# taz.de -- Comic Neuerscheinungen: Sex, Drugs und Emotionen | |
> Die „Freak Brothers“ von Gilbert Sheltons sind wieder da. Von Kate Worley | |
> und Reed Waller gibt es den deutlich differenzierteren Comic „Omaha“. | |
Bild: Szene aus „Omaha“ von Worley und Waller | |
Manchmal sieht man sie noch, die Männer in Freak-Brothers-T-Shirts. Jung | |
sind sie in der Regel nie. Dass ihre Helden so richtig populär waren, ist | |
ja auch schon eine Weile her. Erfunden wurden die Brothers 1967 in Austin, | |
Texas, von Gilbert Shelton, der, angezogen von der kalifornischen | |
Hippieszene, dann später nach San Francisco zog, wo er mit Freunden die | |
bald legendäre Rip Off Press gründete. | |
Ab Mitte der siebziger Jahre waren die Brothers auch auf dem | |
bundesdeutschen Buchmarkt präsent, dank dem damals in Nürnberg ansässigen | |
Volksverlag, der sie in Übersetzung herausgab, und der | |
Schallplatten-Ladenkette „2001“. Jetzt gibt es eine komplette, zweibändige | |
Ausgabe bei Avant, die, verglichen mit anderen Klassiker-Editionen dieses | |
Verlags, allerdings sehr dürftig ausgestattet ist. | |
Die Freak Brothers sind ein markant gezeichnetes Trio. Phineas schaut mit | |
Nickelbrille und Rauschebart ein wenig Jerry Garcia ähnlich, dem Mastermind | |
der [1][US-Westcoast-Psychedelicrockband Grateful Dead]. Freewheelin’ Frank | |
trägt einen mächtigen Schnauzer und einen Cowboyhut, während Fat Freddy | |
sich vor allem durch seine Körperfülle auszeichnet. Alle drei sind sie | |
hauptsächlich damit beschäftigt, gechillt herumzuhängen und entweder Drogen | |
aufzutreiben oder diese zu konsumieren. | |
Franks Lebensweisheit lautet: „Dope bringt dich besser durch Zeiten ohne | |
Geld als Geld durch Zeiten ohne Dope.“ Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat | |
Shelton die Brothers in kurzen Geschichten auftreten lassen. Es gibt auch | |
viele One-Pager. Zum Beispiel: Freddy lässt aus Versehen aus einem Fenster | |
Gras auf einen Streifenwagen der Polizei rieseln, kann den Beamten aber | |
weismachen, es handele sich um Vogeldreck. | |
## In Sorge um Haschplatten | |
Oder: Freddy schmeißt eine Party. Phineas hat Sorge, dass seine | |
Haschplatten wegkommen; es wird dann aber nur Freddys Shit geklaut. Oder: | |
Phineas baut in der Wohnung raffinierte Fallen auf, damit die Polizei nicht | |
ungehindert eindringen kann; in diese tappt prompt Freddy. Man muss leider | |
sagen: Das ist alles nicht besonders komisch. | |
Heute, wo der Reiz des Subversiven und Provokativen verklungen ist, merkt | |
man: Es ist ein ziemlich biederer Humor, auf dem Niveau von „Garfield“ oder | |
von Witzen in der Bäckerblume. Dazu kommt, dass Sheltons Zeichentalent sich | |
in Grenzen hält; einem Robert Crumb kann er nicht das Wasser reichen. | |
Zumindest aus deutscher Sicht dürfte Sheltons wichtigste Leistung darin | |
bestehen, einen großen Einfluss [2][auf Gerhard Seyfried ausgeübt] zu haben | |
– nur dass der Schüler seinem US-Vorbild deutlich überlegen ist. | |
Frischer liest sich die rund 950 Seiten starke Serie „Omaha“, deren | |
Hauptfigur erstmals 1978 in einem kleinen Underground-Comicmagazin auftrat. | |
Reed Waller, ihr Schöpfer, tat sich mit dem Schreiben aber sehr schwer, | |
sodass „Omaha“ erst ab 1986, als Kate Worley als Szenaristin dazustieß, | |
regelmäßig zu erscheinen begann. Nachdem Worley 2004 an einem Karzinom | |
verstorben war, schloss Waller die Serie, unterstützt von James Vance, | |
schließlich 2008 ab. | |
„Omaha“ ist eine Funny-Animal-Graphic-Novel für Erwachsene: Alle Figuren | |
haben Tierköpfe, aber mit Schwänzen oder Schwanzfedern versehene | |
Menschenkörper. Omaha, eine Stripperin, und Chuck, ein junger | |
Werbezeichner, verlieben sich ineinander. Schnell stellt sich heraus, dass | |
Chuck in Wahrheit Charles Tabey Jr. ist, der Sohn eines charismatischen | |
Großunternehmers. Nach dessen überraschendem Tod steht Chuck zwar als | |
Millionenerbe da, sieht sich aber auch mit seiner problematischen | |
Familiengeschichte, der er entkommen wollte, konfrontiert. | |
## Eine richtige Seifenoper | |
Parallel dazu mischt er sich in die lokalpolitischen Auseinandersetzungen | |
seiner Heimatstadt ein, wo bigotte, korrupte Politiker Stripclubs und der | |
vitalen alternativen Kulturszene den Garaus machen wollen. | |
„Omaha“ ist eine Soap Opera, mit allem, was dazugehört: plötzliche | |
Schicksalsschläge und wundersame Errettung, unerwartete Enthüllungen und | |
tränenreiche Selbstaufopferung, Untreue, Versöhnung und Happy End. Aber die | |
Serie versinkt nicht im Genrekitsch. Worleys selbsterklärtes Ziel war es, | |
„menschliche Beziehungen so realistisch wie irgend möglich zu schildern“. | |
Trotz der hohen Melodram-Dosis, die „Omaha“ enthält, gelingt ihr dies immer | |
wieder, besonders wenn es um natürlich wirkende Dialoge und die Schaffung | |
vielschichtiger Figuren geht. Berühmt geworden ist „Omaha“ auch wegen | |
seiner expliziten Sexszenen, die der Serie mehrfach erheblichen Ärger mit | |
der Justiz einbrachten, nicht nur in den USA. Die Darstellung ist | |
zweifellos Hardcore-Pornografie, aber eine, die nicht roh und vulgär wirkt, | |
sondern in der Platz ist für Gefühle. Für deren Wiedergabe interessiert | |
sich Reed Waller nämlich vor allem. | |
„Omaha“ punktet weder mit detaillierten Hintergründen noch mit einer | |
innovativen Seitenaufteilung. Aber faszinierend ist, wie Waller in | |
verschiedenen Tierköpfen – sei es Katze oder Hund, Huhn, Wolf oder Widder – | |
die ganze Skala menschlicher Emotionen zu spiegeln vermag. | |
21 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Haas | |
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