# taz.de -- Covid-19 in der Fleischindustrie: Kein Fleisch – keine Ausbeutung | |
> Schlachthöfe sind Hotspots für Coronainfektionen. Vegetarier sehen nur | |
> eine Lösung: Die VerbraucherInnen müssen auf Fleisch verzichten. | |
Bild: Coronatests auf dem Gelände von Westfleisch in Coesfeld/Nordrhein-Westfa… | |
Für viele Vegetarier ist der aktuelle Corona-Ausbruch in Schlachthöfen ein | |
weiteres Argument gegen Fleischkonsum. „In der Fleischindustrie werden | |
Menschen und Tiere unwürdig behandelt. Die Arbeitsbedingungen begünstigen | |
Infektionen“, sagte Lisa Kainz, Fachreferentin der Tierrechtsorganisation | |
Peta, am Montag der taz. „Die Fälle zeigen, dass das Ernährungssystem, von | |
dem wir leben, nicht mehr zeitgemäß ist“, ergänzte Alex Grömminger, | |
Sprecher des größten deutschen Vegetarierverbands ProVeg. Sie riefen dazu | |
auf, kein Fleisch mehr zu essen. | |
Tatsächlich sind Schlachthöfe ein Hotspot für Coronainfektionen. Allein bei | |
Westfleisch im nordrhein-westfälischen Coesfeld sind nach Behördenangaben | |
250 Arbeiter positiv getestet worden. In Schleswig-Holstein wurden rund 110 | |
Fälle im Bad Bramstedter Schlachthof des Konzerns Vion gemeldet. Bei Müller | |
Fleisch im baden-württembergischen Birkenfeld waren es etwa 300. Die Zahlen | |
waren so hoch, dass die betroffenen Landkreise teilweise ihre geplanten | |
Lockerungen der Kontaktbeschränkungen wegen der Coronapandemie verschieben | |
mussten. [1][Dass die Fleischindustrie ein systematisches Problem mit | |
Infektionen hat], zeigt auch ein Blick in die USA: Dort haben sich Tausende | |
Beschäftigte angesteckt. | |
„Die Arbeiter stehen oft dicht gedrängt aneinander. Sie haben keine | |
Möglichkeit, irgendwelche Hygienemaßnahmen einzuhalten“, kritisiert | |
Peta-Aktivistin Kainz. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) | |
bestätigt diese Vorwürfe. Ihr Vize-Vorsitzender Freddy Adjan fügt hinzu: | |
„Die nach den Hygienestandards festgelegten Masken dienen vor allem als | |
Spuckschutz.“ Es sei nicht ausreichend geprüft, ob sie genügend vor Viren | |
schützen. Die hohe körperliche Belastung der Arbeiter am Schlachtband | |
schwäche die Immunabwehr. | |
Viele Betroffene stecken sich auch in ihren Unterkünften an. Denn wie die | |
deutsche Landwirtschaft beschäftigt die Fleischindustrie zahlreiche | |
Wanderarbeiter aus Osteuropa. Vor allem Rumänen und Bulgaren schlachten und | |
zerlegen in Deutschland Tiere und verarbeiten sie zu Fleischprodukten | |
weiter. In den großen Schlachthöfen stellen sie Gewerkschaftern zufolge bis | |
zu 80 Prozent der Beschäftigten. Sie arbeiten in der Regel einige Monate in | |
der Bundesrepublik und kehren dann in ihre Heimat zurück. | |
## Verstöße gegen Sicherheitsregeln an der Tagesordnung | |
Meist werden sie von Subunternehmen angestellt, die von den Schlachthöfen | |
über Werkverträge beauftragt werden. Die Subunternehmer organisieren in der | |
Regel auch die Wohnungen; die Auftraggeber wollen damit nichts zu tun | |
haben. Zwar gilt auch für solche Beschäftigten der deutsche Mindestlohn, | |
aber der wird laut Experten häufig durch zu hohe oder ungerechtfertigte | |
Abzüge etwa für die Unterkunft oder angebliche Fehler bei der Arbeit | |
umgangen. Auch seien überlange Arbeitszeiten und Verstöße gegen die | |
Sicherheitsregeln an der Tagesordnung. | |
Nordrhein-Westfalen stellte im Oktober 2019 in 26 der 30 überprüften | |
Schlachthöfe mit insgesamt rund 17.000 Beschäftigten teils gravierende | |
Verletzungen von Arbeitsschutzvorschriften fest: Schutzeinrichtungen wurden | |
entfernt, mit gefährlichen Stoffen wurde leichtfertig umgegangen, | |
Notausgänge abgeschlossen, Werkzeuge waren zu stark abgenutzt, was das | |
Unfallrisiko erhöht. | |
Häufig begünstigen zu kleine und überbelegte Wohnungen, zu wenig | |
Sanitärräume und mangelnde Hygiene Infektionen, klagt die NGG. „Wir kennen | |
ausufernde Viruserkrankungen bei den ausländischen Beschäftigten der | |
Fleischunternehmen seit langer Zeit. Im vergangenen Jahr war es eine | |
Hepatitisinfektion im Emsland“, so Adjan. Auch im aktuellen Fall bei Müller | |
Fleisch kritisierte die NGG zu enge Wohnungen. Oft könnten die Bewohner nur | |
unter schwierigen Bedingungen Essen kochen. | |
Da die ausländischen Beschäftigten kaum Deutschkenntnisse haben, wenig über | |
ihre Rechte wissen und nur kurz im Land sind, können sie sich nur schlecht | |
gegen die Ausbeutung wehren. | |
## Was sollten VerbraucherInnen also tun? | |
Sogar Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann – | |
immerhin ein CDU-Politiker – sagte am Montag im Deutschlandfunk, dass der | |
Schlachthof in Coesfeld „mit Sicherheit die Hygienestandards, die in der | |
jetzigen Zeit notwendig sind, nicht ernst genug genommen hat“. | |
Arbeitsschutzkonzepte für Produktionsbetriebe seien nicht eingehalten | |
worden. Der Minister kritisierte ebenfalls die flächendeckende Arbeit mit | |
Werkverträgen. Laumann hat den Schlachtbetrieb in Coesfeld schließen | |
lassen. Landesweit sollen nun alle mehr als 20.000 Mitarbeiter in | |
Schlachthöfen bis Ende der Woche getestet werden. Die | |
Unterbringungsverhältnisse der Arbeiter sollten untersucht werden, „soweit | |
wir das rechtlich können“. | |
Die Tierrechtler von Peta glauben nicht, dass sich die Probleme durch | |
bessere Kontrollen in den Griff bekommen ließen. „Die Ämter haben gar nicht | |
genug Kapazitäten“, sagt Aktivistin Kainz. „Und die Tiere hätten davon | |
nichts.“ | |
Was sollen VerbraucherInnen also tun? „Ganz klar: kein Fleisch mehr | |
kaufen“, antwortet Kainz. Dann könnte die Fleischindustrie auch nicht ihre | |
Schlachthöfe ins Ausland auslagern, wenn hierzulande die Arbeitsbedingungen | |
besser und damit die Produktionskosten höher würden. „Es gibt genügend | |
pflanzliche Alternativen“, sagt ProVeg-Sprecher Grömminger. Die Verbände | |
raten Verbrauchern auch, sich für eine Politik einzusetzen, die vegane | |
Ernährung begünstigt. | |
[2][Biofleisch dagegen werde das Problem nicht lösen]. „Die meisten | |
Biotiere werden in denselben Schlachthöfen getötet“, sagt Kainz. Weit | |
unter 1 Prozent des Ökoviehs lande in sehr kleinen Metzgereien, die | |
möglicherweise bessere Arbeitsbedingungen hätten. „Mehrere Skandale haben | |
gezeigt, dass auch in Kleinbetrieben Tiere leiden.“ | |
Die Fleischbranche entgegnet auf Vorwürfe regelmäßig, dass sie besonders | |
hohe Hygienestandards habe. Zudem könne sie die Produktion in Coronazeiten | |
nicht einfach einstellen. Denn Vion, Tönnies und Westfleisch können oder | |
wollen sich eine ausgewogene Ernährung ohne Fleisch nicht vorstellen. | |
11 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Peta-zur-Lungenerkrankung-aus-China/!5656984&s=Tierrechtler/ | |
[2] /CO2-Steuer-auf-Fleisch/!5646394&s=Biofleisch/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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