| # taz.de -- Regisseurin über eine Heldin mit Euter: „Ich habe viele Kühe ge… | |
| > Kelly Reichardt, Regisseurin des Wettbewerbsbeitrag „First Cow“, erzählt | |
| > von Tieren als Schauspieler, Pilzen und Naturdarstellungen. | |
| Bild: Kelly Reichardt auf der Berlinale 2020 | |
| Mit ihrem Debütfilm „River of Grass“ war die Regisseurin Kelly Reichardt | |
| erstmals auf der Berlinale zu Gast, nun kehrt sie mit „First Cow“ zurück | |
| und konkurriert im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Wir treffen sie am Tag | |
| nach der Premiere in einer schmucklosen Ecke des Berlinale-Palasts zu einem | |
| kurzen Interview, ohne Händeschütteln zur Begrüßung. Zu groß, so | |
| entschuldigt sie sich, sei bei Festivals die Gefahr sich zu erkälten, was | |
| sie angesichts mehrerer bevorstehender Reisen gern vermeiden wolle. In | |
| Zeiten von Corona allzu verständlich. | |
| taz am Wochenende: Miss Reichardt, mit „Meek’s Cutoff“ haben Sie vor zehn | |
| Jahren schon einmal einen Film gedreht, der im 19. Jahrhundert spielt. Auch | |
| „First Cow“ ist nun wieder eine Variation des Western. Was gibt es in | |
| diesem Genre für Sie zu entdecken? | |
| Kelly Reichardt: Das Genre ist nicht das, was mich eigentlich interessiert. | |
| In erster Linie habe ich die Figuren, die Orte, die Geschichte im Blick. In | |
| diesem Fall den Roman „The Half Life“ meines langjährigen Wegbegleiters und | |
| Ko-Autoren Jonathan Raymond. Oder zumindest Teile davon. Aber natürlich | |
| kann ich eine gewisse Faszination für den Western nicht abstreiten. Es | |
| reizt mich, in diesem traditionell männlich konnotierten und eigentlich | |
| immer romantisierten Genre neue Blickwinkel und Erzählansätze zu finden. | |
| In „Meek’s Cutoff“ gelang Ihnen das mittels weiblicher Protagonistinnen, | |
| dieses Mal steht eine ungewöhnliche Männerfreundschaft im Zentrum. Der Koch | |
| Cookie und der chinesische Einwanderer King Lu lassen sich zusammen in | |
| Oregon nieder, klauen Milch bei der Kuh des Nachbarn und backen. Fast | |
| könnten sie ein Paar sein... | |
| Auf jeden Fall ist es eine sehr häusliche Freundschaft. Echte Männerliebe, | |
| in einer Welt, in der keine Frauen zu finden sind. Für mich hatte das nicht | |
| automatisch etwas Erotisches. Aber ich überlasse das gern der | |
| Interpretation des Publikums. | |
| King Lu ist eine Kombination aus zwei der Romanfiguren, und auch sonst sind | |
| die Veränderungen gegenüber der Vorlage recht groß. Warum? | |
| Die beiden Figuren zu einer zu verschmelzen war Johns Idee. Sein Roman | |
| spielt nicht nur über vier Jahrzehnte im 19. Jahrhundert, inklusive einer | |
| Reise nach China, sondern auch in den 1980er Jahren. Für meine Art von | |
| Filmen war das zu viel, denn mir geht es immer eher um die kleinen Momente | |
| als um große Pinselstriche. Ein Leben von Anfang bis Ende zu erzählen, | |
| finde ich nicht spannend. Viel lieber ist es mir, wenn als Zuschauer*in | |
| eher eine Stippvisite bei den Protagonist*innen macht und sie nur für eine | |
| kurze Weile begleitet. | |
| Sie haben in der Vergangenheit mit Michelle Williams, Laura Dern oder Jesse | |
| Eisenberg gedreht. Warum haben Sie bei „First Cow“ lieber auf unbekanntere | |
| Namen gesetzt? | |
| Stars zu besetzen hilft natürlich oft dabei, Geld zusammenzubekommen, was | |
| dieses Mal nicht nötig war. Nicht dass wir bei „First Cow“ ein riesiges | |
| Budget hatten, aber Scott Rudin war als Produzent mit an Bord, und der war | |
| von Beginn an damit einverstanden, dass dies ein kleiner Film ist, der | |
| keine großen Namen braucht. Ich fand es für diese Geschichte von Vorteil, | |
| Schauspieler zu besetzen, die dem Publikum nicht unbedingt vertraut sind. | |
| Auch wenn John Magaro, der als Cookie meine erste Wahl war, zumindest am | |
| Broadway durchaus bekannt ist. Und dass Rudin als Theatermacher ein Fan | |
| von ihm ist, half natürlich. | |
| In Ihren Filmen spielen immer auch Tiere eine große Rolle, „First Cow“ ist | |
| da keine Ausnahme. Was reizt Sie daran eigentlich? | |
| Die ganz banale Antwort ist einfach: Ich liebe Tiere. Ich bin mit Hunden | |
| aufgewachsen und kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Früher hat | |
| oft meine eigene Hündin in meinen Filmen mitgespielt. Da habe ich schnell | |
| gemerkt, wie ausdrucksstark Tiere vor der Kamera sein können. Und wie sehr | |
| ihre Spontaneität dabei hilft, dass auch die Schauspieler*innen spontan und | |
| wachsam bleiben. | |
| Wobei die Arbeit mit einer Kuh sicherlich noch einmal etwas anderes ist als | |
| die mit einem Hund... | |
| Das ist wohl wahr. Ich habe mir viele Kühe angeguckt, bevor ich mich für | |
| Evie als unsere Titelheldin entschieden habe. Wir mussten sie trainieren, | |
| damit sie sich an so viele Menschen um sich herum gewöhnt und vor allem | |
| damit wir mit ihr auf einer Fähre drehen konnten. Kühe schwimmen ja nicht, | |
| und anfangs war ihr das spürbar unbehaglich. Normalerweise bin ich | |
| allerdings kein Fan von Tiertrainern. Bei Hunden etwa arbeite ich nach | |
| Möglichkeit nur mit privaten Hunden, die keine Kameraerfahrung haben, | |
| selbst wenn das mitunter Nerven kostet. Filmhunde verhalten sich nie | |
| unerwartet oder spontan, die reagieren immer nur auf Kommandos und | |
| Leckerlis. Das hat nicht den wahrhaftigen Effekt, um den es mir geht. | |
| Apropos Wahrhaftigkeit: Der Naturalismus Ihrer Filme ist eines Ihrer | |
| Markenzeichen. Gleichzeitig ist es aber natürlich nicht so, dass Sie | |
| lediglich Ihre Kamera in der Natur aufstellen und drauflos filmen. | |
| Mir geht es nicht um „das Echte“. Meine Filme sind Fiktion, „First Cow“… | |
| eher eine Fabel als Realität. Ich sehe mich nicht in irgendeiner | |
| neorealistischen Tradition. Wenn Cookie im Film durch den Wald streift und | |
| Pilze sammelt, dann sind das keine Pilze, die wir vor Ort in den Wäldern | |
| Oregons gefunden haben, sondern Pfifferlinge aus dem Bio-Supermarkt, die | |
| mein Production-Designer dort platziert hat. Schon allein, weil John Magaro | |
| die ja auch essen muss und wir nicht riskieren konnten, dass er da doch mal | |
| einen hochgiftigen findet. Natürlich haben die Pilzsammler*innen in meinem | |
| Freundeskreis sofort erkannt, dass wir da getrickst haben. Aber so etwas | |
| stört mich nicht. | |
| Sie sagen, Sie wollen sogenannte beauty shots beim Naturfilmen vermeiden. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Panoramaaufnahmen, die das Publikum einfach nur überwältigen sollen, | |
| interessieren mich nicht. Es gibt in „First Cow“ eine einzige Totale, als | |
| Cookie auf dem Weg nach Hause ist. In dem Moment erfüllt sie einen Zweck, | |
| wir sehen seinen Weg. Aber prinzipiell filme ich Natur und Landschaften so, | |
| dass sie eine Funktion innerhalb meiner Geschichte haben. Wenn das dann | |
| schön aussieht, ist das nur ein Nebeneffekt. | |
| Sie haben vorhin schon den Produzenten Scott Rudin erwähnt. Viel größer als | |
| sonst bei Ihren Filmen war nun das Budget für „First Cow“ auch mit ihm | |
| nicht, oder? | |
| Wir hatten ein wenig mehr Geld als sonst, und ich habe dadurch auch | |
| erstmals zu den Bedingungen der gewerkschaftlichen Vereinigungen der | |
| amerikanischen Filmbranche gedreht. Was zum Beispiel bedeutete, dass dies | |
| mein erster Film überhaupt war, an dem wir an den Wochenenden drehfrei und | |
| auch sonst geregelten Feierabend hatten. | |
| Würde es Sie reizen, ein deutlich größeres Projekt zu stemmen und etwas | |
| anderes auszuprobieren? | |
| Vor „First Cow“ sah es so aus, als würde ich einen Film in Europa drehen. | |
| Der wäre eine ganze Ecke teurer gewesen als meine sonstigen Arbeiten – und | |
| irgendwie bin ich ganz froh, dass sich das zerschlagen hat. Ich fühle mich | |
| wohl in meiner kleinen Nische. Natürlich ist es manchmal schwierig, wenn | |
| das Geld knapp ist. Aber selbst meine Budgets sind ja eigentlich viel Geld. | |
| Filmemachen ist eine verdammt teure Angelegenheit, und gerade dieses sehr | |
| persönliche, intime Erzählen, wie ich es bevorzuge, ist echt Luxus. Dass | |
| ich das überhaupt seit so vielen Jahren machen darf, ist ein kleines | |
| Wunder. Außerdem würden sich automatisch neue Probleme ergeben: Dann hätten | |
| mehr Köche ihre Finger in der Suppe – und ich könnte womöglich nicht bis | |
| hin zum Schnitt alle Entscheidungen selbst treffen, so wie ich es im Moment | |
| zum Glück darf. | |
| 1 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Patrick Heidmann | |
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