# taz.de -- Regisseurin über Komödie „Showing Up“: „Kunst ist trotzdem … | |
> Regisseurin Kelly Reichardt zeigt in ihrer Komödie „Showing Up“ den | |
> Alltag einer Künstlerin. Sie spricht über Beharrlichkeit und Filmen als | |
> Sammeln. | |
Bild: Und was sagt die Katze dazu? Lizzy (Michelle Williams) bereitet im Film �… | |
Kelly Reichardt gilt als eine der wichtigsten unabhängigen Filmemacherinnen | |
der USA. Trotzdem schaffen es ihre Filme seit dem Debüt „River of Grass“ | |
1994 selten in deutsche Kinos, vielleicht weil sie in ihrer | |
minimalistischen Inszenierung und ihren suchenden Bewegungen zu wenig | |
spektakulär erscheinen. Das Berliner fsk Kino hat nun die Initiative | |
ergriffen und bringt Reichardts Film „Showing Up“ von 2022 direkt auf die | |
Leinwand. In der melancholischen Komödie spielt Michelle Williams eine | |
Keramikkünstlerin, die eine Ausstellung vorbereitet und sich immer wieder | |
mit Familie, Selbstzweifeln und anderen Nebensächlichkeiten vom Arbeiten | |
abhält. Rar sind auch Interviews mit der 60-Jährigen. In Locarno, wo sie | |
den Ehrenleoparden für ihr Lebenswerk erhielt, sprach sie über | |
Beharrlichkeit, warum sie sich als Sammlerin sieht und ihre Filme nicht als | |
politisch versteht. | |
wochentaz: Frau Reichardt, der Titel Ihres neuen Films „Showing Up“ bezieht | |
sich auf das, was im kreativen Schaffen und Dasein als Künstler mindestens | |
so wichtig ist wie Talent: dranzubleiben. Wie wichtig ist eine gewisse | |
Sturheit beim Filmemachen? | |
Kelly Reichardt: Oh, sehr. Meine Art Filme entstehen nur, weil ich trotz | |
aller Widrigkeiten immer weitermache. Kino ist eine teure Kunst, auch wenn | |
es durch die Digitalisierung demokratischer wurde. Und wenn man einen Film | |
fertig hat, gibt es in der Regel Festivals, die ihn zeigen wollen. Eine | |
bildende Künstlerin hat ein solch eingebautes Publikum nicht automatisch, | |
sie kreiert erst mal für sich in einem Studio. Auch darum ging es mir in | |
„Showing Up“. Wenn man den Impuls hat, etwas zu erschaffen, und jeden Tag | |
aufwacht und daran arbeitet, ob man nun einen anderen Job hat oder nicht, | |
und wenn dieses Kunstmachen wie Essen oder Atmen ist, aber es gibt dafür | |
kein Publikum – was ist das für eine Erfahrung, wie geht man damit um? | |
Auch Sie haben einen Brotjob, Sie unterrichten Film am Bard College im | |
Bundesstaat New York. Wie beeinflussen sich die akademische Arbeit und das | |
Filmemachen? | |
Nun, bei „Show Up“ kam alles zusammen, weil er an einer Kunsthochschule | |
spielt. Wir drehten an der Oregon School of Arts and Crafts, sie war eine | |
sehr angesehene Schule im pazifischen Nordwesten für Keramik, bevor sie | |
geschlossen wurde, wie so viele Kunsthochschulen in den USA. Die Schule | |
stand leer und wir konnten sie nutzen. Es ist das erste Mal, dass die Welt | |
des Films und die Welt des Unterrichtens wirklich aufeinandertreffen. Am | |
Bard College habe ich experimentelle Filmemacher kennengelernt, die mich | |
sehr beeinflusst haben, der Landschaftsfilmer Peter Hutton zum Beispiel, | |
dem [1][„First Cow“] gewidmet ist, oder Peggy Awish, die feministische | |
Experimentalfilmerin. Von ihnen habe ich viel gelernt, als Dozentin und als | |
Regisseurin. Und die Lehraufträge dort nehmen etwas Druck weg, weil ich in | |
einem Semester unterrichten und im nächsten an meinen eigenen Projekten | |
arbeiten kann. | |
Wie finden Sie die Themen Ihrer Filme? | |
Es gibt Jäger und Sammler. Manche haben ihre Beute vor Augen und erlegen | |
sie mit der Waffe. Ich bin eher eine Sammlerin, meine Filme sind ein Sack | |
voll kleiner Samen. Die Frage ist eher, ob es dafür einen Platz in der | |
amerikanischen Landschaft des Geschichtenerzählens gibt. Im Grunde fühlt es | |
sich jedes Mal an wie der letzte Film, den ich machen kann. | |
Wie funktioniert dieses Sammeln von Samen mit den Schauspielenden? Etwa mit | |
[2][Michelle Williams, die Sie seit „Wendy und Lucy“ 2008] nun zum vierten | |
Mal besetzen. | |
Mit Michelle habe ich schon so oft zusammengearbeitet, mit jedem neuen Film | |
nehmen wir unmittelbar den Faden unseres Gesprächs wieder auf. Und sie ist | |
eine Handwerkerin, bereitet sich akribisch vor. Ich kann mit ihr aus dem | |
Vollen schöpfen. | |
Das klingt ein bisschen wie Michelles Figur im Film. Schreiben Sie die | |
Rollen bereits mit ihr im Hinterkopf? | |
Oh nein. Das habe ich einmal getan und dann hat es mit dieser Person nicht | |
geklappt, damit war das Projekt erledigt, es hätte anders nicht | |
funktioniert. Das war sehr traurig und schwer für mich. Seitdem versuche | |
ich mich beim Schreiben davon zu befreien und eine Figur ganz so zu | |
entwickeln, wie ich sie mir vorstelle, wie sie aussieht, wie sie sich gibt, | |
was sie denkt und fühlt. Und erst danach überlege ich, wer sie spielen | |
könnte. | |
Ihre Filme sind stets mit ganz spezifischen Orten verbunden, meist im | |
Bundesstaat Oregon. Entstehen die Geschichten erst, wenn Sie wissen, wo sie | |
angesiedelt sind? | |
Das ist jedes Mal unterschiedlich. Die Landschaft von „Auf dem Weg nach | |
Oregon“ entdeckten wir etwa, als wir auf Locationsuche für „Wendy und Lucy… | |
waren und dabei auf diese Wüstengegend stießen. Bei anderen Filmen suchen | |
wir parallel zur Entwicklung des Drehbuchs. Und durch das Scouting und was | |
ich draußen gesehen habe, verändert sich die Geschichte. Bei „Showing Up“ | |
wiederum hatte ich von Anfang an eine bestimmte Schule im Kopf, die dann | |
auch einen großen Einfluss auf das Drehbuch hatte. | |
Vor ein paar Jahren sagten Sie in einem Interview, damals war Trump an der | |
Regierung, Sie wüssten nicht, wie Kunst auf eine Politik im dauernden | |
Ausnahmezustand reagieren soll. Haben Sie darauf inzwischen eine Antwort? | |
Eine Weile haben wir alle derart viele Filme gemacht, weil wir dachten, wir | |
befänden uns in einem besonders schlimmen Moment. Seitdem wird es nur noch | |
schlimmer. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist extrem aufgeheizt, | |
es fühlt sich manchmal wie kurz vor einem Bürgerkrieg an. Aber ich glaube | |
nicht, dass dies Probleme sind, die Kino oder andere Künste lösen können. | |
Ich bin ein politisch denkender Mensch, aber ich möchte keine politischen | |
Filme machen. | |
Aber Ihre Filme sind ja in einer sozialen und geografischen Realität | |
verankert. | |
Was nicht heißt, dass Kunst etwas an den Verhältnissen ändert. An diesen | |
Anspruch glaube ich nicht. Trotzdem ist sie wichtig. Wer sich auf ein | |
Kunstwerk einlässt, den kann es erfüllen und helfen, Dinge zu überwinden | |
und das Leben anders zu betrachten. Und das ist ja nicht wenig. | |
5 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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