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# taz.de -- Subkultur in der Erziehung: Jugendgefährdende Schriften
> Wie erklärt man Subkultur dem Kinde? Und wie viel Subkultur kann man sich
> mit Kindern eigentlich noch leisten?
Bild: Hält lange, kann man nicht ewig tragen: punktypisches Beinkleid mit Sich…
Frieder der Urzeitkrebs ist gestorben: später als erwartet, aber doch bevor
sich abschließend klären ließ, ob sie nicht doch eine Krebsin war und
eigentlich Frida hieß. [1][Oberflächliche Internetrecherche] hatte nur
ergeben, dass Krebs-Frauen gute Zuhörerinnen seien, „die für ihre Freunde
immer ein offenes Ohr haben und ihnen mit gutem Rat zur Seite stehen“. Mit
Biologie hat das nichts zu tun, aber es stimmt trotzdem irgendwie: Frida
war wirklich eine gute Zuhörerin und eine Seele von Krebs. Immerhin ist mir
dank Unwissenheit auch die unschöne Situation erspart geblieben, den
Kindern die [2][urzeitkrebs’sche Selbstbefruchtung] über die Zwitterdrüse
zu erklären, was sie dann wieder halb verstanden in die Schule geschleppt
und mich wie einen komplett Irren aussehen lassen hätten.
Das ist übrigens ein grundsätzliches Problem aller, die sich in
subkulturellen Kreisen bewegen, die sich schwertun mit geraden Gedanken und
jugendfreier Sprache. Leider kann ich nicht mehr sagen, wer mir die
Geschichte erzählt hat, aber ich weiß noch, dass ich ungefähr drei Tage
darüber lachen musste: Wie so ein Ex-Punk und werdender Vater direkt nach
dem ersten Geburtsvorbereitungskurs Abschied von seinen zerrissenen Jeans
nahm, weil ihm beim solidarisch mitgemachten Vierfüßlerstand die Eier aus
der Hose baumelten.
Heute weiß ich: Klamotten sind ein nachrangiges Problem. Weit schlimmer
ist, dass die Musik nicht mehr geht. Zwar habe ich noch immer Tränen des
Glücks in den Augen, wenn ich mich erinnere, wie der Erstgeborene damals
mit eineinhalb zu Novotny TV im Kreis sprang: „[3][Überall in der Stadt
pflanzt der Staat – das Scheißsystem – Bäume hin / ohne Verstand und ohne
Sinn“]. Vorbei war der Spaß dann aber, als er sich im Œuvre derselben
Kapelle bis zum Gassenhauer „Butterfahrt im Gaza-Streifen“ vorgearbeitet
hatte, bei dem ich schon mit Erwachsenen nicht gerne darüber rede, was der
Scheiß soll, so mit „Arafat / rattattat“. Vielleicht sollte man es
überhaupt ganz lassen mit der Musik, weil die Folgen so schwer zu
kalkulieren sind. Einmal hat das Kind im Auto Rotz und Wasser geheult, weil
beim zehnten Hören plötzlich ankam, dass Major Tom „[4][völlig losgelöst�…
in den Tod treibt. Der Tag war im Arsch und Astronaut will er heute noch
nicht wieder werden.
Aber natürlich hören wir noch Musik zusammen. Die Pogues beim Zähneputzen
etwa [5][als mahnendes Beispiel] (googeln Sie im Zweifel „Shane MacGowan“
und „Zähne“). Oder Slayer beim Kochen. Aber jedes Mal, wenn der Shuffle
läuft und ich für Kartoffeln oder so was in den Keller gehe, singt oben
plötzlich das Kind mit: „[6][Q-Damm ’s börnin’ / Nan]anana“ Und ich d…
mit „Scheißescheißescheiße“ ohne Gemüse wieder hoch, bevor es weitergeh…
„Wir waren echt begeistert / Wie das brennt, und wie das börnt / Und weil
das so gut börnt / haben wir uns auch entförnt“ – weil das nämlich genau
sein Humor wäre, aber morgen ja Schule ist und überhaupt.
Neulich musste ich mir danach erzählen lassen, wie sich eine Lehrerin
offenbar bis zur dritten Klasse vor dem Thema Shoah wegducken wollte – dann
aber kurzfristig doch mein Kind einsprang.
Und da kriegt man es schon ein bisschen mit der Angst zu tun, was genau er
da wem erklärt hat. Meine pädagogische Grundregel lautet seitdem
jedenfalls: Wir können über alles reden, aber du behältst es gefälligst für
dich!
Man kommt eh nicht um die schwierigen Dinge drum herum, weil ja immer
irgendein liegengelassener Splattercomic auftaucht, weil Nazis was
anzünden, oder eben Frida/Frieder stirbt. Letzteres immerhin haben übrigens
beide Kinder auf ihre jeweilige Weise gut aufgenommen. Der Kleine meinte
nur, er hätte schließlich auch mich noch lieb, wenn ich bald ausstürbe, der
andere wollte nur wissen, ob wir noch irgendwo Krebseier hätten. Und das
haben wir.
3 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.desired.de/horoskop/sternzeichen/krebs-frau/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Triops
[3] https://www.youtube.com/watch?v=BtKjN2JUfOs
[4] https://www.youtube.com/watch?v=Q_iW4AgFxsI
[5] https://www.youtube.com/watch?v=gijSDXhnvlc
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Quetschenpaua
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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