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# taz.de -- Gefängnis-Insasse über seine Haft: „Man ist quasi ein Zombi“
> Steven Piekert sitzt wegen versuchten Mordes in der JVA Hannover ein.
> Eine sinnlose verbrachte Zeit, findet er.
Bild: Blick nach draußen: Steven Piekert in seiner Zelle.
taz: Herr Piekert, haben Sie Ihre Strafe verdient?
Steven Piekert: Die Höhe der Strafe auf gar keinen Fall. Ich bin von dem
Richter vorverurteilt worden, weil ich vorbestraft war wegen Betruges.
Seine klare Aussage war: Er ist ein Betrüger, er lügt.
Wofür wurden Sie verurteilt?
Für versuchten Mord und schwere räuberische Erpressung.
Wie kam es dazu?
Ein Betrug ist eskaliert. Es gab eine Schlägerei, irgendwann wurde ein
Messer gezogen.
Haben Sie das Messer gezogen?
Nein, mein Opfer. Das hat mir das Gericht allerdings nicht geglaubt. Der
Richter hat gesagt, ich hätte das Messer gezogen.
Was für ein Betrug war das, der da schief gegangen ist?
Das war ein Internetverkauf. Computer und technisches Zubehör. Ich habe
fingierte Sachen ins Internet gestellt und die dann verkaufen wollen.
Das heißt, Ihre Opfer hätten nie Ware bekommen, aber Ihnen das Geld
gegeben?
Genau. Bei der Übergabe ist es zu einem Streit gekommen. Es war eine
schwierige Situation, weil ich in einem psychischen Ausnahmezustand war.
Ich habe es eigentlich nie zu persönlichen Kontakten bei den Geschäften
kommen lassen. Aber in diesem Fall wollte ich ihm das Geld einfach
wegnehmen und dann ist der Streit leider eskaliert.
Eine Tat im Affekt wäre doch versuchter Totschlag. Was macht es zum
versuchten Mord?
Der Richter hat gesagt, ich hätte in dieser Auseinandersetzung in
Verdeckungsabsicht versucht, den Mann umzubringen.
Und, haben Sie?
Ich war ihm von Anfang an körperlich überlegen. Ich habe früher Kampfsport
gemacht, Mixed Martial Arts. Außerhalb des Sports hatte ich aber noch nie
etwas mit Gewalt zu tun, weder ein Ermittlungsverfahren, noch eine
Verurteilung. Aber ich wusste mich zu wehren. Sogar als das Messer dann im
Spiel war, habe ich noch funktioniert.
War Ihnen in der Situation bewusst, dass Sie gerade einen anderen Menschen
verletzen?
Nein, das wusste ich nicht, bis ich das erste Mal nach der Tat Kontakt mit
der Polizei hatte. Ich habe nur das Messer von mir weggedrückt, damit es
mich nicht trifft. Ich habe auch ein paar Schnitte abbekommen. Als ich
seinen Arm und seine Hand fixiert habe, hat er sich gewehrt. So muss es
passiert sein.
Wie schwer war der Mann verwundet?
Laut Zeitungsberichten hat die Schnittwunde nur knapp die Leber verfehlt.
Im Krankenhausbericht war der Schnitt nur 1,8 Millimeter tief und ging
gerade so ins Bauchfett. Er hatte noch einen Schnitt im Gesicht, der genäht
werden musste.
Bereuen Sie die Tat?
Ja, dass ich ihn verletzt habe auf jeden Fall. Aber ich arbeite an einer
Wiederaufnahme des Verfahrens, damit ich eine Rehabilitation erfahre. Ich
habe nie versucht, jemanden zu ermorden. Es geht mir darum, dass
festgestellt wird, dass es nicht so war, wie er es gesagt hat.
Er hat also ausgesagt, Sie hätten das Messer mitgebracht?
Er hat drei verschiedene Aussagen gemacht, aber die letzte Aussage beim
Gericht hat gezählt.
Was hat es mit Ihnen gemacht, als Sie realisiert haben, dass Sie jemanden
verletzt haben?
Erst mal wollte ich es nicht wahrhaben, weil ich es nicht mitbekommen habe.
Ich habe zwar Blut gesehen, aber auch meine Hände haben geblutet. Das zu
realisieren war – ist – schwierig. Ich schlafe seit meiner Verhaftung nicht
mehr.
Warum?
Weil ich da das erste Mal in meinem Leben Todesangst hatte. Die Polizisten
haben sich nicht ausgewiesen. Die haben mich in einem Supermarkt zu viert
von hinten versucht auf den Boden zu drücken. Das habe ich nicht
zugelassen. Ich habe gedacht, vielleicht rächt er sich. Und jetzt seit vier
Jahren schlafe ich, wenn ich mal einen guten Tag habe, vier Stunden.
Und worüber denken Sie nach, wenn Sie wach liegen?
Ich überlege mir Sachen für die Drehscheibe.
Die Gefängniszeitung, für die Sie als Redakteur schreiben.
Genau. Ich denke viel nach. Ich höre Radio. Ich schlage irgendwie die Zeit
tot.
Denken Sie auch über die Tat nach?
Wenn ich Situationen im Fernsehen sehe, Auseinandersetzungen, die ähnlich
sind, dann trifft es mich wieder. Aber ansonsten habe ich damit eigentlich
abgeschlossen.
Haben Sie sich bei dem Opfer entschuldigt?
Bei Gericht haben wir geredet. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich
ihn verletzt habe, und dafür, dass ich ihn betrügen wollte, aber ich
entschuldige mich nicht für etwas, das ich nicht gemacht habe.
Schon vorher wurden Sie wegen Computerbetrugs, Geldwäsche und Untreue
verurteilt. Wie sind Sie auf die schiefe Bahn gekommen?
Das war eine Entscheidung. Ich hab’ mein Leben damit finanziert. Und ich
habe damals gedacht, ich müsste ein luxuriöses Leben führen. Ich habe Autos
gehabt, hauptsächlich amerikanische, aber auch mal einen Mercedes, wenn ich
den haben wollte. Ich habe am Bodensee gewohnt, bin viel herumgeflogen.
Wie sind Sie zum Betrüger geworden?
Ich bin damals durch meinen Mittäter da reingekommen und habe mich
entschieden, diesen Weg zu gehen. Ich hatte die Möglichkeit, Geld zu
verdienen, ohne wie jeder andere hart dafür zu buckeln. In meiner Familie
ist gar keiner kriminell. Mein Bruder ist Fotograf, der andere Koch und
mein Vater war bei der Luftwaffe. Ich bin das einzige schwarze Schaf in
meinem Umfeld.
Wie hat ihr Umfeld reagiert, nachdem Sie überführt wurden?
Für mich war es eine Enttäuschung. Es gibt Freunde, die essen, trinken und
feiern mit einem, leben quasi mit davon und am Ende reden die dann
schlecht. Die wichtigsten Leute sind anfangs vielleicht noch geblieben,
aber irgendwann waren alle weg. Das hat sich erst mit meinem neuen Umfeld
geändert.
Haben Sie Ihre Verlobte erst hier drinnen kennengelernt?
Nein, draußen noch. Was anders ist, ist dass mein Umfeld jetzt alles über
mich weiß. Ich habe früher immer zwei Leben geführt. Ein kriminelles und
ein offizielles als erfolgreicher, selbstständiger Geschäftsmann. Ich habe
immer alle angelogen.
Haben Sie je damit gerechnet, dass Sie erwischt werden könnten?
Wer rechnet schon damit, wenn man kriminell ist? Man denkt immer, man ist
schlauer. Ich habe den Gedanken aber auch verdrängt. Sobald dann die
Ermittlungsverfahren kommen, merkt man dann, dass man schon observiert
wurde und die Telefone überwacht.
Wie viele Jahre Ihres Lebens haben Sie schon im Gefängnis verbracht?
Ich bin jetzt, mit den Vorstrafen, im zwölften Jahr.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihr Leben verschwendet haben?
Jetzt, in dieser dritten Haftzeit. Vorher nicht. Da gab es nichts, was mir
die Haft schwer gemacht hat. Jetzt ist da meine Verlobte. Die hat mir die
Augen geöffnet. Und auch die Freunde, die ich durch sie habe, die zu mir
stehen, trotz meiner kriminellen Vergangenheit. Dieses Getrenntsein von
allen ist jetzt schwer. Früher habe ich einfach in den Tag hinein gelebt.
Jetzt vermisse ich dieses einfache Spazierengehen mit meiner Verlobten und
mit den Katzen zu kuscheln.
Sie haben sich taufen lassen. Wie kommt es, dass Sie zum Glauben gefunden
haben?
Ich habe schon immer geglaubt. Jetzt war es mir wichtig, auch der Kirche
anzugehören.
Beschäftigt man sich, wenn man eingesperrt ist, eher mit elementaren
Fragen?
Das setzt einen Intellekt voraus. Ich denke eher nicht, dass die
Allgemeinheit das hier macht. Ein Großteil ist drogenabhängig. Man hört die
Gespräche: Das Überbrückungsgeld nehmen, um dann wieder Drogen zu kaufen,
wenn man entlassen ist.
Was machen Sie hier drin mit Ihrer Zeit?
Ich arbeite an der Drehscheibe. Ich habe da ein kleines Eckbüro mit einem
Computer. Ich kann frei an den Texten und dem Layout arbeiten.
Warum machen Sie das alleine?
Früher gab es mal eine Redaktionsgruppe, aber die hat sich aufgelöst. Außer
beim Kreuzworträtsel, wo die Leute mitmachen, weil sie Tabak und Kaffee
gewinnen wollen, ist die Beteiligung sehr mau. Gelesen wird es aber, da
bekomme ich Rückmeldungen.
Worüber schreiben Sie?
Ich versuche, Informationen zu bringen, die für uns wichtig sind. In der
letzten Ausgabe hatte ich etwas über Spielsucht drin und die Eröffnung
eines Pfändungsschutzkontos.
Ist Redakteur ein regulärer, bezahlter Job im Gefängnis?
Ja. Vorher war ich Hausarbeiter. Das heißt, man muss in dem Haus, in dem
man lebt, für Ordnung sorgen. Duschen machen. Essen und Wäsche verteilen.
Meine Mitgefangenen diskutieren aber wegen allem Möglichen herum und
beschweren sich. Da habe ich keine Geduld mehr für. Ich möchte auch keinen
Ärger mehr. Jetzt arbeite ich für mich.
Sie bringen in der Drehscheibe Artikel über übertragbare Krankheiten,
Suizidversuche hinter Gittern oder Gefühle, die man als Vater im Gefängnis
hat. Sind das Themen, die Sie selbst beschäftigen?
Ich beobachte viel. Die Leute wissen, dass es ansteckende Krankheiten gibt
und tätowieren sich trotzdem gegenseitig oder sie schmeißen Essen aus dem
Fenster und beschweren sich, dass da unten Ratten herumlaufen. Darüber
schreibe ich. Und die Vatergeschichte ist einfach meine Geschichte. Und ich
weiß, dass es vielen hier wie mir geht.
Was macht denn das Gefängnis mit dem Familienleben?
Ich habe meine Tochter außer bei der Geburt und kurz danach nicht gesehen.
Ich weiß nicht einmal, ob sie weiß, dass ich ihr Vater bin. Damals war ich
kriminell und wusste, dass ich noch nicht abgeschlossen hatte. Ich wollte
nicht, dass ich wieder aus dem Leben meiner Tochter rausgerissen würde und
habe sie deshalb bewusst nicht gesehen. Heute macht mich das traurig. Wenn
ich entlassen werde, ist meine Tochter fast 18 Jahre alt. Ich möchte auf
jeden Fall versuchen, Kontakt mit ihr aufzunehmen.
Wie oft können Sie den Teil Ihrer Familie, zu dem Sie Kontakt haben, sehen?
Regulär sind es vier Stunden im Monat. Dann kommen meine Verlobte und meine
Mutter her. Und ich darf jeden Tag telefonieren. Das ist nur sehr teuer.
Was macht den Alltag im Gefängnis schwierig?
Die Herausforderung liegt darin, mit den anderen zusammenzuleben, ob man
möchte oder nicht. Man hat so seine Leute, mit denen man sich versteht.
Aber man muss auch mit Leuten klarkommen, mit denen man draußen gar nichts
zu tun hätte. Man hat keine Wahl.
Haben Sie das Gefühl, dass eine Haftstrafe Menschen eher tiefer ins
kriminelle Milieu zieht?
Man kann natürlich Kontakte knüpfen, wenn man das will. Ob das der kleine
Dealer ist, der einen großen Dealer trifft, oder der Computerbetrüger.
Bringt das Eingesperrtsein denn was?
Gerade der Anfang, die U-Haft und die Zeit nach der Verurteilung, sind
schwer. Irgendwann lebt man aber den Trott. Man ist quasi ein Zombie.
Morgens geht die Tür auf. Um sechs Uhr ist Lebendkontrolle. Dann hat man
eine halbe Stunde Zeit, dann ist Ausrücken zur Arbeit, dann hat man
nachmittags eine Freistunde, dann kocht und duscht man und legt sich ins
Bett. So ist jeder Tag. Je länger die Haftstrafe ist, umso mehr geht
außerhalb kaputt. Familie, Freunde, das ganze Umfeld. Viele werden ins
Nichts entlassen. Ich weiß nicht, ob das ein guter Start in ein straffreies
Leben ist.
Was halten Sie für sinnvoller?
Fußfesseln und Sozialstunden. Wenn jemand ständig ohne Führerschein fährt,
würden ich eher dafür sorgen, dass er irgendwie an eine Fahrerlaubnis
kommt, anstatt ihm das noch für Jahre zu verbieten. Einen Betrüger, so wie
mich, würde ich Computerkurse geben oder Internetkriminalität verhindern
lassen.
Aber glauben Sie, Sie wären aufgewacht, wenn Sie nicht in Haft gesessen
hätten?
Das hat nicht die Haft gebracht, sondern meine Lebensumstände. Und das ich
nicht mehr lügen muss. Die Haft tut nur noch weh.
Wie wollen Sie leben, wenn Sie frei sind?
Ganz normal. Das, was ich vorher spießig fand, möchte ich jetzt einfach
haben. Gartenzwerge im Schrebergarten zum Beispiel.
Und beruflich?
Ich beteilige mich hier an dem sozialen Projekt „Gefangene helfen
Jugendlichen“. Wir erzählen denen, was es wirklich bedeutet, im Gefängnis
zu sein. Unabhängig von dem, was sie im Fernsehen sehen. Das ist sinnvoll.
Das werde ich auch nach der Haft weitermachen.
Wie reagieren die Jugendlichen auf Sie?
Das sind oft Jugendliche aus Brennpunktschulen, die selbst schon Straftaten
begangen haben. Die haben dann gegenüber der Polizei und Lehrern
wahrscheinlich keinen Respekt, aber sobald die auf uns treffen, sind sie
ganz schüchtern. Wir machen mit ihnen ein Delikteraten. Ich moderiere das
ganze und rede viel. Deshalb liegt bei mir oft das Kärtchen Betrug. Wenn
sie dann hören, dass ich wegen versuchten Mordes hier bin, dann schlucken
sie. Wir zeigen den Jugendlichen, dass man einem Menschen nicht hinter die
Stirn gucken kann.
Haben Sie Angst, dass Sie doch rückfällig werden?
Nein. Ich habe mich dafür entschieden, das nicht mehr zu tun. Ich möchte
nicht mehr in Haft. Ich bin jetzt 36 und habe schon so viele Jahre
verschwendet. Das ist mir jetzt in den letzten vier Jahren erst bewusst
geworden.
13 Jul 2018
## AUTOREN
Andrea Maestro
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