Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Comic zur „Slocum“-Havarie: Universalgeschichte der Dummheit
> Verbrannt und ertrunken: Mit provokativ-ungelenkem Strich erzählt Jan
> Soeken die Geschichte der größten Katastrophe der zivilen Schifffahrt.
Bild: Vor der Kulisse des wachsenden New York treibt die brennende „Slocum“…
BREMEN taz | Jan Soeken zeichnet spröde. Die Linie des gebürtigen Bremers
hat nicht die verführerische Kurvigkeit der an Caravaggio geschulten
Zeichner*innen der Superhelden-Studios. Aber ebenso wenig legt sie die
schroffe Anti-Haltung an den Tag, mit der manche
Bildergeschichtenerzähler*innen ihre Zugehörigkeit zur Avantgarde
demonstrieren.
Soekens Strich dagegen gibt sich provokativ ungelenk, ja linkisch. Er
erinnert an die Unvollkommenheit der allerersten amerikanischen Strips,
bestimmt sind Werbe-Illus des späten 19. Jahrhunderts eine Quelle.
Das passt zu dem, was er so erzählt: Es endet jeweils in einer Katastrophe,
egal ob er nun zwei fiktive Angehörige des baden-württembergischen
Ku-Klux-Klans auf den Weg zum Jahrestreffen schickt, oder, wie in „Slocum“
den real-existierenden gleichnamigen Schaufelraddampfer in den Untergang.
Ursachen der Schadensereignisse sind dabei Gier, Niedertracht und eine
ausgeprägte Blödheit der involvierten Akteure: Jede ihrer Gesten scheint
von ihr durchdrungen. Eine smarte und arrondierte Linie könnte das nie
ausdrücken.
## 745 tote Kinder
Tatsächlich bezeichnet der Name der „General Slocum“ eine der schlimmsten
Katastrophen der zivilen Schifffahrt. Am 15. Juni 1904 brannte der Dampfer
bei einem Ausflug entlang des East River nach Long Island aus.
An Bord: ein großer Teil der deutschen protestantischen Community von New
York. Ihr Pastor, Reverend George Haas hatte die Fahrt gebucht – und auch
durch kirchentreue Augenzeugenberichte klingt hindurch, dass er, herrisch,
übergriffig und borniert, viel zum verheerenden Ausmaß des Unglücks
beigetragen hat.
Soeken spitzt das zu. Er lässt ihn zu Kapitän William van Schaick auf der
Brücke marschieren und dort für Verwirrung sorgen. Bester Slapstick sind
die Streitereien über Nichtigkeiten, in die sich die zwei in Soekens
Inszenierung hineinsteigern, während draußen auf Deck längst das Feuer um
sich greift.
## Geiz, Gier und Idiotie
Van Schaick werden sie durch eine ungeschickte Bewegung ein Auge kosten,
aber beide Männer haben vermocht, den widrigen Umständen zum Trotz, sich in
Sicherheit zu bringen, anders als die 955 der insgesamt 1.358 Fahrgäste,
darunter 745 Kinder, die elend verbrannten oder ertranken.
Die Hauptschuld daran trifft weder Reverend Haas noch den gerichtlich
verurteilten Kapitän. Vielleicht sind noch nicht einmal die Bosse der
Knickerbocker Steamboat Society die Übeltäter, obwohl sich dank ihrer
Sparsamkeit alles was hätte helfen können, Rettungswesten und -boote,
Wasserschläuche und -pumpen, in einem desaströsen Zustand befand.
Es sind vielmehr etliche stupide Handlungen, Nachlässigkeiten, Pedanterie
und zwanghafte Rituale, Rechthaberei, Stumpfsinn, Unvermögen,
Selbstüberschätzung und Eitelkeit, kurz, Artikulationen einer geradezu
transzendentalen überpersönlichen Dummheit, die alle erfasst. Beeindruckend
reibungslos greifen sie ineinander und setzen eine gut geölte
Höllenmaschine in den Gang. Nur weil das so lustig wirkt, so unbeholfen
auch ist das überhaupt erträglich.
11 Mar 2022
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schifffahrt
Deutscher Comic
New York
Comic
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rasante Pulp-Fiction im Comicstil: Schüchterne Killer und taffe Katzen
Der Comic-Thriller„Shooting Ramirez“ glänzt als wildes Action-Spektakel. In
„Blacksad 6“ ermittelt ein Kater in New York.
Bildwelten von Renate und Maria Jessel: Wovon träumen Erdmännchen?
Das Sichtbare weiterdenken: Das verbindet die Bilder der Fotografin Maria
und der Malerin Renate Jessel. Zu sehen in der Galerie F92 in Berlin.
Ku-Klux-Klan-Affäre: Wie der KKK nach Schwaben kam
Ein Neonazi-Sänger konnte in ganz Deutschland Mitglieder für den
rassistischen Geheimbund rekrutieren, darunter zwei Polizisten. Erfahren
sollte das niemand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.