# taz.de -- Comiclegende Seyfried über linke Politik: „Die Grünen werden mi… | |
> Als Kreuzberger Anarcho-Zeichner hat er sich einen Namen gemacht. Jetzt | |
> geht Gerhard Seyfried auf die 70 zu und malt immer noch Wahlplakate – für | |
> die Linke. | |
Bild: „Ich muss arbeiten, bis es zu Ende ist. Ich habe ja keine Altersversorg… | |
taz: Herr Seyfried, nach längerer Pause arbeiten Sie wieder an einem Comic. | |
Wie kommt ’s? | |
Gerhard Seyfried: Es ist der erste Comic nach zwanzig Jahren. Meine Fans | |
haben gedrängelt. Ich konnte mir das lange nicht leisten. Comicmachen ist | |
ein teures Hobby. | |
Das heißt, Ihre Geschäfte laufen gut? | |
Es wäre noch ein bisschen Platz in der Wohnung – für Geld, meine ich. | |
(lacht) Es ist nicht üppig, aber ich habe mein Auskommen. | |
Was für ein Comic wird das? | |
Wieder ein Zwille-Comic. Es geht um Gentrifizierung in Kreuzberg. Und den | |
Zwist zwischen Comic und Graphic Novel. Ansonsten stellt Zwille allen | |
möglichen Unsinn an. Damit bediene ich seine Fans. | |
Zwille, das ist der kleine, strubbelige Kerl mit der Bombe? | |
Zwille gibt es in zwei Ausführungen. In der blauen Latzhose und als | |
Anarchomännchen in schwarzer Kluft mit Bombe. Der Anarcho-Zwille ist mein | |
Firmenzeichen. Wobei das mit der Bombe inzwischen etwas schwierig ist im | |
öffentlichen Verständnis. (lacht) 1980, in der „Invasion aus dem Alltag“, | |
ist er erstmals aufgetaucht. Vier Alben habe ich mit ihm gemacht. Er spielt | |
quasi die Hauptrolle – neben mir. | |
Zwille ist Ihr Alter Ego? | |
Nein, ich bin der Zeichner, sein Schöpfer. Ich habe immer Ärger mit ihm. | |
Wie sieht das aus? | |
Zwille ist eine Figur, die sich selbst entwickelt. Oft gegen meinen Willen. | |
Beim Romanschreiben passiert das auch manchmal. Er ist anarchistisch und | |
schießt die ganze Zeit quer. | |
Beim letzten Zwille-Comic waren Sie 49. Ist Zwille mit Ihnen gealtert? | |
Comicfiguren altern nicht. Auch die bösen nicht, wie Dr. Schmier-Lavier, | |
ein korrupter Politiker. Das kommt von Donald Duck und Micky Maus und ist | |
ein ungeschriebenes Gesetz. Die Figuren können auch nicht verletzt werden | |
oder sterben. | |
Im nächsten Jahr werden Sie 70. Wann haben Sie denn vor, in Rente zu gehen? | |
Ich muss arbeiten, bis es zu Ende ist. Ich habe ja keine Altersversorgung | |
und nix. Aber die Arbeit macht mir viel Spaß. Ich wüsste nicht, was ich | |
sonst machen sollte. | |
Manche Leute sagen, im Alter wird man konservativer … | |
… ach ja? | |
Stellen Sie Veränderungen an sich fest? | |
Nicht wirklich. Einiges kann ich natürlich nicht mehr, was ich früher | |
konnte. | |
Nämlich? | |
Straßenkämpfe, Rumrennen und all das. | |
Nun gibt es Straßenkämpfe in Berlin ja kaum noch. | |
Was ich damit sagen will: Man wird ruhiger. Ich zumindest. Ich gehe kaum | |
noch auf Demonstrationen, zumal ich ein bisschen Probleme mit dem Rücken | |
habe. Ich brauche viel Ruhe zum Denken und um kreativ zu sein. Baulärm | |
nervt mich fürchterlich. 2003 bin ich deshalb aus Kreuzberg in die Schweiz | |
geflüchtet. Dort habe ich ein paar Jahre gelebt und mein zweites Buch | |
geschrieben: „Der schwarze Stern der Tupamaros“. | |
Das Buch spielt in den 70er Jahren und hat autobiografische Züge. Wie nah | |
waren Sie der RAF und der Bewegung 2. Juni? | |
Ich war mit Fritz Teufel und anderen befreundet, war in der Roten Hilfe und | |
all so was. Die Bullen haben mich da mit reingezogen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Durch die vielen Hausdurchsuchungen und Festnahmen, wie das damals so war. | |
Zunächst lebte ich noch in München. In Berlin ging das dann weiter. Erst | |
Ende der 70er haben sie mich in Ruhe gelassen. | |
Saßen Sie auch im Knast? | |
Nein. Ich bin aber ein paar dutzend Mal festgenommen worden. Die längste | |
Zeit war 18 Stunden. Immer wegen dieser terroristischen Vereinigungskiste. | |
Dabei war ich nichts weiter als eine Randfigur. | |
Ihr erstes Buch heißt „Herero“. Es geht um den Krieg gegen die Herero | |
1904/05 während der deutschen Kolonialzeit im damaligen | |
Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. Wie kamen Sie dazu? | |
Die Idee kam mir in Namibia, als ich auf Einladung des Goethe-Instituts | |
dort war. Die Geschichte der Herero hat mich sofort gefesselt. Das ist ein | |
richtig dickes Buch geworden. | |
Die Rezensionen waren gut. | |
Es hat sich auch gut verkauft. Sonst hätte ich keine weiteren Bücher | |
geschrieben. Mit dem Vorschuss kann man dann ein oder zwei Jahre die Miete | |
zahlen – höchstens. | |
Wie haben Sie recherchiert? | |
Ich war in Archiven in Windhoek, Koblenz, Freiburg und Berlin. Ich habe | |
Tagebücher studiert und Tonbänder gehört. Vier Jahre habe ich Vollstoff an | |
nichts anderem gearbeitet. Ich war verblüfft, wie viel man findet, wenn man | |
sich reinkniet. Ich hatte schon immer ein großes Interesse an der deutschen | |
Geschichte. Für mich selbst wollte ich rausfinden, was war eigentlich vor | |
dem verdammten Dritten Reich? Aus was für einer Gesellschaft ist das | |
entstanden? Man begreift die historischen Sachen nicht, wenn man nicht | |
weiß, wie die Leute gedacht und gefühlt haben. | |
Hat das auch mit Ihrem Vater zu tun, der bei der SA war ? | |
Natürlich. Und auch mit meiner Kindheit in den Ruinen nach dem Zweiten | |
Weltkrieg. Wir haben in München gelebt, die Großeltern wohnten in Nürnberg. | |
Als Kinder sind wir durch die Trümmer geturnt und haben in abgestellten | |
Lazarettzügen gespielt. | |
Wie war das Verhältnis zum Vater? | |
Als ich ein Linker wurde, gab es ein bisschen Streit. Aber es gab keine | |
ernsthaften Probleme. Meine Eltern waren sehr liebe Leute. Sie haben sich | |
wirklich gut um mich und meine drei Jahre jüngere Schwester Sylvia | |
gekümmert. | |
Was wissen Sie von der SA-Zeit Ihres Vaters ? | |
Er kam vom Land. Durch die SA ist er nach München in die Großstadt | |
gekommen. So wie er es erzählt hat, ist er als junger Mann in die SA | |
geraten, wie ich als Junger in die linke Szene geschlittert bin. Er hatte | |
da einen Schreiberposten. Viel wichtiger als die SA ist der Krieg in seiner | |
Geschichte. Den hat er von A bis Z mitgemacht. Das ist so eine Art Urfrage, | |
die sich durch alle meine Bücher zieht: Wie ist es, wenn man in den Krieg | |
geschickt wird und nichts dagegen tun kann? Wobei ich auch weiß: Darauf | |
gibt es keine Antwort. | |
Sie selbst waren auch bei der Bundeswehr. | |
Aber nur kurz. Nach drei Monaten war ich wieder draußen. | |
Was ist passiert? | |
Als der Einberufungsbefehl kam, habe ich Kriegsdienstgegner um Rat gefragt. | |
Die haben mir einen Termin bei einem Nervenarzt verschafft. Der war | |
Stalingrad-Überlebender und hatte ein völlig narbenzerfetztes Gesicht. Er | |
hilft jedem, der nicht zum Militär will, hat er gesagt. | |
Dann hat er Sie wehruntauglich geschrieben? | |
Ja. Ich hatte mal eine Flasche ins Gesicht bekommen. Aus dem Oberkieferriss | |
hat er gemacht, dass ich keine Kopfbedeckung tragen darf. (lacht) Er hatte | |
auch noch Humor! Als Homosexueller oder geistig Behinderter wollte man ja | |
nicht in den Akten landen. Er hat gesagt: Ohne Deckel, das geht nicht beim | |
Kommiss. Hat geklappt. Nach dem Bundeswehrding bin ich in die linke Szene | |
geraten. 1972 oder 73 habe ich angefangen, für das Blatt in München zu | |
zeichnen. Das hat mich dann bundesweit bekannt gemacht. | |
Hat sich Ihr Zeichenstil im Laufe der Jahre verändert? | |
Ja. Ich bin ziemlich durch Aufträge versaut worden. Ich habe ja viel für | |
Firmen und Projektgruppen gearbeitet. Da hat sich ein Stil entwickelt, der | |
sich gut verkauft und von dem ich weiß, das gefällt diesen Fuzzis. | |
Wie sieht das aus? | |
Der Stil wird immer perfekter. Vor allem, weil ich inzwischen ja auch auf | |
dem Computer arbeiten muss. Ich zeichne mit Bleistift, pause es dann mit | |
Tusche durch, koloriere aber nicht mehr mit der Hand. Das ist zu teuer und | |
zu giftig. | |
Und früher? | |
Anfangs habe ich ja nur zum Spaß gezeichnet. Locker und unbekümmert, ohne | |
Rücksicht auf Perspektiven. Viele Jahre konnte ich zum Beispiel keine Beine | |
und Füße zeichnen. Deswegen waren das alles nur Torsi. So lange, bis ich | |
das mal genau studiert habe. | |
Sie galten schon früh als Zeichentalent. | |
Schon als Vierjähriger habe ich alles Mögliche gemalt. Auch schon | |
Wimmelbilder. Schlachten von Rittern und so. | |
Wimmelbilder malen Sie immer noch. | |
Die werden verlangt, da stehen die Leute drauf! Für den Paritätischen | |
Wohlfahrtsverband habe ich letztes Jahr eins gemacht. Man nennt sie auch | |
Kloplakate. Weil man da Zeit hat, sich das ganze kleine Zeug anzugucken. | |
Wie kommen Sie an Ihre Aufträge? | |
Man muss an mich herantreten. Mich anbieten, das konnte ich noch nie. Dass | |
ich Wahlplakate mache, hat sich eingebürgert, als Christian Ströbele 2002 | |
in Friedrichshain-Kreuzberg zum ersten Mal als Direktkandidat für die | |
Grünen angetreten ist. Für die Linken mache ich inzwischen öfter was. | |
Auch für Pascal Meiser, Direktkandidat der Linken in | |
Friedrichshain-Kreuzberg, haben Sie gemalt. Hat der Seitenwechsel | |
politische Gründe? | |
Die Grünen werden mir zunehmend unheimlich. | |
Was ist besser an den Linken? | |
Ich bin eher Anarchist. Ich verwende den Begriff ungern, weil das nur ein | |
Schlagwort ist. Aber mit Parteien will ich nicht viel zu tun haben. Im | |
Unterschied zu den Grünen sind die Linken aber wenigstens konsequent gegen | |
Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das ist eine Schwelle. Wird die | |
überschritten, will ich nicht mehr richtig für jemanden arbeiten. | |
Warum haben Sie bei Ströbele eine Ausnahme gemacht? | |
Das ist der einzige Politiker, den ich wirklich gut finde. Er ist standhaft | |
gegen Militäreinsätze. Ich habe eine Menge Respekt vor ihm. | |
Seit 2005 wohnen Sie in Schöneberg. Seyfried privat, wie sieht das aus? | |
Ich lebe zurückgezogen. Um fünf, sechs Uhr morgens stehe ich auf. Haushalt, | |
Einkaufen und so versuche ich bis zehn Uhr hinter mich zu bringen. Dann | |
arbeite ich meistens bis sieben. Manchmal, wenn ich es übertrieben habe, | |
mache ich blau und gehe in den Botanischen Garten. Wunderschön! Den habe | |
ich erst vor einem Jahr entdeckt. | |
Klingt ein bisschen einsam. Fehlt Ihnen nichts? | |
Als ich in München beim Blatt war, habe ich in einer zwölfköpfigen WG | |
gelebt. Im Laufe der Jahre hat sich das reduziert. Inzwischen bin ich | |
überzeugter Alleinleber. Niemand quatscht mir rein. Das ist die maximale | |
Freiheit. | |
Der bekannteste Zwille-Comic heißt „Flucht aus Berlin“. Er spielt 1990 zum | |
Mauerfall. Wie sehen Sie Berlin heute? | |
Ich beobachte vor allem die Stadtplanung. Wenn man das so nennen kann. Es | |
regt mich auf, wie scheußlich gebaut wird. Der BND-Bunker zum Beispiel. | |
Oder die Spreeufer-Kacke. Vernünftige Großstädte wie Paris und London haben | |
ihre Uferpromenaden. Wir haben nichts. Jeder Investor darf machen, was er | |
will. Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt: Der Senat ist korrupt. | |
Oder er ist bösartig, dass er die Stadt so versaut. | |
Gilt das auch für den rot-rot-grünen Senat? | |
Den Saustall haben die Schwarzen und Sozis angerichtet. Selbst wenn Linke | |
und Grüne wollten, ist das schwer zu ändern. | |
Politiker, Spekulanten und Polizisten waren in Ihren Comics immer die | |
Bösen. Würden Sie die Polizei heute noch so grimmig zeichnen wie zu | |
Hausbesetzerzeiten in den 80ern? | |
Grimmig würde ich das nicht nennen. Eher lächerlich. Ich male die Bullen in | |
dem neuen Comic ja gerade wieder. Natürlich modernisiert. (lacht) Was die | |
alten Feinbilder betrifft: Mein Verhältnis zur Polizei ist ambivalent. Ich | |
kenne Polizisten, die sind gute Leute. Man braucht die Polizei auch. Was | |
mich aber auch schon früher immer gestört hat, ist, wenn die Polizei | |
missbraucht wird gegen Demonstranten. Von Politikern oder | |
Wirtschaftsinteressen. | |
Sind Sie noch oft in Kreuzberg? | |
Ja, schon allein deshalb, weil mein neuer Comic dort spielt. Die | |
Veränderungen sind krass. | |
Verraten Sie uns, wie der neue Comic anfängt? | |
Zwille ist stinksauer, dass ich ihn zwanzig Jahre lang sitzen gelassen | |
habe, weil ich keine Comics gemacht habe. (lacht) Er ist inzwischen völlig | |
verarmt, hat kein Obdach, bekommt aber auch kein Sozi, weil der Staat Angst | |
hat, dass er ihm Hunderte von Jahren auf der Tasche liegt. Comicfiguren | |
altern ja nicht. | |
Arbeiten Sie nach Drehbuch? | |
Ich habe das ausprobiert, aber da geht bei mir die Spontaneität flöten. | |
Ich mache das wieder im Blindflug. Ich denke mich von Bild zu Bild und weiß | |
deshalb selbst noch nicht, wie es ausgeht. | |
24 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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