| # taz.de -- Priester über Schlachthof-Kontrollen: „Wo Symptome sind, ist es … | |
| > Schon vor Wochen hat der Priester Peter Kossen Kontrollen rund um | |
| > Schlachthöfe gefordert. Er hofft, dass endlich grundsätzliche | |
| > Verbesserungen kommen. | |
| Bild: Die Fleischbranche im Blick: Priester und Aktivist Peter Kossen (l) mit M… | |
| taz: Mit welchen Gefühlen sehen Sie, dass jetzt die Kontrollen rund um | |
| Schlachthöfe kommen, die Sie vor Wochen gefordert haben, Herr Kossen? | |
| Peter Kossen: Wir haben ja in den letzten Wochen gelernt, dass es da, wo | |
| Symptome sind, im Grunde schon zu spät ist. Und nicht nur für denjenigen, | |
| der Symptome hat, sondern auch für sein Umfeld. Daher ist da schon eine | |
| gewisse Bitterkeit. Andererseits denke ich, wenn es jetzt kommt, wird es | |
| aufschlussreich sein, um die [1][Lebens- und Arbeitssituation dieser Szene] | |
| mal ins Licht zu rücken. Ich habe die Hoffnung, dass daraus dann auch ein | |
| politischer Wille resultiert, die Dinge im Sinne der Arbeitsmigranten zu | |
| regulieren. | |
| Sie sind optimistisch, dass das über den Pandemieschutz hinaus reicht für | |
| eine Verbesserung ihrer Situation? | |
| Ich glaube, dass es notwendigerweise so sein wird. Wenn man wirklich eine | |
| Situation schaffen will, in der die Leute in der Lage sind, ihrer Arbeit | |
| nachzugehen, ohne ständig in Gefahr zu sein, sich zu infizieren, muss das | |
| auch mit einer Regulierung einer ausbeuterischen 60-Stunden-Woche | |
| einhergehen. Und mit einer Wohnsituation, in der sich die Leute | |
| regenerieren können. | |
| Ganz nüchtern gefragt: Wenn man das Ganze als eine Maschinerie betrachtet, | |
| die weiterlaufen soll, dann kann sie das doch auch mit strengeren | |
| Hygieneregeln, aber was die Leute dabei verdienen und wie lange sie | |
| arbeiten, spielt da keine Rolle. | |
| Deswegen ist bislang so wenig passiert. Man kann ja den Eindruck haben, | |
| dass die Bevölkerung jetzt aufmerksam wird, weil man die Hotspots hat und | |
| nicht sicherstellen kann, dass man in der eigenen Wohngegend auch so einen | |
| Hotspot hat. Da wünsche ich mir schon mehr Empathie mit der Situation der | |
| Menschen als solche. Es kann da ja nicht nur um uns gehen, das tut es ja | |
| schon viel zu lange. Wenn wir die billige Bratwurst wollen, nehmen wir das | |
| andere ja mehr oder minder wissend in Kauf. | |
| Noch einmal zu den Maßnahmen, die jetzt kommen sollen: Niedersachsen will | |
| anders als etwa Schleswig-Holstein nicht flächendeckend, sondern nur | |
| risikoorientiert in Schlachthöfen testen. Ist das ausreichend? | |
| Wenn man da zu viele Ausnahmen möglich macht und es eine Definitionsfrage | |
| ist – und die Frage ist, wer definiert eigentlich das Risiko – dann hätte | |
| ich die Sorge, dass da nachher nicht nur das Risiko eine Rolle spielt, | |
| sondern auch Firmen- und Lobbyinteressen. Nach meiner Lesart sind alle | |
| Risikogruppe und deswegen finde ich es defizitär, wie Niedersachsen das | |
| macht. | |
| Wie ordnen Sie die Reaktionen aus der Fleischbranche ein? | |
| Die Wettbewerbsverzerrungen, die da befürchtet werden, kommen ja gar nicht | |
| zum Tragen, wenn es für alle Betriebe im Land gilt. Wettbewerbsverzerrungen | |
| hat es vorher gegeben, als die deutsche Fleischindustrie in allen Ländern | |
| rundum die Betriebe ausgetrocknet hat. | |
| Kontrollen in Sachen Arbeitsstandards und Unterkünften haben Gewerkschaften | |
| und Ihr Verein [2][„Aktion Würde und Gerechtigkeit“] schon lange gefordert. | |
| Ist da bislang etwas Nennenswertes passiert? | |
| Die Behörden haben es gerne von sich abgewiesen, sodass offensichtlich | |
| niemand so richtig zuständig war. Das ist ein Teil des Problems, dass man | |
| es die letzten Jahren immer hin- und hergeschoben hat, ohne dass sich an | |
| der Situation etwas verändert hat. | |
| Sie haben im April in einem offenen Brief an den niedersächsischen | |
| Ministerpräsidenten Weil und den nordrhein-westfälischen Arbeits- und | |
| Gesundheitsminister Laumann zu Coronazeiten besonderen Schutz für die | |
| Schlachthof-Leiharbeiter gefordert. Gab es darauf irgendeine Reaktion? | |
| Man merkt schon, dass die Parteien in den Landesparlamenten darauf | |
| reagieren, zum Teil auch die Oppositionsparteien. Es ist schon so, dass das | |
| wahrgenommen wird. | |
| Wie glaubwürdig sind die Reaktionen, wenn erst jetzt etwas passiert? | |
| Ich habe den offenen Brief gerade an Herrn Laumann und Herrn Weil | |
| geschickt, weil ich es denen zutraue und weiß, dass es ihnen ein | |
| persönliches Anliegen ist. Aber beide haben Koalitionspartner, denen ich es | |
| nicht ohne Weiteres zutraue, dass sie es wirklich zu ihrem Anliegen machen. | |
| Es gibt skeptische Stimmen, die sagen, dass ein System, das auf | |
| Billigfleisch setzt, das mit Dumpinglöhnen produziert wird, gar nicht | |
| reformierbar ist. | |
| Man muss natürlich grundsätzlich überlegen, ob man als Gesetzgeber zulassen | |
| will, dass man einen so hohen Anteil an Belegschaft ausgliedert und das | |
| über Subunternehmer machen lässt. Man kann das ohne Weiteres eingrenzen auf | |
| ein Maß, wie die Zeitarbeit einmal gedacht war, um damit Belastungsspitzen | |
| abzufedern. Das sind dann vielleicht zehn Prozent der Belegschaft, aber | |
| nicht 80. | |
| Was verändert das konkret? | |
| Wenn es Stammbelegschaft ist, hat man ganz andere Möglichkeiten der | |
| Kontrolle, dann ist der Betriebsrat zuständig, dann kommt vielleicht noch | |
| eine Gewerkschaft ins Spiel. Aber indem man zulässt, dass mit den | |
| Personaldienstleistern auch eine große Zahl Krimineller ins Spiel kommt, | |
| darf man sich nicht wundern, wenn man diese Zustände hat. | |
| Bei Ihnen um die Ecke, in Garrel, sitzt das Unternehmen Goldschmaus, das | |
| allen Werkvertragsarbeitern eine Festanstellung angeboten hat. Warum macht | |
| das nicht Schule? | |
| Ministerpräsident Weil war vor einem Jahr bei Goldschmaus, um das System zu | |
| stärken und einen gewissen Zugzwang in der Szene auszulösen. Das Problem | |
| ist, dass in der Fleischindustrie die Unternehmen zum Teil ihre eigenen | |
| Subunternehmen sind und zum Teil auch ihre eigene Immobilienfirma. So kann | |
| man tatsächlich noch mehr Geld verdienen. | |
| 13 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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