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# taz.de -- „Blacksad“-Comics als Gesamtausgabe: Abgründe der Nachkriegsze…
> Wie Raymond Chandler und der Film noir: Die Noir-Comics von Juan Díaz
> Canales und Juanjo Guarnido liegen nun als Gesamtausgabe vor.
Bild: Szene aus „Blacksad“
Es ist Winter, auch ansonsten herrscht ein frostiges Klima im Viertel „The
Line“. Passanten scharen sich um eine Straßenkreuzung und blicken nach
oben: An einer Laterne baumelt leblos ein Opfer von Lynchjustiz.
Die Szene spielt sich in einem heruntergekommenen ehemaligen
Vorzeigeviertel New Yorks ab, das von konkurrierenden Gruppen beherrscht
wird. Einerseits von den Schlägern der „Black Claws“, farbigen Underdogs in
Lederjacken, in weit größerem Ausmaß jedoch von der politischen
Organisation „Arctic Nation“, die Rassentrennung mit Gewalt durchsetzen
will. Von wohlhabenden Gönnern gefördert, proklamieren Weiße ihre unter
anderem mit dem christlichen Glauben legitimierte nordische
„Rassen-Vorherrschaft“. Das mysteriöse Verschwinden eines schwarzen
Mädchens ruft John Blacksad auf den Plan – Privatschnüffler und schwarzer
Kater.
Rassenhass gepaart mit religiösem Fundamentalismus – starker Tobak für
einen Comic, dessen Charaktere allesamt anthropomorphe Tiere sind. Im
zweiten Band der Reihe „Blacksad“ mit dem Titel „Arctic Nation“ wird
trotzdem oder gerade wegen dieser Verfremdung glaubhaft die
Rassenproblematik in den USA der Nachkriegszeit auf den Punkt gebracht.
Die „Blacksad“-Comics spielen ungefähr in den 1940er bis 1950er Jahren: Der
Krieg wirkt noch nach, einige wenige haben es mit viel Rücksichtslosigkeit
zu Reichtum gebracht, der Rest steht entweder auf deren Gehaltsliste oder
auf der Seite des Gesetzes. Wobei in „Arctic Nation“ die familiären
Verstrickungen und Lebenslügen eines korrupten Polizeibeamten eine große
Rolle spielen.
Ein klassischer Noir-Krimi also? Einerseits orientiert sich der Erzählton
an den Romanen Raymond Chandlers oder Dashiell Hammetts, und die
Zeichnungen zitieren ebenso passend, wenn auch farbig, die düstere Ästhetik
der Filme der Schwarzen Serie. Inhaltlich geht die Reihe jedoch weit über
eine bloße Hommage im Retro-Look hinaus. Die bisher erschienenen fünf Bände
(2000 bis 2013) sind nun in einem Sammelband erschienen.
## Naturalistisch-karikierender Stil
Geschrieben sind sie vom 1972 geborenen Spanier Juan Díaz Canales, einem
Drehbuchautor, der seit 2015 auch die neuen „Corto Maltese“-Abenteuer im
Geiste von Hugo Pratt weiterführt. Zeichner ist sein fünf Jahre älterer
Landsmann Juanjo Guarnido, der seit den 1990er Jahren in Paris lebt und
lange in den Disney-Studios von Montreuil arbeitete. Seine Erfahrung im
Kreieren ausdrucksstarker Animationsfiguren sieht man auch den
„Blacksad“-Comics an, jedoch fehlt hier jede Lieblichkeit.
Überwältigend ist die handwerkliche Sorgfalt und der Detailreichtum, mit
dem Guarnido seine Dekors ausgestaltet, die exakt Flair und Design der
damaligen Zeit wiedergeben, ob in den Straßenzügen New Yorks oder an den
Tankstellen der Route 66. Vor allem aber sind seine stets abgründigen, nie
eindimensionalen Charaktere derart plastisch, dass es Spaß macht, dem
Verlauf der Geschichten zu folgen. Jeder einzelne ist in
naturalistisch-karikierendem Stil ausgearbeitet, in jedem Einzelfall wurde
sorgfältig ausgewählt, welches Tier zum vorherrschenden Wesenszug passt.
Killer sind oft Reptilien (Leguan oder Krokodil), ein angesehener
Polizeikommandant ein stattlicher Eisbär, ein windiger Journalist (der sich
schnell zu Blacksads bestem Kumpan entwickelt), ist ein stets ungewaschener
Fuchs. „Held“ John Blacksad, ein Underdog, trägt als cooler schwarzer Kater
gut gebügelte Anzüge und übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf
weibliche Katzen aus.
Trotz dieser vermenschlichten Tier-Identitäten wirkt „Blacksad“ nie
lächerlich, was auch am lakonischen Erzählton und den bissigen Dialogen
liegt. Juan Díaz Canales gelingen durchweg gut gebaute Storys, die die
Zeitgeschichte äußerst spannend aufbereiten und obendrein mit mehreren
Wendungen überraschen. Während das erste Album „Irgendwo zwischen den
Schatten“ den Katzendetektiv mithilfe einer klassischen Crime-Story
einführt – es geht um den Mord an einer ehemaligen Geliebten Blacksads,
einem Filmstar –, fokussieren die folgenden Geschichten ein
gesellschaftsrelevantes Thema, das die Nachkriegsgeschichte der USA prägte.
## Feine Aquarelle
„Die Stille der Hölle“ beschreibt atmosphärisch dicht die Abgründe der
Jazzszene in New Orleans, in der die besten Musiker aus obskuren Gründen an
Körperbehinderungen leiden und Heroinsucht ein weit verbreitetes Phänomen
ist.
In „Amarillo“ wiederum geht es um das Verhältnis zwischen Dichtung und
einem Leben voller Gewalt. Die Geschichte entwickelt sich zum gehetzten
„Road Comic“, in dem zwei Beat-Generation-Dichter auf Rockerbanden treffen
und ein Zirkus als Zufluchtsort dient. Die vielleicht komplexeste Story ist
„Rote Seele“. Hier trifft John Blacksad seinen alten Freund Otto Liebber
wieder (eine Eule), der als Wissenschaftler am Bau der ersten Atombombe
beteiligt war und als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt wird.
Als Mitglied einer linksintellektuellen Gruppe namens „Die 12 Apostel“
steht er unter Beobachtung von Senator Gallo, der – McCarthy lässt grüßen …
übereifrig Kommunisten jagt. Eine Mordserie dezimiert die 12 Apostel nach
und nach, sodass Blacksad um seinen Freund fürchten muss. Ein
Holocaustopfer stellt die wenig ruhmreiche Vergangenheit des
deutschstämmigen Liebber bloß. Im vielschichtigen Szenario von Diaz Canales
lassen sich die Protagonisten jedoch schwerlich in Gut und Böse einordnen.
Ein harmloser Tirolerhut kann über Leben und Tod entscheiden. Und das
Gemälde eines russischstämmigen Künstlers wird zum gefährlichen
Informationsträger im Kalten Krieg.
Juanjo Guarnido gestaltet die Erzählungen mittels feiner Aquarellierung
individuell aus, indem er für jede einzelne passende Farbtöne auswählt –
etwa ein düsteres Grau-Braun für eine Großstadtgeschichte oder helle,
gelb-rote Töne und blaue für die Jazzstory in New Orleans. Díaz Canales und
Guarnido beweisen mit ihrer Noir-Krimi-Reihe, wie anspruchsvolles Erzählen
in einem Comic funktioniert, ohne den Unterhaltungswert zu vernachlässigen.
Es bleibt zu hoffen, dass weitere Abenteuer folgen werden.
5 Dec 2017
## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Comic
New York
Film noir
Comic
Französischer Comic
Asterix
Superman
Donald Trump
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