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# taz.de -- Das Erbe von Grateful Dead: Die Magie der Kollektivimprovisation
> Gitarrengegniedel und Improvisationen, LSD-Tests und Kommunenleben waren
> Markenzeichen von Grateful Dead. Ihr Erbe findet sich heute in der
> Technokultur und in einem Computerspiel.
Bild: Grateful Dead, von links nach rechts: Mickey Hart, Phil Lesh, Jerry Garci…
Nicht erst seit das "Magazin für elektronische Lebensaspekte" De:Bug
"Hippies des Monats" kürt, Tracks von Ricardo Villalobos
Jamsession-Charakter angenommen haben und umweltbewusste Technoadepten ihre
Fan-Community zu Klimaschutzspenden auffordern, ist es angebracht, daran zu
erinnern, woher dieser Cocktail aus Fortschrittsgläubigkeit, ökologischem
Lebensstil und Gemeinsam-die-Sau-Rauslassen eigentlich kommt.
Von Grateful Dead nämlich, der kalifornischen Hippie-Band, die einmal das
Böse schlechthin verkörperte. Ihr Name war Synonym für alles, was abgelehnt
wurde, war das Memento mori der erbärmlich gescheiterten Jugendrevolte der
Sechziger. Grateful Dead - das war einmal Musik gewordene Befreiung und der
Beweis, dass es eine Alternative zur Beklemmung der bürgerlichen
Gesellschaft gab. "Diese Generation will durch ein freudvolles Leben und
durch die gegenseitige Umarmung ein besseres Leben ohne Ängste, Dogmen,
kleinkarierte Rechthaberei und Misstrauen für alle Männer und Frauen
Amerikas schaffen", hieß es in der offiziellen Verlautbarung zum "Human
Be-In", der Zusammenkunft der verschiedenen Subkulturen San Franciscos im
Januar 1967.
Dazu spielten die Grateful Dead einen entfesselten Bluesrock, der,
angetrieben von ihrem omnipotenten Leadgitarristen Jerry Garcia, alle
formalen Popsongvorgaben sprengte und das Beste von Coltrane, den Beatles
und Dylan in sich vereinte.
Aber der böse Geist ließ sich nicht durch ein exorzistisches Ritual
diverser Hippies und Beatniks aus dem Pentagon vertreiben (wie im Oktober
1967 probiert), sondern suchte den Vietnamkrieg durch größtmögliche
Brutalität zu seinen Gunsten zu entscheiden. Immer mehr Menschen schlossen
sich der Hippie-Bewegung an, denen, die sich nur mal amüsieren wollten,
ansonsten keinerlei höhere, antibürgerliche Ziele hatten. Die Umarmung der
Kulturindustrie tat ein Übriges.
Anfang der Siebziger zerstreuten sich die Hippies ins Private, in
Landkommunen, in harte Drogen oder resignierte Arrangements mit der
bürgerlichen Welt. Die Grateful Dead lieferten auch hierzu noch den
Soundtrack, etwa mit der sanften, freundlichen Platte "American Beauty",
die streng durchgearbeitete Folkrock-Kompositionen enthielt, deren
ambitionierte Gesangsarrangements die Stimmen von Garcia und seinen
Kollegen Bob Weir und Phil Lesh regelmäßig überforderten. Es blieb für
lange die letzte Synchronisation Grateful Deads mit dem Zeitgeist.
Trotzdem folgten weitere exzellente Platten, etwa "Blues For Allah", ein
erwachsener, wohlreflektierter Versuch, die Jam-Fähigkeiten auszudehnen und
in bislang unbekannte harmonische und spirituelle Bereiche vorzustoßen.
Danach verirrte sich das bislang noch einigermaßen konstruktiv miteinander
arbeitende Bandgemeinwesen in Partikularinteressen und Soloprojekte. Die
Platten klangen zunehmend angestrengt, die immer noch stundenlangen
Konzerte wurden formelhaft. "In den Siebzigern experimentierten wir mit uns
selbst, nicht mit der Musik", befand Garcia später.
In den ersten zehn Jahren funktionierte Grateful Dead wie jede gute,
lebensfähige Band als Kollektiv, das seine Einzigartigkeit aus der
Heterogenität zieht. Da war Phil Lesh, der aus der nordkalifornischen
Avantgarde-E-Musik-Szene kam, da war Ron McKernan, ein leidenschaftlicher
Blues- und R&B-Sänger und -Experte und Orgeldilettant, aber auch
Hells-Angels-Freund, da war der blonde Engel Bob Weir, der 17-jährig zur
Band stieß, da waren der etwas finstere Schlagzeuger Bill Kreutzmann, dem
man einen Hang zur Gewalttätigkeit nachsagte, und sein Kollege Mickey Hart,
der die Band zeitweilig aus Scham verließ, weil sein Vater als Manager die
Band um eine substanzielle Geldsumme betrogen hatte.
Nach dem frühen Tod McKernans 1973 folgte eine dem Bandnamen zusätzliche
Bedeutung verleihende Todesserie unter den Nachfolgekeyboardern: Auch Keith
Godcheaux und Brent Mydland starben vorzeitig. In der letzten Phase
versuchte man es mit zwei Keyboardern, darunter der als Solokünstler
bereits etablierte Bruce Hornsby. Vielleicht leben sie nur noch, weil Jerry
Garcia seinem ausufernden Drogenkonsum 1995 erlag und die Band sich
daraufhin offiziell auflöste.
Bei den Grateful Dead kommt dem Wort Bandchemie noch eine zweite Bedeutung
zu. Zum Gründungsmythos gehört ihre prominente Rolle bei Ken Keseys "Acid
Tests", den Massenspeisungen der nordkalifornischen Jugend mit dem damals
gerade noch legalen LSD. "Wir waren Acid-Faschisten", sagte Bob Weir
später. Was dazu führte, dass die Dead-Mitglieder Spezialisten im "Dosen"
wurden - also darin, jemand ohne sein Wissen LSD zu verabreichen. Garcia
trug seitdem den Spitznamen "Captain Trips". In Wahrheit plagte ihn eine
Politoxikomanie. Den Kampf gegen seine Heroinsucht führte er nur
halbherzig.
Als Musiker zeichnete Garcia eine immense Abenteuerlust aus, die einerseits
dazu führte, dass er etwa Pedal-Steel-Gitarre auf dem
Crosby-Stills-&-Nash-Hit "Teach Your Children" spielte, andererseits auf
Platten von Ornette Coleman gastierte. Während der letzten zwei Jahrzehnte
Grateful Dead unterhielt er zudem fast durchgehend seine eigene Jerry
Garcia Band, zu der unter anderem auch Gloria Jones, Marc Bolans Witwe und
Autorin des Soul-Klassikers "Tainted Love", gehörte.
Das Scheitern der Hippies ließ die nächste Generation nicht nur die
Grateful Dead bannen, sondern auch eine zentrale Ingredienz ihrer Musik:
das entgrenzte Gitarrensolo, für das Garcia stand wie sonst vielleicht nur
Eric Clapton. Garcias Idee war es, das Prinzip Coltrane in die Rockmusik zu
übersetzen. Seine vorzüglichen Solos befeuerten nicht selten die nicht
immer gleichermaßen gut aufgelegte Restband so sehr, dass aus planlosem
Herumgegniedel plötzlich tatsächlich jene magischen Momente großer
Kollektivimprovisation erwuchsen.
Anders als in Europa wuchs in den USA in den Achtzigerjahren eine neue
Generation von Grateful-Dead-Fans heran. Obwohl - vielleicht auch: weil -
die Band in ihrer Entwicklung erstarrt war und fast nur noch alte Songs im
alten Stil spielte, wurden die Konzerte und Tourneen zu gestrengen
Ritualen, wurden die der Band hinterherreisenden "Deadheads" zu einer
mächtigen Sekte, die die Band zu einem potenten Wirtschaftsfaktor im
US-Musikbusiness erhob.
Nach der Auflösung von Grateful Dead trat eine ganze Armee von sogenannten
Jam Bands auf den Plan, um das entstandene Vakuum zu füllen: Phish,
Widespread Panic, Blues Traveller und viele andere. Mit dem größtem Erfolg:
Tourneen dieser Jam Bands gehören heute zu den bestbesuchten Live-Events im
US-Konzertsektor, die genannten Gruppen ziehen regelmäßig fünfstellige
Besucherzahlen an. Eine ganz eigene Subkultur von Neo-Hippies überträgt die
bei Grateful-Dead-Konzerten in früheren Jahrzehnten entwickelten Rituale
auf die (künstlerisch meist eher armseligen) neuen Bands. Und die
verbliebenen Grateful Dead mischen munter mit: bei aktuellen Projekten wie
Phil Lesh & Friends, Bob Weirs Ratdog oder auch schlicht als The Dead mit
irgendwelchen Leih-Gitarristen in der undankbaren Rolle als Garcia-Ersatz.
Über [1][www.dead.net] kann man mittlerweile digitale Mitschnitte von jedem
aktuellen Konzert dieser Gruppen herunterladen. Das Konzertarchiv der
Originalband ist inzwischen auch weitestgehend ausgewertet. Da ist es
eigentlich der logische nächste Schritt, dass sie die ganze Welt per
Videospiel zum Dauerjam bittet.
22 May 2008
## LINKS
[1] http://www.dead.net
## AUTOREN
Detlef Diederichsen
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