# taz.de -- Kelly Reichardt über ihren neuen Film: „Sie haben das FBI angeru… | |
> „Knight Moves“ spielt meist auf dem Wasser. Regisseurin Reichardt | |
> erzählt, was passiert, wenn man in einem Geschäft nach Ammoniumnitrat | |
> fragt. | |
Bild: Regisseurin Kelly Reichardt (m.), mit Dakota Fanning (Dena) und Jesse Eis… | |
taz: Frau Reichardt, „Night Moves“, der Titel Ihres Films, bezieht sich auf | |
einen anderen Film … | |
Kelly Reichardt: Auf den von Arthur Penn? Aber das ist nur ein Zufall. | |
Penns Film wurde zwar in der Gegend gedreht, wo meine Großeltern lebten, in | |
den Florida Keys, aber es gibt keinen Bezug. Den Titel haben wir vom Namen | |
eines Boots, das neben dem des Produzenten lag; er hat ein kleines | |
Segelboot. | |
Wasser ist ein wichtiges Element in „Night Moves“, aber auch in Ihren | |
anderen Filmen? | |
In „Meek’s Cutoff“ ist es wichtig, weil es keins gibt. | |
In „Old Joy“ zum Beispiel gibt es die Szenen im Badehaus. Gibt es einen | |
Grund für die prominente Rolle von Wasser? | |
Es gibt zwar keinen roten Faden, aber zugleich lag es nahe, nach „Meek’s | |
Cutoff“, der in der Wüste spielt, einen Film zu drehen, der sich zu großen | |
Teilen auf dem Wasser zuträgt. Man muss heutzutage einfach über Wasser | |
nachdenken. Wem gehört es? Wohin fließt es? Wohin wird es umgeleitet? Viele | |
Leute haben Probleme mit den Staudämmen im ganzen Land, und das liegt | |
daran, wer entscheidet, wohin das Wasser fließt. Bei der Recherche für den | |
Film bin ich auf interessante Dinge gestoßen. | |
Worauf zum Beispiel? | |
Die Eisenbahn war für die ersten Staudämme verantwortlich. Man ließ die | |
Dämme so errichten, dass die Wasserläufe möglichst weit weg von den | |
Gebieten der amerikanischen Ureinwohner waren. Zynischer ging es gar nicht. | |
Was haben Sie noch entdeckt, während Sie für „Night Moves“ recherchierten… | |
Die Recherche verläuft ja parallel zum Scouten. Und dadurch lernt man die | |
unterschiedlichsten Leute kennen. Für mich ist es der schönste Teil des | |
Filmemachens – mich anregen zu lassen, wenn ich lese oder etwas wiederlese, | |
„Verbrechen und Strafe“ zum Beispiel, oder wenn ich mit jemand anderem am | |
Drehbuch arbeite, und der regt mich an, dieses oder jenes zu lesen oder zu | |
sehen. Zum Beispiel die Bilder von Charles Burchfield … | |
… einem Maler, der für seine Landschaftsaquarelle bekannt war … | |
Es gab eine Retrospektive, die ich mir mit dem Produktionsdesigner und der | |
Kostümbildnerin ansah, und die ging danach nach Los Angeles, sodass der | |
Kameramann sie auch sehen konnte. Doch der größte Teil der Recherche | |
besteht darin, dass ich herumfahre und Leuten begegne. Ich habe zum | |
Beispiel diesen Mann getroffen, der sich ein Grundstück anschaute. Ich | |
merkte, dass ihm mehrere Finger fehlten. Und es stellte sich heraus, dass | |
er Bomben baut, um Bäume in die Luft zu jagen, für Immobilienentwickler. Er | |
war ein cooler Typ, alles andere als ein Umweltschützer, und er hatte sich | |
ein wunderschönes Haus im Wald gebaut. Dass jemand etwas so Schönes bauen | |
konnte, während er zugleich Bäume in die Luft sprengte! Menschen sind | |
kompliziert und ambivalent, und das kann man in einen Film einbauen. Als | |
wir nach einem Düngemittelgeschäft Ausschau hielten, wo wir drehen könnten, | |
war es interessant zu sehen, was geschieht, wenn man nach Ammoniumnitrat | |
fragt. | |
Das haben Sie mehrmals gemacht? | |
Zweimal, dann haben wir es lieber sein lassen. Beim ersten Mal sind wir in | |
den Laden gegangen, Jon Raymond, der Drehbuchautor, der Produzent Neil Kopp | |
und ich, um zu sehen, wie sie reagieren. Sie haben sofort das FBI angerufen | |
und uns fotografiert, und sie nahmen es sehr ernst. | |
Sie sind in den Laden gegangen und haben nach 200 Kilo Ammoniumnitrat | |
gefragt? | |
Nicht nach so viel. Ich glaube, Jon sagte: „Wir möchten Ammoniumnitrat | |
kaufen.“ Und der Verkäufer zeigte auf die Überwachungskamera und sagte: | |
„Sie wurden gerade gefilmt, wer zum Teufel sind Sie?“ Wir hatten nicht den | |
Mut, weiterzumachen, und sagten, dass wir einen Film drehten. Selbst dann | |
sagte er: „Sie reden doch Scheiße.“ Wir spürten, dass wir dabei waren, | |
unsere Chancen, einen Drehort zu finden, zu vermasseln. Wenn wir so | |
weitermachten, würde das FBI auf uns aufmerksam, wenn es das nicht längst | |
war. Hinzu kam, dass viele Düngemittelgeschäfte sich auf den Anbau von | |
Marihuana spezialisierten und die Leute dort nervös wurden, wenn wir dort | |
auftauchten. All diese Erfahrungen können in den Film einfließen, und sei | |
es nur, wenn es darum geht, was ein Verkäufer trug oder warum er mit der | |
Kamera drohte, ohne dass deren Stecker eingestöpselt war. | |
Besonders in der ersten Hälfte des Films macht sich dieses Interesse an | |
Details bemerkbar, solange Sie nachvollziehen, wie die Figuren das Attentat | |
vorbereiten. In der zweiten Hälfte verschiebt sich das ein wenig, oder? | |
Verglichen mit Ihren vorangegangenen Filmen, die karg und reduziert waren, | |
geschieht eine ganze Menge. | |
Es gibt mehr Plot, das ist richtig. Und als ich im Schneideraum saß, hat | |
der Plot stärker als bei den anderen Filmen vorgegeben, wie ich vorgehen | |
musste. Aber ich hoffe, dass der Film trotzdem spezifisch bleibt, wenn es | |
um die Figuren geht. | |
Es gibt einen interessanten Augenblick nach der Explosion. Die drei | |
Protagonisten sitzen im Wagen und drehen sich nicht mal um, um | |
zurückzuschauen. Warum ist ihre Reaktion so verhalten? | |
Ich habe einen Dokumentarfilm über Angehörige der ELF gesehen, sie haben | |
ein paar Sachen in die Luft gejagt und ein paar Brände gelegt … | |
Was heißt ELF? | |
Earth Liberation Front, eine Bewegung aus den 90er Jahren, von der | |
Westküste. Wir haben unseren Film absichtlich in der Gegenwart verortet, | |
damit man ihn nicht mit der ELF in Verbindung bringen kann. Die haben nie | |
einem Menschen etwas angetan, sie haben immer nur Eigentum beschädigt. Ich | |
erinnere mich an dieses Mädchen. Ich war beeindruckt von ihrer Ruhe. Etwas | |
an ihr wollte ich unbedingt auf Dena … | |
… eine der drei Hauptfiguren … | |
… übertragen. So eine Art Enthobenheit. Etwas, was nötig ist, damit man die | |
Nerven behält, damit man das Ganze wie eine To-do-Liste betrachtet. Nach | |
dem Motto: „Dies sind die Dinge, die geschehen müssen: Ich muss meine | |
schwarzen Stiefel anziehen, an einer Telefonzelle anhalten und durch das | |
Unterholz kriechen.“ So habe ich mir Dena vorgestellt. Und noch etwas: | |
Diese drei Individuen haben unterschiedliche Hintergründe. Sie kommen | |
zusammen, arbeiten als Einheit, aber wenn sie im Auto sitzen, ist jeder | |
wieder ein Individuum, zurück in seiner eigenen Welt. | |
Nach dem Attentat folgt der Film die meiste Zeit Josh. Die anderen beiden | |
Figuren, Dena und Harmon, tauchen eher selten auf. Wie kam es zu dieser | |
Entscheidung? | |
Es ist ein langer Prozess, deswegen fällt es mir schwer, mich genau zu | |
erinnern. Irgendwann dämmerte es mir, dass Denas Abwesenheit sie in das | |
Zentrum des Films rücken würde. So ähnlich wie in „Wendy und Lucy“, wo d… | |
Hund im Vordergrund steht, gerade weil er abwesend ist. | |
Am Anfang von „Night Moves“ sieht man eine Filmvorführung in einer | |
Landkommune und den Anfang einer Diskussion mit der Filmemacherin. Es | |
handelt sich um einen aktivistischen Film. Sie haben bestimmt viele | |
aktivistische Filme zu Umwelt- und Klimathemen gesehen? | |
Es gibt so viele schlechte Filme mit guter Stimmung! Die richtig | |
verbissenen, mit dröhnender Musik, kaum zu ertragen. Dieser ist etwas | |
anders, Larry Fessenden hat ihn für uns gedreht. Bei uns sollte die | |
Filmemacherin gar nicht merken, dass sie eine Art Werbefilm für eine Bank | |
gedreht hat. Wir wollten das so: einen radikalen Film von jemandem, der | |
kein Bewusstsein davon hat, wie sehr er vom Ansturm des Kommerzes | |
beeinflusst ist. | |
13 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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