wiedenbrück über die | |
| bisherigen Lockerungen aussage, geantwortet: „Das sagt darüber überhaupt | |
| nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus | |
| herkommt. Das wird überall passieren.“ | |
| SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete es als „unsouverän, dass | |
| Herr Laschet als Erstes die Bulgaren und die Rumänen, also die Arbeiter, | |
| die herkommen, um hier wirklich unter widrigen Umständen in der | |
| Fleischindustrie zu arbeiten, dass er die angreift“. Er erwarte daher eine | |
| Entschuldigung, sagte Klingbeil am Donnerstag bei bild.de. Die Zahl der | |
| positiv getesteten Mitarbeiter des Schlachthofs stieg auf 730. | |
| Nach der Kritik teilte Laschet schließlich mit: „Menschen gleich welcher | |
| Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich.“ Man müsse | |
| davon ausgehen, dass die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der | |
| Menschen zur rasanten Verbreitung des Virus unter den Mitarbeitern des | |
| Schlachtbetriebs beigetragen hätten. | |
| Einer Expertin für Infektionskrankheiten zufolge ist es „extrem | |
| unwahrscheinlich“, dass Hunderte von Coronafällen auf Familienbesuche am | |
| Wochenende zuvor zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf | |
| Tage, sodass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen | |
| erklären kann“, sagte Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe | |
| Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität | |
| Genf dem Science Media Center. „Die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen | |
| scheinen mit den aktuell notwendigen Hygienemaßnahmen nicht gut vereinbar | |
| zu sein.“ | |
| ## Körperliche Anstrengung führt zu hoher Virusausscheidung | |
| [1][Wenn zahlreiche Menschen bei der Arbeit und in ihren Unterkünften nah | |
| beisammen sind, könne sich das Virus auch durch nur wenige zuerst | |
| Infizierte schnell verbreiten.] „Ein weiterer Faktor ist eventuell die | |
| körperliche Anstrengung während der Arbeit, die zu höherer | |
| Virusausscheidung führt, sowie die kalte und feuchte Luft in den | |
| Schlachtanlagen. Feuchte Hände, Handschuhe, Schürzen und Kleidung zum | |
| Beispiel beim Hantieren mit Fleischprodukten könnten zusätzlich die | |
| Übertragung durch Schmierinfektionen begünstigen“, so die | |
| Wissenschaftlerin. | |
| „Wenn sie da 10, 12, 14, 16 Stunden am Tag arbeiten, schaffen sie es nicht, | |
| ständig Mundschutz zu tragen und die Abstände einzuhalten“, sagte Freddy | |
| Adjan, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), | |
| der taz. Zudem sei [2][es in der Branche die Regel, dass die meist über | |
| Subunternehmer beschäftigten Arbeiter „in fürchterlichen Wohnungen“ mit | |
| beispielsweise zwölf Betten und nur einer Toilette und einem Bad | |
| „eingepfercht“ seien.] | |
| Die Schlachthöfe hätten sich ihrer Verantwortung dafür entledigt, indem sie | |
| die Subunternehmer per Werkvertrag bezahlten. Wenn ein Tönnies-Vorarbeiter | |
| den Werkvertragsmitarbeitern Anweisungen gebe, „dann ist es kein Gewerk | |
| mehr, sondern eine illegale Arbeitnehmerüberlassung“, so Adjan. „Tönnies | |
| darf sich da wegen der Werkvertragskonstruktion gar nicht einmischen.“ | |
| ## Billigfleischland Deutschland | |
| Zu Forderungen, Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen schon früher als | |
| bisher von der Bundesregierung geplant zu verbieten, sagte der | |
| Gewerkschafter: „Mir ist es lieber, es kommt am 1. Januar 2021, aber nicht | |
| von der CDU/CSU-Fraktion so geschleift, dass es überhaupt nichts hilft.“ | |
| Der aktuelle Zeitplan für die Gesetzesänderung sei schon ehrgeizig. | |
| Die Industrie lehnt das Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren | |
| Kosten Betriebe ins Ausland abwanderten oder Fleisch zu teuer wäre. „Das | |
| ist Humbug“, sagte Adjan. „Diese Unternehmen haben schon Firmen im | |
| europäischen Ausland. Aber sie wissen, dass sie in Deutschland noch | |
| billiger produzieren als irgendwo anders.“ Dänemark und Schweden hätten | |
| ihre Fleischindustrie an die deutsche Billigkonkurrenz verloren. Zudem | |
| würden die Tiere hier gemästet. „Die müsste man auch nach Rumänien bringe… | |
| Das wird nicht funktionieren.“ | |
| Wenn die Schlachthöfe ihre Arbeiter direkt mit normalen Tarifen | |
| beschäftigten, müssten die Verbraucher nur 20 Cent pro Kilogramm | |
| Schweinefleisch mehr bezahlen, rechnete Adjan vor. | |
| Unterdessen protestierten Dutzende Lehrer und Eltern mit ihren Kindern vor | |
| dem privaten Tönnies-Anwesen, einem Werk des Schlachtbetriebs sowie einer | |
| Kirche in Rheda-Wiedenbrück. Protestteilnehmerin Melanie Beforth sagte: | |
| „Bildung ist offenbar nicht so wichtig, wie ein Stück Fleisch zu essen.“ | |
| Die Familien seien an der Grenze ihrer Leistungskapazität. Nach dem | |
| Corona-Ausbruch bei Tönnies sind Schulen und Kindergärten im Kreis | |
| Gütersloh geschlossen worden. | |
| 18 Jun 2020 | |
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| Jost Maurin | |
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