| # taz.de -- Häuserblocks in Berlin unter Quarantäne: Corona fördert den Rass… | |
| > Nachdem Neukölln mehrere Mietshäuser mit allen Bewohnern unter Quarantäne | |
| > gestellt hat, werfen Initiativen dem Bezirk Diskriminierung vor. | |
| Bild: In der Kritik: Neuköllns Bürgermeister Hikel (r.) und Stadtrat Liecke | |
| Berlin taz | Am Vorgehen des Bezirks Neukölln [1][mit dem heftigen | |
| Corona-Ausbruch] in einigen Wohnblocks gibt es von mehreren Seiten Kritik. | |
| Roma-Initiativen beschweren sich, der Umgang mit den Menschen trage | |
| antiziganistische Züge. „Ich glaube nicht, dass man sich getraut hätte, ein | |
| ganzes Haus mit 'Deutschen’ unter Quarantäne zu stellen“, sagte Milan | |
| Pavlovic vom Rroma Informations-Centrum der taz. | |
| Ähnlich fragt Georgi Ivanov von Amaro Foro, einem Selbsthilfeverein von | |
| Roma und Nicht-Roma: „Warum stellt man nicht nur die positiv getesteten | |
| Haushalte unter Quarantäne? Warum spricht Stadtrat Falco Liecke öffentlich | |
| von Roma und rumänischer Nationalität, was hat das mit der Krankheit zu | |
| tun?“ | |
| Ivanov ärgert, dass die Adresse eines der betroffenen Häuser öffentlich | |
| ist. Das Haus war früher sehr heruntergekommen und ist seither als | |
| „Roma-Haus“ bekannt. Dass die Adresse nun erneut kursiere, sei | |
| stigmatisierend für die BewohnerInnen, findet Pavlovic. Zudem, so Ivanov, | |
| seien die BewohnerInnen somit leichtes Ziel für Nazis und rechte Hetze. | |
| Nach Aussage von Christian Berg, Sprecher von Bezirksbürgermeister Martin | |
| Hikel (SPD), hat der Bezirk keine Adressen von „Corona-Häusern“ | |
| herausgegeben: „Das würden wir niemals tun“, beteuerte er am Donnerstag | |
| gegenüber der taz. Der erste Bericht mit Adresse stand vor einigen Tagen in | |
| der B. Z., die auch ein Foto des Hauses veröffentlichte. | |
| Am Dienstag hatte der Bezirk bekannt gegeben, dass sieben Häuser mit 369 | |
| Haushalten komplett unter Quarantäne gestellt worden seien. Bis Mittwoch | |
| waren 70 BewohnerInnen positiv auf Covid-19 getestet worden. Die Quarantäne | |
| wurde bereits am vergangenen Samstag verhängt. Die Verbindung zwischen den | |
| betroffenen Häusern soll sein, dass überall Mitglieder einer oder mehrerer | |
| Pfingstlergemeinden leben. Auch in Spandau und Mitte sollen in diesem | |
| Zusammenhang Quarantänen verhängt worden sein – zumindest in Mitte aber | |
| wohl nicht für ein ganzes Haus, sondern nur für positiv getestete | |
| Haushalte. | |
| Gesundheitsstadtrat Liecke (CDU) wurde in den vergangenen Tagen mehrfach | |
| mit Äußerungen zitiert, dass ein Großteil der Betroffenen aus der | |
| „Roma-Community“ komme. Die Kommunikation erweise sich als „schwierig“, | |
| sagte er etwa der Morgenpost, weil viele kaum Deutsch sprächen und auch | |
| „bildungsmäßig nicht auf dem Stand (sind), dass sie alle medizinischen | |
| Informationen verstehen können“. | |
| Es sei ein typisch antiziganistisches Klischee, so Ivanov, dass ein | |
| Gesundheitsthema in Zusammenhang mit Roma gebracht werden. Dabei lebten | |
| etwa in dem einen – nun bekannten – Haus auch Menschen vieler anderer | |
| Nationalitäten. Dass diese nun alle unter Quarantäne gestellt wurden, | |
| „schürt doch Konflikte und Aggressionen gegen die Roma“, befürchtet der | |
| Sozialberater. | |
| Zudem sei es unfair, wenn der Stadtrat über Schwierigkeiten mit der | |
| „Klientel“ klage, etwa über Sprachbarrieren. „Es gibt viele Sprachmittle… | |
| die das Amt unterstützt haben: Warum muss man dieses Thema überhaupt | |
| erwähnen?“ Gleiches gelte für die Warnung Lieckes, „Quarantänebrechern“ | |
| werde man mit der Polizei kommen. „Es gibt doch den Corona-Bußgeldkatalog, | |
| warum gleich Polizei?“, fragt Ivanov. | |
| Kritik am Bezirk kommt auch aus einer anderen Ecke. Das Gesundheitsamt habe | |
| viel zu spät auf Warnungen vor einem größeren Ausbruchsgeschehen innerhalb | |
| der rumänischen Pfingstlergemeinde reagiert, sagen Mitarbeiter aus dem | |
| Bezirk, die anonym bleiben wollen. Das Amt hätte direkt Reihentests in den | |
| Häusern machen sollen, anstatt langwierige Kontaktverfolgungen zu | |
| versuchen. | |
| ## Bezirk reagiert auf Vorwürfe | |
| Hikels Sprecher weist den Vorwurf zurück. Am 5. Juni sei – durch die vom | |
| Senat verordneten Reihentests in Schulen – herausgekommen, dass drei | |
| Schüler an zwei Neuköllner Schulen positiv seien, die alle im selben Haus | |
| lebten. Nachforschungen des Gesundheitsamtes hätten ergeben, dass die | |
| Familien der Kinder alle derselben Pfingstlergemeinde angehören. | |
| Über die Gemeinde, die vorschriftsmäßig eine Kontaktliste für ihre | |
| Gottesdienste führe, habe das Amt weitere positive Fälle gefunden. „Es gibt | |
| keinen Beleg, dass ein Gottesdienst der Anfang des Ausbruchs wäre, aber | |
| zahlreiche Gemeindemitglieder, die alle bei einem Gottesdienst waren, sind | |
| positiv“, sagt Bezirkssprecher Berg. Eine Woche nach dem Auftauchen des | |
| ersten Falls habe das Amt die Quarantäne ausgesprochen. | |
| Auch dafür, dass ganze Häuser unter Quarantäne gestellt wurden, hat Berg | |
| eine Erklärung: dies sei Teil der neuen „sozial-räumlichen | |
| Eindämmungsstrategie“. Zwar sei es richtig, dass man Quarantänen ansonsten | |
| eher „auf Haushalte anwendet“, aber angesichts der „sehr beengten | |
| Wohnverhältnisse“ in den Häusern und der Vielzahl der Fälle pro Haus habe | |
| das Gesundheitsamt die Komplett-Quarantäne verhängt. „Das hat nichts mit | |
| der Nationalität zu tun“, beteuert er. | |
| 18 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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