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# taz.de -- Zellenfenster werden kleiner: Gesiebte Luft wird noch dünner
> Vor Fenster in Gefängnissen in Niedersachsen kommen künftig Lochbleche.
> Gefangene klagen über zu wenig Frischluft und eine Aufheizung der Zellen.
Bild: Wo hier noch Gitter sind, werden in der JVA Hannover jetzt Lochbleche geb…
Hannover taz | „Hinter Gittern“ ist ein Ausdruck für das Leben im
Gefängnis, der in Niedersachsens Justizvollzugsanstalten (JVA) bald
euphemistisch sein könnte: „Hinterm Lochblech“ muss es dort künftig heiß…
Im Gefängnis in Hannover wird eine Vorschrift der niedersächsischen
Justizbehörde von 2018 seit einigen Wochen mit einer großen Baumaßnahme
umgesetzt – die Fensterfläche wird verkleinert.
Bisher gab es in jeder Zelle dort ein einzelnes Panoramafenster, 1,40 Meter
mal 1,20 Meter groß, das sich komplett öffnen ließ. Nun wurden die Fenster
zweigeteilt: Eine Hälfte ist jetzt verschlossen, Gefangene können noch
hindurchsehen, es aber nicht mehr öffnen. Vor der anderen Hälfte sind keine
normalen Gitter mehr montiert, sondern ein Blech mit zwei mal zwei
Zentimeter großen Löchern darin. Nach und nach sollen im Zuge von
Sanierungsarbeiten alle Gefängnisse in Niedersachsen damit ausgestattet
werden.
Die neuen Lochbleche sollen verhindern, dass Gefangene „pendeln“, also etwa
Drogen zwischen Zellenfenstern über ein Pendel austauschen. Laut dem
Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften sorgen sie auch
dafür, dass kein Essen mehr auf den Gefängnishof geschmissen wird. Und
schließlich macht man sich in der Justizbehörde in Niedersachsen Gedanken
über den Fortschritt der Technologie: Was, [1][wenn eine Drohne Waffen ans
Fenster der Gefangenen] bringt? Gegen all diese Vergehen scheint ein
Lochblech die Lösung sein.
## Gefangene sorgen sich um Frischluft und Hitze
„Reine Schikane“, meint dagegen der Inhaftierte „Avis“ (Name der Redakt…
bekannt). Er und andere Gefangene machen sich große Sorgen, ob die um zwei
Drittel verkleinerte Fensteröffnung in Zukunft noch ausreichend Frischluft
in die Zellen lässt. Mehr als ein Dutzend handgeschriebener Briefe von
Inhaftierten an die taz und das [2][Komitee für Grundrechte in Köln]
dokumentieren die Beschwerden: „Den Wechsel der Fenster mit der
Feinvergitterung und nur noch ca. 35% Luftaustausch werte ich als Angriff
gegen meine Gesundheit, physischer und psychischer Art“, heißt es in einem
Schreiben.
„Die Sommermonate sind leider nicht mehr zu ertragen“, so ein zweiter
Betroffener. „Durch die Lochgitter haben wir weniger Tageslicht“, betont
ein anderer. Ein weiterer Inhaftierter klagt vor allem über die Hitze: „Die
Zellen werden sehr warm durch die Stahlplatten, wenn die Sonne darauf
scheint.“ Und die [3][Gefangeneninitative PrisonWatch titelt]: „JVA will
Gefangene kochen.“ Bisher sind die Fenster in den zwei Blöcken A und B des
Gefängnisses umgebaut, ein dritter Block soll folgen.
## Lochgitter verschlechtert die Luftzufuhr
Dass die Luftzufuhr verringert wird, bestätigt Michael Schumacher,
Professor für Architektur an der Uni Hannover auf Nachfrage. Auch die
Vermutung, dass die Luftströmung durch das Gitter zusätzlich gestört werde,
hält er für plausibel: „Das stimmt wahrscheinlich. Das Lochblech kann die
Strömung brechen.“ Dass es zu einer Aufheizung durch das Metall vor dem
Fenster kommen kann, sieht Schumacher ebenfalls. „In welchem Maße kann ich
allerdings spontan nicht sagen.“ Mit einer Bewertung hält er sich deshalb
zurück.
Die Behörden verweisen auf die [4][niedersächsische Bauordnung]. Dabei hat
die nicht viel mehr zu Fenstern zu sagen als: Räume müssen gelüftet werden
können. Die [5][dazugehörige Durchführungsverordnung] wird etwas genauer:
Mindestens ein Achtel so groß wie die Grundfläche des Raumes müsse die
Fensteröffnung sein – bei einer Zellengröße von acht Quadratmetern also
einen Quadratmeter.
Tatsächlich gibt es in den umgebauten Zellen nur noch eine
Netto-Fensteröffnung von 0,3 Quadratmetern. Das macht allerdings nichts,
zumindest laut Durchführungsverordnung – die geht nämlich immer vom
Rohbaumaß aus, das bei verschlossenen und eng vergitterten Fenstern nicht
viel mit der tatsächlichen Fensteröffnung zu tun hat.
Immerhin: Das Justizministerium beruft sich auf eine Untersuchung des TÜV
Nord von 2002, der damals ein Fenster mit Lochblechabdeckung geprüft habe:
Es sei dabei ein Luftwechsel von etwa 90 Prozent in der Stunde gemessen
worden, schon ein Wert von 50 Prozent sei ausreichend.
Dem Landgericht Hannover reicht die alte Berechnung wohl nicht: Nach der
Klage des Hannoverschen Inhaftierten Christian Vinke von PrisonWatch wurde
nun vom Gericht ein neues Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, das
den Luft- und Wärmeaustausch messen und eine Erhitzung des Lochgitters
prüfen soll.
Das Gericht empfiehlt der JVA, derweil den weiteren Einbau zu pausieren –
schließlich könne es sein, dass am Ende alles teuer zurückgebaut werden
muss. Weiter gebaut wird trotzdem. „Typisch“ findet das Avis im Telefonat
mit der taz. „Für Sicherheitsmaßnahmen, die uns das Leben zur Hölle machen,
ist immer Geld da.“
## Interessenvertretung der Gefangenen kann nicht tagen
Der Nichtraucher Avis leidet unter der c[6][hronischen Lungenkrankheit
COPD]; er fürchtet [7][nicht nur Corona], sondern auch, dass sich sein
Leiden verschlimmere, wenn er die Zelle, die früher von starken Rauchern
bewohnt wurde, nicht mehr richtig lüften könne. Doch Gefangenen, die sich
aus gesundheitlichen Gründen über den Einbau beschwerten, werde mit der
Verlegung in andere Abteilungen gedroht, einer seiner Mitinsassen musste
schon umziehen. „Das bedeutet immer auch einen Verlust der Sozialkontakte“,
so Avis.
Auch ansonsten versuche die Gefängnisleitung alles, um den Protest zu
behindern. So seien die letzten fünf Treffen der [8][Interessenvertretung
der Gefangenen (IVG)] ausgefallen. Corona sei der Grund, schreibt dazu
Hannovers Gefängnisdirektor Matthias Bormann. Avis ist skeptisch: „Warum
kamen die Absagen immer erst kurzfristig am Tag des Treffens?“, fragt er.
Er und die anderen hoffen nun auf das Sachverständigengutachten. Einen
Aspekt, der vom TÜV allerdings nicht zu messen ist, benennen viele
Gefangene in ihren Briefen: „Meine Depressionen werden schlimmer“, schreibt
einer. „Man hört kein Vogelzwitschern mehr“, ergänzt Avis.
24 Jun 2020
## LINKS
[1] /Bremen-verbietet-Dronen-ueberm-Knast/!5229063/
[2] https://www.grundrechtekomitee.de/knast-gefangenenhilfe
[3] https://prison-watch.de/index.php?article%2F442-niedersacchsen-jva-hannover…
[4] http://www.nds-voris.de/jportal/?quelle=jlink&query=BauO+ND&psml=bs…
[5] http://www.nds-voris.de/jportal/?quelle=jlink&query=BauODV+ND+%C2%A7+20…
[6] /Irreversible-Schaeden-durch-Rauchen/!5142364
[7] /Gefaengnisse-in-Corona-Pandemie/!5671910
[8] https://gefangenensolijena.noblogs.org/post/2019/05/27/funf-jahre-gefangene…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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