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# taz.de -- Film über glücklosen Kunstdieb: Ein Superhirn fährt ziellos durc…
> Der Spielfilm „The Mastermind“ von Kelly Reichardt erzählt mit kleinsten
> Gesten von einem Kunstraub als ruheloses, irreversibles Scheitern.
Bild: Eher kein Rififi: James Blaine „JB“ Mooney am Tatort
Ein junger Mann plant einen Kunstraub, und er ist, so will es der
Filmtitel, ein Genie. „The Mastermind“ beginnt dann auch tatsächlich mit
Bildern, die ansatzweise kriminelle Kompetenz vermitteln, wenn auch nur im
Kleinen.
James Blaine „JB“ Mooney testet bei einem Familienausflug in das örtliche
Museum einer Kleinstadt in Massachusetts die Sicherheitsbedingungen und
klaut recht behände eine kleine, wohl nicht allzu wertvolle Figur aus einer
Vitrine. Nach etwa 15 Filmminuten aber ist klar, der Titel ist Ironie, und
der Mann wäre in „Ocean’s Eleven“ und jedem anderen US-Heistmovie der
letzten hundert Jahre sofort aus der Gang geflogen.
Außerdem stellt „The Mastermind“ in den ersten Minuten seine eigentliche
Hauptfigur vor: das Setting. Der Kunstraub findet statt im Jahr 1970, und
die Regisseurin [1][Kelly Reichardt und ihr Setdesigner Anthony Gasparro,
der seit „Certain Women“ (2016)] Reichardts Kulissen baut, haben eine Welt
in erdigen Brauntönen erschaffen, die – von Wohnungseinrichtungen bis zu
Cordsakkos – authentisch anmutet.
## Zeitbild der USA
In seinem letzten Akt, nachdem alles schiefgegangen ist, macht „The
Mastermind“ dann vollends klar, dass die Dekade hier nicht nur
selbstzweckhafte Dekoration ist, sondern dass es der Regisseurin um ein
Zeitbild der USA geht. Ihr Film beginnt mit dem Klau US-amerikanischer
Stillleben und endet mit Polizeigewalt auf einer Antivietnamkriegsdemo.
Von Anfang bis Ende aber steht ein konstantes Scheitern. JB Mooney ist
Tischler und ehemaliger Kunststudent, der in stillem Ärger über die
Diskrepanz zwischen seinem wenig glanzvollen Leben und dem unbedingten
Willen, mit wenig Aufwand zu viel Geld zu kommen, zu existieren scheint.
Mooney reiht sich ein in das Ensemble von Slackerfiguren, die das Werk der
Independent-Filmemacherin Kelly Reichardt bevölkern. Menschen, die in den
Lücken und an den Rändern existieren – aber nicht mit dem Glamour der
überzeugten Außenseiter, sondern weil sie nicht anders können.
Das Herz, das diese Filme für ihre Figuren haben, die weder Helden noch
Antihelden sind, sondern den Mythos des Helden sozusagen aussitzen, ist
groß. JB Mooney allerdings ist der Erste, der latent wie ein hilfloser
Unsympath wirkt. Josh O'Connor („Challengers“, „The Crown“) spielt den
glücklosen Kunstdieb mit hochgezogenen Schultern und einer wieder einmal
ausgeprägten körperlichen Präsenz.
## Wollen und Wirklichkeit sind unvereinbar
Im Körperausdruck manifestiert sich die frustrierende Unvereinbarkeit von
Wollen und Wirklichkeit. Und die ebenfalls ausgeprägte Eitelkeit ist hier
der Motor für Selbstblindheit und Gedankenlosigkeit. Mooney stolpert von
einem wurstigen Fuck-up zum nächsten, und die Momente, in denen O’Connor im
Gesicht seiner Figur subtil bedrohliche Momente der Selbsterkenntnis
aufscheinen lässt, nehmen zu, je weiter sie sich verrennt.
Der Plan, eine Handvoll Gemälde des Künstlers Arthur Dove zu stehlen, ist
nachlässig zusammengebaut. JB Mooney heuert ein paar Möchtegern-Gangster
an, die ziehen sich Netzstrümpfe über den Kopf, nehmen die Bilder von der
Wand und laufen zurück zum Auto. Ein irreales Unterfangen, aber basierend
auf einem realen Kunstraub im Jahr 1972 im Worcester Art Museum in
Massachusetts. In der Wirklichkeit hat es wenigstens für zwei Gauguins,
einen Picasso und einen Rembrandt gereicht.
JB Mooney hat sich auf die Idee versteift, Bilder von Arthur Dove zu
stehlen. Sein Vater, zu allem Unglück auch noch ein ehemaliger Richter, ist
dann auch entsprechend unbeeindruckt und fragt sich am Esstisch, was der
ganze Quatsch soll – unwissend, dass der Dieb mit am Esstisch sitzt: „Man
kann sich kaum vorstellen, dass sich all der Aufwand für diese abstrakten
Bilder lohnen soll.“
## Stille Comedy
Tut er auch nicht. Der Aufwand selbst ist dann aber vollends stille Comedy.
Die Raubszene liegt in der Filmmitte. Die Kunstdiebe werden natürlich
entdeckt, klar, wenn man mitten am Tag in einem Museum Gemälde von der Wand
nimmt.
Allerdings nicht vom Wachmann, der schläft, sondern von einem jungen
Mädchen, das in den Museumsräumen umhergeht und die ausgestellten
Kunstwerke in einem affektierten Französisch beschreibt: „ennuyeux“,
„dépravé“, „factice“. Den Gedanken, dass eine Figur hier über das Ge…
spricht, das in diesem Moment mit den Mitteln des Außenseiterkinos sanft
unterlaufen wird, legt die Montage zumindest nahe.
Die Kunsträuber schaffen es mit Ach und Krach, die Bilder in den Kofferraum
zu verfrachten. Danach geht es vollends bergab: JB Mooney bekommt Ärger mit
den lokalen Mafiosi, und die zweite Hälfte des Films zeigt das Superhirn
auf einer ziellos mäandernden, actionarmen Flucht durch die USA der
siebziger Jahre. Ein Durch-die-Gegend-Reisen, das in den Filmen Reichardts
ziellos wirkt.
## Von etwas wegwollen
Auch wenn die Figuren, wie in „Old Joy“ oder „Meek’s Cutoff“ ein Ziel…
oder, wie hier, von etwas wegwollen. Die Richtung, die das Leben nehmen
soll, ist weder vor noch auf der Leinwand klar, und entsprechend perforiert
werden die üblichen filmischen Erzählkonventionen, die ja immer
voraussetzen, dass die Menschen, von denen erzählt wird, eine beschreibbare
Entwicklung und damit eine Geschichte durchlaufen.
In „The Mastermind“ sind diese Konventionen durchgestrichen, und es
entsteht eine zuerst irritierende Dynamik, wie eigentlich immer in diesem
Werk, das die gängigen Geschwindigkeiten und Rhythmen der Genres, auf die
es sich jeweils bezieht, radikal ausbremst (das Roadmovie in „Old Joy“ und
„Wendy and Lucy“, den Western in „Meek’s Cutoff“ und [2][„First Cow…
Politthriller in „Night Moves“).
Die Erzählung gerinnt sozusagen. Der Mastermind fährt ziellos durch die
Landschaft, telefoniert mit seiner enttäuschten Frau (Alana Haim), ist aber
in Sorge vor allem um sich selbst. Die Figur verstummt mehr und mehr, die
große Klappe wird leise. Und wo vorher ein Heist-Plot die Struktur
vorgegeben hat – Planung, Durchführung, Konsequenzen –, gibt es jetzt nur
noch einen statischen Zustand zu sehen, der bedächtig ausgemalt wird:
ruheloses, irreversibles Scheitern.
## Spröde Bewegungslosigkeit
Diese vorgebliche Bewegungslosigkeit lässt die Filme von Kelly Reichardt
dem ersten Eindruck nach sehr spröde wirken. Wenn man diese
Bewegungslosigkeit aber annimmt, gerät man in einen Raum der Kontemplation
und in sich ruhenden Konzentriertheit.
„The Mastermind“ ist ein Film der kleinsten Gesten, und Kelly Reichardt ist
eine der subtilsten Filmemacher*innen zurzeit. Das Wichtige geschieht
in den Lücken, und man bekommt auch hier wieder viel Leerlauf, Tätigkeiten,
die im Genrekino eigentlich als nicht erzählwürdig gelten, und Warten vor
Augen geführt.
Und das alles im Falle von „The Mastermind“ spätestens ab dem letzten
Filmdrittel wie in Zeitlupe. Reichardt vermeidet dabei die Manierismen des
Slow Cinema. Die Langsamkeit dieser Bilder ist kein Selbstzweck und
eigentlich nicht einmal ein Stilmittel, sondern Voraussetzung, um das
aufscheinen zu lassen, was gezeigt werden soll.
Die Geschichten Reichardts geschehen an den Rändern, und zwar nicht in den
in ihrem Dagegensein heroischen Subkulturen, sondern dort, wo glücklose
Durchschnittsmenschen versuchen, dem Leben und der Gesellschaft, in der sie
leben müssen, ein Glück abzupressen. Hinter der ruhenden Oberfläche dieser
Filme verbirgt sich so etwas wie eine realistische, weil durch kein
unterhaltsames Drama überhöhte Tragik. Oder auch ein tragischer Realismus.
15 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Krimi
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