# taz.de -- Nach Beschlagnahme durch die Polizei: Nazis kriegen Sprengkörper z… | |
> Die Einbecker Polizei hatte bei Neonazis illegale Böller beschlagnahmt – | |
> und zurückgegeben. Damit sprengten sie den Briefkasten einer | |
> Antifaschistin. | |
Bild: Trügerische Idylle: Das vom Anschlag betroffene Haus in Einbeck | |
Hamburg taz | Eine polizeiliche Panne hat offenbar einen rechtsextremen | |
Sprengstoffanschlag ermöglicht: Im südniedersächsischen Einbeck hat die | |
Polizei militanten Rechtsextremen beschlagnahmte osteuropäische | |
Sprengkörper mit massiver Sprengkraft zurückgegeben. | |
„Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie so etwas passieren konnte, gerade | |
weil einer der Verdächtigen von den niedersächsischen Sicherheitsbehörden | |
als Gefährder rechts eingestuft wird“, sagte die Betroffene des Anschlags | |
der taz. Die Polizei Einbeck nahm dazu auf Anfrage der taz keine Stellung. | |
Am 10. Juni hatten mutmaßlich zwei Rechtsextreme aus der örtlichen Szene | |
den [1][Anschlag auf die Haustür] der antifaschistisch engagierten Frau | |
verübt. Am frühen Morgen um 3.50 Uhr war der Sprengsatz im Briefkasten am | |
Wohnhaus der 41-Jährigen detoniert. Die Sprengwirkung war so stark, dass | |
die Trümmer des Briefkastens mehrere Meter weit in den Wohnbereich | |
geschleudert wurden. | |
Die laute Detonation habe sie zwar wahrgenommen, aber im Halbschlaf nicht | |
zugeordnet, sagt Rasmus Kahlen, Rechtsanwalt der Betroffen. Erst als die | |
Polizei klingelte, sah sie den Schaden. Die Beamten sagten ihr auch, dass | |
zu dem Zeitpunkt ein Tatverdächtiger ermittelt sei. | |
## Der Betroffenen sagte die Polizei nichts von Rechtsextremen | |
„Dass der Täter aus der rechtsextremen Szene kommt, teilten sie nicht mit“, | |
sagt Kahlen, der nach Rücksprache mit seiner Mandantin den Anschlag publik | |
gemacht hatte. Denn die Polizei hatte zunächst keine Pressemitteilung | |
herausgegeben. Für Kahlen ist das mehr als ein Versäumnis, da der Anschlag | |
„eine neue Dimension der Gewalt von Neonazis“ offenbare. | |
Die mutmaßlichen Täter konnte die Polizei schnell ermitteln, weil einer | |
sich bei dem Anschlag selbst stark verletzt hatte. Eine Blutspur des | |
26-Jährigen führte vom Anschlagsort zu seiner nahe gelegenen Wohnung. Der | |
Sprengsatz soll in seiner Hand explodiert sein. Beide Verdächtige sind in | |
Untersuchungshaft. Die auf Terrorismusbekämpfung spezialisierte | |
Staatsanwaltschaft Celle hat die Ermittlungen übernommen. | |
Bei einer früheren Hausdurchsuchung bei den Inhaftierten hatte die Polizei | |
das nun verwendete Sprengstoffmaterial bereits sichergestellt, sagt Kahlen. | |
Die im Landeskriminalamt mit der Sache befassten Beamten sollen darauf | |
vertraut haben, dass der Aufdruck „Ab 18 Jahren frei verkäuflich“ | |
ausreichend für eine Bewertung als legale Böller sei. Ein massives | |
Versagen, meint Kahlen, „ein Polizeiskandal“. Denn, so der Rechtsanwalt aus | |
Göttingen: „Jeder in Deutschland zugelassene Sprengkörper besitzt ein | |
[2][Prüfzeichen der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung]“. Es | |
sei absolut inakzeptabel, dass die Beamten dies nicht geprüft hätten. „Wie | |
soll ich das meiner Mandantin erklären? Dieser Vorfall muss dringend | |
aufgeklärt und die Verantwortlichen von der Arbeit beim Staatsschutz | |
entbunden werden“, sagt er. | |
Die Betroffene fragt sich, ob „nicht schon zur Gefahrenabwehr diese | |
Sprengkörper hätten sichergestellt werden müssen?“ Sie meint: „Offenkund… | |
nimmt die niedersächsische Polizei die Gefahr von rechts nicht ernst genug. | |
Eine solche Panne – wenn es denn eine war – hinterlässt bei mir ein sehr | |
mulmiges Gefühl.“ | |
Seit Jahren ist in der Region eine rechtsextreme Szene aktiv – auch die | |
mutmaßlichen Täter waren schon aufgefallen. Im November vergangenen Jahres | |
hat einer von ihnen mit zwei Kameraden in der [3][KZ-Gedenkstätte Moringen] | |
bei einer Führung die KZ-Haft verharmlost und anschließend [4][mit | |
rechtsextremen T-Shirts vor den Toren des ehemaligen Konzentrationslagers | |
posiert]. Einer der wegen des Anschlags Beschuldigten trägt seine radikale | |
Haltung auch auf der Haut offen zur Schau: In Anspielung auf den | |
[5][rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“] hat er | |
einen Rosaroten Panther auf eine Wade tätowiert. Die Terrorgruppe hatte | |
[6][die Comicfigur in ihren Bekennervideo benutzt]. | |
Der Sprengstoffanschlag reihe sich ein in eine anhaltende Serie von | |
Anschlägen gegen Antifaschist*innen in Südniedersachsen, sagt Kahlen. 404 | |
Vorfälle zählte das „Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv | |
Göttingen“ (ABAG e. V.) 2019 in der Region bis zum thüringischen Eichsfeld. | |
Regionale Antifa-Initiativen wollen die Entwicklung nicht hinnehmen. Sie | |
haben für den 27. Juni eine Demonstration unter dem Motto „Kein Raum für | |
rechte Gewalt in Einbeck“ angekündigt. Gegen die Initiatoren ermittelt nun | |
die Polizei Northeim. Sie hält den Slogan „Einbecker Nazistrukturen | |
angreifen!“ in der Online-Ankündigung für einen „öffentlichen Aufruf zu | |
Straftaten“ gemäß [7][Paragraf 111 des Strafgesetzbuchs]. | |
Rechtlich sei das nicht haltbar, schätzt Rechtsanwalt Kahlen ein. „Die | |
Northeimer Polizei kriminalisiert hier einmal mehr leichtfertig | |
antifaschistisches Engagement – das Einbeck leider bitter nötig hat.“ | |
29 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Rechter-Terror-in-Niedersachsen/!5692270 | |
[2] https://www.bam.de/Content/DE/Standardartikel/Aktuelles/Themenseiten/Silves… | |
[3] http://www.gedenkstaette-moringen.de/website/willkommen.html | |
[4] https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/12/04/provokation-in-der-provinz_… | |
[5] /Beate-Zschaepe-legt-Revision-ein/!5688671 | |
[6] /Freispruch-fuer-Neonazis/!5076204 | |
[7] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__111.html | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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