# taz.de -- Western-Renaissance im Comic: Mit der Aura eines Gangster-Rappers | |
> Der Western erlebt im französischen Comic ein Comeback. Die Lektüre | |
> gleicht irren Achterbahnfahrten. | |
Bild: Vertrautes Ambiente: „Marshal Bass“ von Darku Macan (Text), Igor Kord… | |
Warum erlebt der Western im französischen Comic ein Comeback? Nun, | |
vielleicht wirkt das ehrwürdige Genre, gerade deswegen weil es eine Weile | |
keine große Rolle gespielt hat, auf einmal wieder frisch. Möglicherweise | |
liegt es aber auch einfach daran, dass Zeit vergehen muss, bis sehr lange | |
Schatten langsam kürzer werden. | |
Denn mit „[1][Leutnant Blueberry]“ (Text: Jean-Michel Charlier, | |
Zeichnungen: Jean Giraud), „Comanche“ (Text: Greg, Zeichnungen: Hermann) | |
und „Jonathan Cartland“ (Text: Laurence Harlé, Zeichnungen: Michel | |
Blanc-Dumont) liegen seit Jahrzehnten gleich drei klassische Serien vor, an | |
denen sich jeder neue Versuch zu messen hat. Wie ist also vorzugehen, wenn | |
man hinter das, was eine frühere Generation geschaffen hat, nicht | |
zurückfallen will? | |
Der Szenarist Darko Macan macht in „Marshal Bass“ einen Afroamerikaner zur | |
Hauptfigur. Das ist keineswegs nur ein cleverer Zeitgeist-Move im Anschluss | |
an [2][„Django Unchained“], sondern auch eine Hommage an eine historische | |
Figur: an den legendären Bass Reeves, der von 1838 bis 1910 lebte und als | |
einer der ersten schwarzen Marshals überhaupt in Arkansas sehr erfolgreich | |
tätig war. | |
Im Comic kommt Bass eher zufällig zu seinem Job, bewährt sich aber gleich, | |
als es gilt, den brutalen „Milord“ zu bekämpfen, einen Weißen, der an der | |
Spitze einer Gang von ehemaligen Sklaven raubend und mordend durch die | |
Gegend zieht. | |
In weiteren Abenteuern gerät Bass unter anderem an eine inzestuöse Familie | |
von Serial Killern und lässt sich in das Gefängnis von Yuma einschmuggeln, | |
mit dem Auftrag, einen fiesen Millionär, der dort höchst bequem einsitzt, | |
zur Strecke zu bringen. | |
## Der Wilde Westen ein höllischer Ort | |
Allzu viel Skrupel kennt Bass nicht: Menschliche Regungen besitzt er | |
durchaus, aber im Zweifelsfall ist er ein bad ass motherfucker; sicherlich | |
nicht zufällig hat er auch etwas von der Aura eines Gangster-Rappers. Der | |
Wilde Westen in „Marshall Bass“ ist ein höllischer Ort, voll von roher, | |
blutiger Gewalt. Igor Kordey scheut in seinen Bildern, die, für einen | |
Western ungewöhnlich, stark von Richard Corben beeinflusst sind, nicht vorm | |
Grotesken zurück, besonders in der Darstellung von Gesichtern. | |
Unterscheidet sich in „Marshal Bass“ die Hauptfigur durch ihre Hautfarbe | |
von einem gewöhnlichen Western-Helden, so ist es in „Undertaker“ der Beruf: | |
Jonas Crow arbeitet als ambulanter Bestatter. | |
Mit einem Wagen und in Begleitung des Geiers Jed zieht er durch die Gegend. | |
Zunächst erhält er den Auftrag, einen schwerreichen Minenbesitzer in genau | |
der Mine, der er sein Glück verdankt, zu begraben. Eigentlich nichts | |
Besonderes – allerdings hat der habgierige Alte, der nichts hinterlassen | |
wollte, vor dem Tod alle Nuggets, die er besaß, verschluckt. Als seine | |
ausgebeuteten Arbeiter davon erfahren, wollen sie sich den Schatz sichern. | |
Als nächstes gerät Crow an Jonathan Quint, einen talentierten Pharmazeuten | |
und genialen Chirurgen, der ebenfalls umherreist, um seine Dienste | |
anzubieten. Sein Motto lautet: „Die Mutter hat die Macht, Leben zu geben. | |
Der Soldat, es zu nehmen. Der Mediziner ist der einzige, der beides | |
gleichzeitig kann.“ Und diesem Motto ist er in furchtbarer Weise treu, denn | |
Quint ist auch eine Mischung aus Hannibal Lecter und Dr. Mengele, ein | |
geschickter Manipulator und psychopathischer Sadist, der am Schneiden und | |
Amputieren eine ganz eigene Freude hat. | |
## Moralische Ambivalenz | |
Wie „Marshall Bass“ enthält „Undertaker“ eine kräftige Portion Horror… | |
Crime-Elemente. An derben Schockeffekten und ziemlich schwarz gefärbtem | |
Humor fehlt es daher nicht. In dem Quint-Zweiteiler exzelliert der | |
Szenarist Xavier Dorison allerdings ebenfalls darin, Jonas Crow und den | |
Arzt nicht nur als Gegenspieler zu zeigen, sondern durchgängig beider | |
moralische Ambivalenz hervorzuheben. | |
Bis zum Verwechseln an Jean Giraud orientiert, sind die Zeichnungen von | |
Ralph Meyer. Anders als epigonal kann man sie nicht nennen; dennoch ist | |
bemerkenswert, dass es Meyer tatsächlich gelingt, in der Darstellung | |
majestätischer, bizarrer Landschaften fast die überragende Qualität seines | |
genialen Vorbildes zu erreichen. | |
Ebenfalls ganz Giraud verpflichtet, wenn auch nicht ganz so virtuos, ist | |
Michel Rouge, der Zeichner von „Gunfighter“. Seine Karriere reicht bis in | |
die Siebziger zurück; als Hermann keine Lust mehr hatte, übernahm er in den | |
Neunzigern für einige Alben „Comanche“. | |
In „Gunfighter“ finden Mitglieder der Rancherfamilie Cotten nach einem | |
heftigen Unwetter einen schwerverletzten Fremden auf ihren Weiden. Der | |
kostbare Colt, den er mit sich trägt, lässt darauf schließen, dass es sich | |
bei ihm um keinen einfachen Cowboy handelt. Ein Glücksfall für die Cottens, | |
denn sie können Verstärkung gut gebrauchen: Seit Jahren ringen sie ums | |
wirtschaftliche Überleben und liegen zudem im Streit mit ihrem | |
übermächtigen Nachbarn, dem Cattle King Wallace. | |
Die erbitterte, klassenkampfähnliche Auseinandersetzung zwischen Groß- und | |
Kleinranchern; der Stacheldraht als doppeldeutiges Symbol einer | |
fortschrittlichen Viehzucht oder des Einzugs einer verhassten Zivilisation | |
– die zentralen Motive von „Gunfighter“ stammen aus der großen Ära des | |
US-amerikanischen Kinowestern. An sie sucht das Szenario von Christophe | |
Bec anzuschließen; daher geht es hier weit weniger überhitzt, exzentrisch | |
zu als in „Marshal Bass“ und „Undertaker“. Gleicht die Lektüre dieser | |
Comics irren Achterbahnfahrten, so führt der klassizistische Ansatz von | |
„Gunfighter“ dazu, dass man sich wie auf einem nicht allzu aufreibenden | |
Ausritt in die Prärie fühlt – und das hat durchaus auch etwas. | |
6 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Haas | |
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