# taz.de -- Rasante Pulp-Fiction im Comicstil: Schüchterne Killer und taffe Ka… | |
> Der Comic-Thriller„Shooting Ramirez“ glänzt als wildes Action-Spektakel. | |
> In „Blacksad 6“ ermittelt ein Kater in New York. | |
Bild: Szene aus „Shooting Ramirez“ | |
Dichter schwarzer Lockenkopf, buschige Augenbrauen und ein breiter | |
Schnauzer unter der dicken Nase, noch dazu ein feuerrotes Muttermal mitten | |
im Gesicht. Wer solch eine Visage trägt, kann kaum unschuldig sein. Oder | |
doch? | |
Jack Ramirez mit ebendiesen Merkmalen arbeitet im Jahr 1987 im Kundendienst | |
des Haushaltsgeräteherstellers Robotop in Falcon City, Arizona. Der stumme | |
und unscheinbare Mitarbeiter ist als Kollege beliebt. Seine Spezialität: | |
die Reparatur der (chronisch defekten) hauseigenen Staubsaugermodelle. | |
Gerade als das neue bahnbrechende Modell, der „Vacuumizer 2000“, der | |
lokalen Presse vorgestellt werden soll, wird Ramirez von Mitgliedern des | |
mexikanischen Drogenkartells „Paso del Rio“ als abtrünniger Superkiller | |
identifiziert, der vor Monaten untergetaucht war. Kurz darauf fliegt die | |
Robotop-Zentrale in die Luft, und der flüchtige Ramirez findet sich im | |
Wagen eines lesbischen Gangsterduos wieder. Inspektor Eddy Vox vermutet | |
indes, dass Ramirez zum Kartell gehört und auch für das Robotop-Unglück | |
verantwortlich ist. | |
Vor zwei Jahren erschien mit „Shooting Ramirez – 1. Akt“ ein Comicthrille… | |
der sich zum Überraschungshit entwickelte. Autor und Zeichner des Bandes | |
war der Franzose Nicolas Petrimaux, Jahrgang 1982, der damit – nach ersten | |
kürzeren Comics und Erfahrungen als Spieleentwickler – sein überraschend | |
perfektes Debüt gab: ein wildes Action-Spektakel, gezeichnet im Stil | |
amerikanischer Heftcomics, augenzwinkernd erzählt. Nun ist der „2. Akt“ um | |
Jack Ramirez (der nun, wie im Original, Jacques heißt) erschienen, und die | |
atemlose Hatz auf den dubios-liebenswerten Lockenkopf geht weiter. | |
## Schwarzer Humor | |
Ist der schüchterne Held etwa tatsächlich ein Profikiller, der Dutzende | |
Kartellschergen mit links abknallt? Hat er mehrere Gesichter und tarnt sich | |
nur als Angestellter? Diese Frage beherrschte Band 1 und löste ein | |
virtuoses wie verwirrendes Identitätsspiel aus, das zum Dauerschmunzeln | |
anregte. | |
In Band 2 nun wird deutlich, dass wohl ein naher Verwandter, der Ramirez | |
sehr ähnelt, hinter den Morden steckt. Hinzu kommen Nebenstränge um den | |
Ramirez jagenden Killer Ramon Perez und die kriminell gewordene | |
Schauspielerin Chelsea Tyler, die mit ihrer schwarzen Geliebten Dakota | |
Smith Banken ausraubt. | |
Ganz offensichtlich lehnt sich der Zeichner an filmische Vorbilder an, | |
insbesondere Quentin Tarantinos Meisterwerke „Jackie Brown“ und [1][„Pulp | |
Fiction“], in denen ein wendungsreicher Plot, Retro-Charme, Karacho-Action | |
und schwarzer Humor für die perfekte Mischung sorgten. Petrimaux’ 80er | |
Jahre-Thriller in einem fiktiven Arizona ist eine gezeichnete Hommage an | |
diesen Genremix. | |
## Digitale Bildtechnik | |
Mit seinem tragikomischen Helden hat er zudem eine unverwechselbare Figur | |
geschaffen, die optisch wie eine Mischung aus Groucho Marx und Diego | |
Maradona erscheint. Schönster beiläufiger Gag: Robotops beste Kraft Ramirez | |
rettet den kostbaren Prototyp des „Vacuumizer 2000“ aus den Flammen und | |
trägt ihn fortan immer bei sich. | |
Petrimaux arbeitet ausschließlich digital und löst seine sehr | |
variantenreichen Seitenlayouts oft in Cinemascope-breite Panels auf. Die | |
Action-Orgien ufern manchmal ein wenig aus, werden aber wiederholt mit | |
doppelseitigen Fake-Werbeanzeigen aufgelockert, die die in der Geschichte | |
auftauchenden (Schrott-)Objekte (wie Fahrzeuge, Klamotten oder Fast Food) | |
scheinbar anpreisen und das Geschehen um eine weitere Ebene süffisant | |
spiegeln. | |
Nach der rundum spaßigen Lektüre lechzt man geradezu nach dem | |
abschließenden Band 3, der offene Fragen um Ramirez’ große Liebe | |
beantworten könnte und ihn womöglich auf dem Rockfestival von Stone Creek | |
als Gitarrenvirtuosen reüssieren lässt. Ob der Vacuumizer 2000 auch als | |
Gitarre taugt? Pfiffige Filmproduzenten müssten den Comic eigentlich schon | |
als Drehbuchstoff optioniert haben. | |
## Schwarzer Kater | |
Ein klassisches Krimigrenre bedient wiederum [2][die spanische Comic-Reihe | |
„Blacksad“]: den Noir-Krimi. Im mittlerweile 6. Band um den schwarzen Kater | |
Blacksad, der sich in New York als Privatdetektiv verdingt und vom | |
wieselhaften Reporter Weekly unterstützt wird, sind alle Figuren | |
anthropomorphe Tiere, besitzen menschenähnliche Körper, aber Tierköpfe. | |
Zeichnerisch ist Juanjo Guarnido ein Meister seines Fachs, der seinem | |
bunten Figurenensemble präziseste mimische Ausdrücke entlocken kann. | |
Wie in allen Blacksad-Bänden überzeugt auch dieser Fall durch eine klug | |
konstruierte Story und pointierte Dialoge, für die der Szenarist Juan Díaz | |
Canales verantwortlich zeichnet. Diesmal soll Blacksad den | |
U-Bahn-Gewerkschaftsboss Kenneth Clarke (eine Fledermaus) vor einem Killer | |
schützen und stößt dabei auf einen städtebaulichen Korruptionsskandal, der | |
bis in die obersten Kreise der Metropole führt, hin zum Baumagnaten Solomon | |
(ein Adler), der Widersacher gerne beseitigen lässt. | |
Blacksads lustiger Sidekick Weekly gerät in Solomons Fänge und damit in | |
Lebensgefahr. Canales lässt sich für seine anspruchsvollen Plots gerne von | |
realen Abgründen der US-Historie inspirieren: Vorbild für Solomon war der | |
langjährige General-Motors-Chef Alfred P. Sloan, der über Jahrzehnte | |
mittels verdeckter Holdings Straßenbahnlinien und den öffentlichen | |
Nahverkehr in vielen US-Städten stilllegte, um die Automobilisierung | |
voranzutreiben. | |
„Wenn alles fällt“ ist der spannende, grandios gezeichnete Auftakt einer | |
zweiteiligen Geschichte, die in einem parallelen Handlungsstrang auch ins | |
New Yorker Theatermilieu führt. | |
10 Feb 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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