# taz.de -- Philosoph über Schlachtung von Tieren: „Ungehorsam wäre eine Op… | |
> Die Ausbeutung in der Fleischindustrie betrifft Tiere und Menschen. | |
> Warum auch Tiere Rechte haben sollten, erläutert Philosoph Bernd Ladwig. | |
Bild: Haben Schweine eine Sicht auf die Welt? Sind sie Subjekt und empfinden Sc… | |
taz: Herr Ladwig, der aktuelle Tönnies-Skandal hat die problematischen | |
Bedingungen der Schlachtarbeiter verdeutlicht. Inwiefern hängt deren | |
Situationen mit jener der Tiere zusammen? | |
Bernd Ladwig: Es gibt einen ganz bestimmten Punkt, an dem sich Menschen- | |
und Tierrechtsverletzungen überschneiden und sogar gegenseitig verstärken. | |
Die Ausbeutung der Arbeiter führt dazu, dass zum Leid durch die Schlachtung | |
noch zusätzliche Qualen hinzukommen. So wissen wir heute, dass mit der | |
zunehmenden Akkordarbeit auch die Anzahl der Fehlbetäubungen zunimmt. | |
Nun haben wir ja nicht zuletzt im Grundgesetz verbriefte Tierschutzgesetze. | |
Warum konnten diese in der industriellen Landwirtschaft bisher nicht | |
richtig greifen? | |
Weil alles auf den Rahmen ankommt, in den man diese an sich wohlklingende | |
Bestimmung „Staatsziel Tierschutz“ einbettet. Derzeit sind viele Tiere nur | |
dazu da, um als Ressourcen für unsere Zwecke zu dienen. Tierschutz wird | |
daher in unserem System so verstanden, dass die Nutzung der Tiere nur | |
reguliert werden müsse und es eines „vernünftigen Grundes“ bedürfe, sie … | |
ihren Grundbedürfnissen einzuschränken. Wenn man hingegen den Schluss zöge, | |
dass Tiere Wesen eigenen Rechts sind, die um ihrer selbst willen auf der | |
Welt sind, hätte man einen ganz anderen Rahmen. Dann könnte man auch über | |
Grundrechte für Tiere als empfindende Lebewesen nachdenken. | |
Bereits in vergangenen Jahrhunderten hatten sich viele Philosophen immer | |
wieder die Frage gestellt, ob man das Tier in seiner Stellung nicht | |
aufwerten müsste. Die meisten, darunter auch René Descartes, der animale | |
Wesen mit Maschinen gleichsetzte, kamen jedoch zum Schluss, dass Tieren | |
nicht dieselben Privilegien wie Vertretern der menschlichen Spezies | |
zugestanden werden sollten. Warum sollten wir sie dann heute anders in den | |
Blick nehmen? | |
Die Gründe, die etwa klassische Philosophen anführten, Tieren ein | |
Bewusstsein abzusprechen, waren nie zutreffend. Einige Philosophen, unter | |
anderem Michel de Montaigne, haben das im Gegensatz zu Descartes auch so | |
gesehen. Und auch Kant wurde wegen seiner tierethischen Position zum | |
Beispiel von Schopenhauer sehr kritisiert. Kant hat nicht bestritten, dass | |
Tiere ein mentales Leben haben, aber er hat ihnen eine Würde abgesprochen, | |
da ihnen die Einsicht in das moralische Gesetz fehlen würde. Das war für | |
ihn das entscheidende Kriterium, sie nicht wie Menschen zu behandeln. Ich | |
denke hingegen, dass das Kriterium der moralischen Einbeziehung von Tieren | |
bereits im menschlichen Fall selbst angelegt ist. Wir alle leiden, wenn wir | |
rücksichtslos behandelt werden. Darin sind uns viele Tiere sehr ähnlich. Da | |
man, moralisch gesehen, gleiche Fälle gleich behandeln sollte, wäre es | |
willkürlich, wenn wir Tiere weiterhin allein wegen ihrer Artangehörigkeit | |
geringer beachten würden. | |
Können Sie das konkretisieren? Welche Eigenschaften verbinden uns denn mit | |
Tieren? | |
Mit vielen Tieren eint uns, dass sie eine eigene Perspektive auf die Welt | |
haben und dass sie subjektiv Schaden empfinden können. Dies muss nicht auf | |
alle Tierarten gleichermaßen zutreffen. Sehr einfache Tiere mögen genauso | |
wenig wie Pflanzen oder Pilze über eine spezifische Perspektive auf die | |
Welt verfügen. Aber sobald ein Tier dieses Charakteristikum auszeichnet, | |
müssen wir es moralisch berücksichtigen. | |
Kann dafür auch die Nähe oder die Distanz, die wir zu manchen Tieren haben, | |
relevant sein? | |
Durchaus. Das Verhältnis, in dem wir etwa zu sogenannten Haus- oder | |
Nutztieren stehen, kann Auswirkungen darauf haben, was wir ihnen schulden. | |
Aus einer Beziehung entstünden dann besondere Pflichten, wie wir sie zum | |
Beispiel bei Eltern gegenüber ihrem Kind kennen. Doch der Anspruch auf | |
moralische Beachtung selbst besteht unabhängig von der Art der Beziehung. | |
Mit Ihrem just erschienenen Grundlagenwerk „Politische Philosophie der | |
Tierrechte“ favorisieren Sie sehr klar den Ansatz der Tierrechte. Warum, | |
glauben Sie, ist er vielversprechender als die Ethik des eher | |
traditionellen Tierschutzes oder der Utilitarismus? | |
Ich würde das gern an einem Gegensatz verdeutlichen: Aus utilitaristischer | |
Sicht bedeutet Moral, ganze Weltzustände und nicht Individuen in den | |
Mittelpunkt zu rücken. Rechte hingegen bieten jedem Einzelnen Schutz. Sie | |
markieren eine Grenze gegenüber dem Handeln anderer und zugleich gegenüber | |
der Verwirklichung des Gemeinwohls. Das scheint schon unter Menschen | |
unverzichtbar. Denn Grundrechte jedes einzelnen Menschen gelten auch dort, | |
wo mitunter ein kollektiver Nutzen für etwas anderes spricht. Es ist mir | |
sehr wichtig, dass auch Tiere als Subjekte einen solchen Schutz genießen | |
sollten. | |
Das bedeutet eine Ausweitung des Gleichheitsgrundsatzes auf die Tiere. | |
Würde das nicht dazu führen, dass wir, wie der Tierrechtler Tom Regan es | |
einmal sagte, alle Käfige öffnen müssten? | |
Mein Ideal ist nicht, dass wir alle Tiere befreien müssen. Das hieße, dass | |
wir gar nicht mehr mit ihnen in einer institutionalisierten Ordnung | |
zusammenleben oder -arbeiten könnten. Ich stelle mir vor, dass man mit | |
bestimmten Tieren eine gerechte Form der Kooperation finden könnte. Das | |
bezieht sich auf jene, die durch ihre Domestikation – ich nenne zum | |
Beispiel Hunde – schon auf ein Zusammenleben mit Menschen eingestellt sind. | |
Außerdem müsste man als eine Minimalbedingung die Klausel des vernünftigen | |
Grundes im Tierschutzrecht moralisch engführen. Ein bloßes | |
Geschmackserlebnis kann kein hinreichender Grund für die Tötung eines | |
Tieres sein. Dieser könnte allenfalls noch vorliegen, wenn es zum Beispiel | |
um die menschliche Gesundheit ginge. | |
Sie sprechen die Institutionalisierung an. Was verstehen Sie konkret | |
darunter? | |
Man könnte sich bei Eingriffen in Tierrechte so etwas wie eine | |
Sperrminorität im Parlament vorstellen. Oder man könnte sich analog zu | |
Gleichstellungsbeauftragten Repräsentanten vorstellen, die auf allen Ebenen | |
das Wohl der Tiere im Blick hätten. Etwas provokant gesagt, würde es dann | |
analog zum Gender-auch ein Spezies-Mainstreaming geben. | |
Nun sind wir von dieser Vision im Zeitalter der Agrarindustrie weit | |
entfernt. Was wäre aktuell nötig, um mehr Aufmerksamkeit für die | |
unzureichende Situation der Tiere zu schaffen? | |
Ich denke, der zivile Ungehorsam wäre eine Option. Er ist dazu imstande, | |
einen breiteren Bewusstseinswandel in der Bevölkerung anzustoßen. Damit | |
meine ich eine kulturelle Revolution in unserer Einstellung zu Tieren. Ich | |
kann mir neben herkömmlichen Mitteln zur Interessenbekundung wie Wahlen | |
auch Tierbefreiungsaktionen vorstellen, und zwar solche, in denen man Tiere | |
vor evidenten Rechtsverletzungen bewahrt. Allerdings muss man hier | |
aufpassen, dass man durch solche Aktionen nicht das große Ziel der Bewegung | |
vereitelt. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Tierrechtler | |
Fanatiker wären. | |
Der Vorteil von zivilem Ungehorsam ist, dass er die Öffentlichkeit zur | |
Auseinandersetzung herausfordert. Zudem könnte man in exemplarischen Fällen | |
auf juristischem Weg für die Rechte von Tieren streiten. Man würde somit | |
versuchen, die Kategorie einer tierlichen Person in das positive, also das | |
geschriebene Recht einzubeziehen. Das wird mitunter immer wieder mit Blick | |
auf Primaten, neuerdings auch mit Blick auf Schweine versucht. | |
Wie optimistisch sind Sie eigentlich, was Tierrechte angesichts einer | |
weltweit steigenden Nachfrage an tierischen Produkten anbetrifft? | |
Ich bin verhalten optimistisch. Global gesehen erleben wir allerdings ein | |
Anwachsen der Mittelschicht, was mit einem erhöhten Konsum an Fleisch | |
einhergeht. Wahrscheinlich wird auch im Fall der Tiere, wie schon in | |
früheren Befreiungsbewegungen, ein Zusammenlaufen von moralischem und | |
technischem Fortschritt die besten Aussichten bieten. Wenn man konkret | |
immer mehr Tierversuche durch Biochips und Fleisch vom ganzen Tier durch | |
In-vitro-Fleisch wird ersetzen können, dann wird das am Ende vielleicht | |
mehr bewirken als moralische Einsichten allein. Diese sind aber dennoch | |
wichtig, um solche Fortschritte überhaupt anzustoßen. | |
13 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Björn Hayer | |
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